Название: Sherlock Holmes - Seine Abschiedsvorstellung
Автор: Arthur Conan Doyle
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783955012403
isbn:
»Was schlagen Sie vor?«
»Ich weiß, wo ihr Zimmer liegt. Es ist vom Dach eines Nebengebäudes aus erreichbar. Mein Vorschlag ist, daß Sie und ich heute abend dorthin gehen und ins Zentrum des Rätsels vorzudringen versuchen.«
Ich muß gestehen, daß mich diese Aussicht wenig lockte. Das alte Haus mit seiner mordschwangeren Atmosphäre, seine eigenartigen und furchterregenden Bewohner, die unbekannten Gefahren auf dem Weg dorthin und die Tatsache, daß wir uns rechtlich gesehen in eine schiefe Lage brachten, dies alles wirkte zusammen und dämpfte meinen Eifer doch erheblich. Aber es lag etwas in Holmes' messerscharfer Argumentationsweise, das es unmöglich machte, von einer Unternehmung, die ihm wichtig schien, Abstand zu nehmen. Man wußte einfach, daß sich so, und nur so, eine Lösung finden würde. Ich drückte ihm also schweigend die Hand, und damit waren die Würfel gefallen.
Doch sollte unseren Ermittlungen kein so abenteuerliches Ende beschieden sein. Es war ungefähr fünf Uhr, und der Märzabend begann schon hereinzubrechen, als ein aufgeregter Mann in ländlichem Aufzug zu uns ins Zimmer stürzte.
»Sie sind weg, Mr. Holmes. Sie sind mit dem letzten Zug gefahren. Die Lady hat sich losgerissen; ich hab sie unten in 'ner Droschke.«
»Ausgezeichnet, Warner!« rief Holmes, von seinem Stuhl aufspringend. »Watson, die Lücken schließen sich zusehends.«
In der Droschke saß eine Frau, die vor nervlicher Erschöpfung beinahe zusammenbrach. Ihr adlerartiges, ausgezehrtes Gesicht trug die Spuren einer eben erst durchlittenen Tragödie. Ihr Kopf lag matt auf ihrer Brust, als sie ihn aber hob und ihren trüben Blick uns zuwandte, bemerkte ich, daß ihre Pupillen wie winzige Punkte in einer großen, grauen Iris schwammen. Sie stand unter der Wirkung von Opium.
»Ich hab aufgepaßt am Tor, genau wie Sie mich geheißen haben, Mr. Holmes«, sagte unser Kundschafter, der entlassene Gärtner. »Als der Wagen herauskam, bin ich ihm zum Bahnhof gefolgt. Sie war wie eine Schlafwandlerin, aber als sie dann versucht haben, sie in den Zug zu kriegen, ist sie plötzlich lebendig geworden und hat sich gewehrt. Sie haben sie in ein Abteil gestoßen, aber sie konnte sich wieder herauskämpfen. Da hab ich ihr geholfen, sie in eine Droschke gesetzt, und da wären wir nun. Das Gesicht am Fenster des Abteils, als ich mit ihr weggefahren bin, das werd ich mein Lebtag nicht vergessen. Ich hätt wohl nicht mehr lange zu leben, wenn's nach ihm ginge, dem schwarzäugigen, scheelen gelben Teufel dem!«
Wir trugen Miss Burnet nach oben, legten sie auf das Sofa, und ein paar Tassen sehr starken Kaffees befreiten ihren Geist bald aus der Benebelung durch das Rauschgift. Holmes hatte Baynes herbeirufen lassen und ihm die Situation in aller Kürze erklärt.
»Nun, Sir, damit verschaffen Sie mir genau die Zeugenaussage, die mir noch gefehlt hat«, sagte der Inspektor mit Wärme und schüttelte meinem Freund die Hand. »Ich war von Anfang an auf derselben Fährte wie Sie.«
»Was? Sie waren hinter Henderson her?«
»Nun, Mr. Holmes, als Sie in High Gable im Gebüsch herumgekrochen sind, habe ich in der angrenzenden Schonung auf einem Baum gesessen und auf Sie hinabgeschaut. Es ging nur noch darum, wer von uns als erster einen Beweis in der Hand haben würde.«
»Aber weshalb haben Sie dann den Mulatten festnehmen lassen?«
Baynes schmunzelte.
»Ich war mir sicher, daß Henderson, wie der Mann sich nennt, ahnte, daß man ihn verdächtigte, und, solange er sich in Gefahr fühlte, ruhig bleiben und keine weiteren Schritte unternehmen würde. Ich ließ den falschen Mann festnehmen, damit er sich in dem Glauben wiegte, wir kümmerten uns nicht mehr um ihn. Ich rechnete damit, daß er sich dann verdrücken würde und wir eine Chance hätten, an Miss Burnet heranzukommen.«
Holmes legte dem Inspektor die Hand auf die Schulter.
