Название: Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Автор: Guy de Maupassant
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962817695
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Eines hätte ich allerdings noch gern erfahren mögen, nämlich: »Wessen Witwe sie wohl an jenem Abend gespielt hat.«
*
Auf dem Wasser
Im letzten Sommer hatte ich ein kleines Landhaus am Ufer der Seine, einige Meilen von Paris, gemietet und fuhr jeden Abend hinaus, um die Nacht dort zu verbringen. Nach einigen Tagen lernte ich meinen Nachbar, einen Mann von dreissig bis vierzig Jahren kennen, den komischsten Kauz, den ich je gesehen habe. Es war ein alter Schiffsmann, aber ein leidenschaftlicher, wie man nur einen finden kann, stets beim Wasser, auf dem Wasser und im Wasser. Er hätte eigentlich in einem Boot zur Welt kommen sollen; und dass er noch einmal in einem Boote sein Leben beschliessen würde, stand bei mir fest.
Eines Abends, als wir am Seine-Ufer spazieren gingen, bat ich ihn, mir einige Geschichten aus seinem Schifferleben zu erzählen. Da war der gute Mann mit einem Male lebendig und wie umgewandelt; er wurde redselig und beinahe poetisch angehaucht. Für ihn gab es eben nur eine große, brennende unwiderstehliche Leidenschaft: den Fluss.
»Ach« sagte er, »wie viele Erinnerungen knüpfen sich für mich an diesen Fluss, den Sie da zu unsern Füssen rollen sehen. Sie anderen, Strassenbewohner, wissen gar nicht, was das zu bedeuten hat, ein Fluss. Aber hören Sie nur mal einen Fischer dieses Wort aussprechen! Für ihn ist der Fluss etwas Geheimnisvolles, Tiefes, Unbekanntes, das Gebiet der Wunder und Gespenster, wo man bei Nacht Dinge sieht, die es gar nicht gibt, und Töne hört, die niemand kennt, wo man zittert, ohne zu wissen, warum, als wenn man auf einem Kirchhof wäre. Und in der Tat! ist dies nicht der traurigste aller Kirchhöfe, auf dem man nicht einmal einen Grabstein hat.
Das Land ist dem Fischer zu eng; aber der Fluss ist ihm selbst in finsterer Nacht, wenn kein Mondlicht leuchtet, ein unbegrenztes Gebiet. Der Seemann hat nicht die gleiche Empfindung auf der See. Diese ist oft wild und ungeberdig, allerdings; aber sie seufzt, sie stöhnt und tobt vorher, sie benimmt sich also ehrlich. Der Fluss hingegen ist stumm und hinterlistig. Er grollt nicht, er fliesst geräuschlos Tag für Tag dahin, und gerade diese ewig gleichmässige Bewegung des dahinfliessenden Wassers ist für mich viel ergreifender, als die turmhohen Wogen des Ozeans.
Schwärmer behaupten, dass sich auf dem tiefsten Grunde des Meeres unermesslich große bläuliche Felsen befänden, auf denen die Ertrunkenen mitten zwischen den großen Fischen durch das Gezweige seltsamer Wälder in kristallene Grotten gewälzt würden. Der Fluss hat nur schwarze Untiefen, auf deren Grunde man verfault. Aber er ist doch schön, wenn er von der aufgehenden Sonne bestrahlt wird und leise murmelnd mit seinen Wellen am schilfbedeckten Ufer plätschert.
Der Dichter singt vom Ozean:
O Wogen, die Ihr schauervolle Dinge wisst,
Ob deren Graus so mancher Mutter Träne fliesst,
Auf Eurem Weg von hier durchs weite große Meer
Erzählt Ihr’s Euch, und kommt Ihr abends wieder her,
Beweint Ihr selbst mit tiefem jammervollen Ton
Der Mutter Schmerz, der Ihr entrisst den letzten Sohn.
Nun gut; ich bin überzeugt, dass die Geschichten, welche die schlanken Schilfrohre mit ihren zarten, leisen Stimmchen erzählen, oft noch viel grausiger klingen, als die seltsamen Schauermärchen, die aus dem Gebrüll der Wogen widerhallen.
Aber da Sie mich gerade nach Erinnerungen fragen, so will ich Ihnen ein seltsames Abenteuer erzählen, welches mir hier vor ungefähr zehn Jahren passiert ist.
Ich wohnte damals, wie heute noch, im Hause der Mutter Lafon, und einer meiner besten Kameraden, Ludwig Bernet, der jetzt auf seine Kähne, sein Schiffszeug und seine Freiheit verzichtet hat, um Mitglied des Staatsrates zu werden, hatte sich damals im Dorfe C…, zwei Meilen weiter abwärts, niedergelassen. Wir assen jeden Tag zusammen, bald bei mir, bald bei ihm.
Eines Abends, als ich ganz allein und ziemlich müde zurückkam und mein großes Boot, einen wahren Ozean von zwölf Fuss Länge, dessen ich mich nachts gewöhnlich bediente, nur mühsam fortbrachte, machte ich einen Augenblick in der Nähe der schilfbewachsenen Ecke da unten, ungefähr hundert Meter vor der Eisenbahnbrücke, Halt, um etwas Atem zu schöpfen. Es war herrliches Wetter, der Mond leuchtete mit seinem sanften ruhigen Licht, der Fluss glänzte weithin und die Luft war lind und ruhig. Diese Ruhe steckte mich an; ich dachte mir, es müsse sich an diesem stillen Plätzchen herrlich ein Pfeifchen rauchen lassen. Gesagt, getan! ich ergriff meinen Anker und warf ihn aus.
Die Kette spielte sich, da das Boot mit dem Strome fuhr, bis zum letzten Gliede ab; dann hing ich fest. Ich machte es mir im Hinterteil des Bootes auf meinem Schaffell so bequem wie möglich. Man hörte Nichts, rein gar Nichts; nur hin und wieder glaubte ich, ein leises, fast unhörbares Plätschern des Wassers am Ufer zu vernehmen und ich sah, dass einige höher emporragende Schilfhalme ein eigentümliches Aussehen annahmen und sich zeitweilig etwas bewegten.
Der Fluss war vollkommen ruhig, aber ich fühlte mich seltsam von diesem Schweigen bewegt, welches mich umgab. Alle Tiere schwiegen; selbst die Frösche und Unken, die nächtlichen Sänger der Sümpfe. Plötzlich quakte rechts vor mir ein Frosch; dann schwieg er wieder und ich hörte weiter Nichts mehr. Um mich zu zerstreuen, setzte ich meine Pfeife aufs Neue in Brand, aber, obschon ich ein leidenschaftlicher Raucher war, so konnte ich doch nicht auf den richtigen Geschmack kommen. Nach einigen Zügen krampfte sich mein Inneres zusammen und ich hörte auf. Ich stimmte ein Liedchen an, aber der Klang meiner Stimme missfiel mir. Dann legte ich mich auf den Boden hin und starrte zum Himmel hinauf. Eine Zeit lang lag ich so ruhig da, bis eine leichte Bewegung des Kahnes mich aufs Neue beunruhigte. Es war mir, als beschriebe er große Bogen und stiesse während dessen an beiden Ufern an; dann glaubte ich, dass ein unsichtbares Wesen oder irgend eine verborgene Gewalt ihn sanft auf den Grund des Wassers zöge und ihn gleich darauf emporschnelle, um ihn zurückfallen zu lassen. Ich fühlte mich umhergeschleudert wie СКАЧАТЬ