»Sie werden es weit bringen in Ihrem Beruf; Sie haben Instinkt und Intuition«, sagte er.
Baynes errötete vor Freude.
»Ich hatte die ganze Woche über einen Beamten in Zivil am Bahnhof stehen. Wo immer die Leute von High Gable hingehen mögen, er wird sie nicht aus den Augen verlieren. Aber er muß sich in einer Zwickmühle gefühlt haben, als Miss Burnet sich losgerissen hat. Nun, wie dem auch sei, Ihr Mann hat sie ja dann aufgegabelt, und die Sache ist gut ausgegangen. Ohne ihre Aussage können wir keine Verhaftung vornehmen, so viel steht fest; je eher sie also sprechen kann, desto besser.«
»Sie kommt mit jeder Minute mehr zu Kräften«, sagte Holmes mit einem Blick auf die Gouvernante. »Aber sagen Sie mir, Baynes, wer ist denn dieser Henderson?«
»Henderson«, erwiderte der Inspektor, »ist Don Murillo, einstmals genannt ›Der Tiger von San Pedro‹.«
Der Tiger von San Pedro! Blitzartig fiel mir die ganze Geschichte dieses Mannes wieder ein. Den Namen hatte er sich erworben als sittenlosester und blutrünstigster Tyrann, der je ein Land, das sich zur Zivilisation zählte, regiert hatte. Stärke, Furchtlosigkeit und Tatkraft waren die Tugenden, dank denen es ihm gelang, einem sich ohnmächtig duckenden Volk zehn oder zwölf Jahre lang eine Herrschaft des abscheulichsten Lasters aufzuzwingen. Er war der Schrecken ganz Zentralamerikas. Schließlich kam es zu einer allgemeinen Erhebung gegen ihn. Doch war er ebenso gerissen wie grausam, und bei den ersten Gerüchten von aufkommenden Unruhen ließ er insgeheim all seine Schätze auf ein mit getreuen Anhängern bemanntes Schiff bringen. Der Palast, den die Aufständischen tags darauf stürmten, war leer. Der Diktator, seine zwei Kinder, sein Sekretär und all seine Reichtümer waren ihnen entwischt. Von jenem Tag an war er wie vom Erdboden verschluckt, und seine Identität hatte in der europäischen Presse seither des öftern zu Spekulationen Anlaß gegeben.
»Jawohl, Sir, Don Murillo, der Tiger von San Pedro«, wiederholte Baynes. »Wenn Sie nachschlagen, so werden Sie herausfinden, daß die Nationalfarben von San Pedro Grün und Weiß sind, dieselben Farben wie in der Nachricht, Mr. Holmes. Henderson hat er sich genannt, aber ich hab seine Spur zurückverfolgt, über Paris, Rom und Madrid bis nach Barcelona, wo sein Schiff anno 86 angekommen ist. Die ganze Zeit über haben sie ihn gesucht, um Rache an ihm zu nehmen, aber erst kürzlich sind sie ihm auf die Schliche gekommen.«
»Aufgespürt haben sie ihn schon vor einem Jahr«, sagte Miss Burnet, die sich aufgesetzt hatte und dem Gespräch aufmerksam folgte. »Es wurde schon einmal ein Anschlag auf ihn verübt, aber irgendein böser Dämon muß ihn beschützt haben. Und auch jetzt wieder ist es der edle, wackere Garcia, der sein Leben lassen mußte, während dieses Ungeheuer unversehrt davongekommen ist. Aber ein anderer wird kommen, und danach wieder ein anderer, bis der Gerechtigkeit eines Tages Genüge getan ist; das weiß ich so gewiß, wie daß die Sonne morgen wieder aufgeht.« Ihre mageren Hände ballten sich zu Fäusten, und ihr abgezehrtes Gesicht wurde weiß vor leidenschaftlichem Haß.
»Aber was haben denn Sie mit dieser Sache zu tun, Miss Burnet?« fragte Holmes. »Wie kommt eine englische Lady dazu, sich an einem solch mörderischen Unternehmen zu beteiligen?«
»Ich nehme daran teil, weil es auf dieser Welt keinen anderen Weg gibt, Gerechtigkeit zu erlangen. Was schert sich das englische Gesetz um die Ströme von Blut, die vor Jahren in San Pedro vergossen wurden, oder um die Schiffsladung von Schätzen, die СКАЧАТЬ