Название: Nibelar - Die Gruft
Автор: Christine Troy
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783960743149
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„Herrje, Raja, da seid Ihr ja endlich! Ich habe bereits das halbe Schloss nach Euch abgesucht“, japste sie keuchend. „Kommt, schnell! Der Stadtherr Horgard und Euer Gemahl Ranon streiten sich ganz fürchterlich.“
„Was, was sagst du da? Sie streiten?!“
„Ja, Herrin.“
„Und weshalb? Geht es etwa schon wieder um den nördlichen Zufluss des Silberbachs?“
„Nein, Herrin, diesmal nicht.“
„Um was geht es dann?“
„Ich habe leider nicht das ganze Gespräch mitbekommen, doch hörte ich allerlei über eine Art Restschuld, die König Algar scheinbar schon vor Jahren hätte begleichen müssen.“
„Was für eine Restschuld? Und wofür denn bitte?“
„Rauerz ... glaube ich. Zwei Fuhren davon. Während die Zahlung der ersten Fuhre gleich bei ihrer Ankunft geleistet wurde, so steht laut dem Stadtherrn die Gebühr der zweiten bis heute noch aus.“
„Ach ja? Und wie hoch soll diese Restschuld sein?“
„Fünfzig Goldbruchtaler und dreißig Silbersichelgroschen.“
„Was?! Mein Onkel würde nie ...“ Wutschnaubend unterbrach sich Raja selbst, zwang sich, tief durchzuatmen, und sagte dann mit kontrolliert ruhiger Stimme: „Also gut, wo findet das Treffen statt? Im Thronsaal, in der Steinerzhalle, in Algars Besprechungsräumen? Weißt du was ... bring mich einfach hin. Komm, beeil dich!“
Die Zofe nickte eingeschüchtert, bedeutete Raja, ihr zu folgen, und führte sie von ihrem Schlafgemach in einen langen, von spärlichem Tageslicht erhellten Gang. Dann ging es durch einen schicken Speisesaal, die Küche und einen weiteren Gang zum Thronsaal, wo Raja bereits einige tiefe Stimmen schimpfen hören konnte. Die Zofe geleitete Raja bis zu einem steinernen Türbogen, der am Ende des Thronsaals in einen benachbarten Raum führte.
Es war eine weitläufige Halle mit einer hohen elfenbeinweißen Kuppeldecke, dunklem Marmorboden und grauen Steinwänden. Vier mannshohe, in Silber gehaltene Kerzenständer waren in den Ecken aufgebaut. Zu beiden Seiten Rajas hingen edle, wohl schon jahrhundertealte Waffen an den Wänden – wahre Raritäten und allesamt Meisterwerke. Das mit Abstand kunstvollste Stück im Saal prangte jedoch an der Wand vor ihr: Felsstadts Wappen. Ein königlich blauer, aus Seidenstoff gefertigter Schild. Umrandet und bestickt mit feinstem Goldgarn. Auf dem blauen Hintergrund befand sich ein kräftiger Steinbock mit stolz erhobenem Haupt und prächtigen aus dem Rücken wachsenden Schwingen. Über dem edlen Tier glänzte eine Krone und rechts sowie links von ihm standen die Ziffern 1, 12 und 305. Ungefähr mittig im Raum, ein gutes Stück vor dem Wappen, war eine große Zirbenholztafel aufgebaut worden. Und dort, um den Tisch herum, saßen sie, die Oberhäupter des Selatog-Gebirges.
Am Kopf der Tafel saß Ranon, das Gesicht vor Wut gerötet, die Augen zu Schlitzen verzogen. Zu seiner Rechten saß Grimmbard – Oberhaupt von Felsstadts Königswache und treuer Berater Algars. Der rothaarige Grimmbard hatte die Brauen streng zusammengezogen und die Lippen unter dem gepflegten Vollbart zu einem wütenden Strich verkniffen. Den Sessel Ranon gegenüber besetzte der fischäugige Horgard, welcher seinen Gastgeber mit geringschätzigem Blick maß. Die vier Gefolgsleute – gut gebaute junge Zwergenmänner, die Horgard zum Treffen mitgebracht hatte – standen lässig und mit abfälligem Grinsen hinter ihrem rundlichen Herrn, der sich soeben das kinnlange, fettige Haar aus der Stirn strich. Die Stimmung am Tisch schien zum Zerbersten angespannt.
Einzig Terdan, Zwergenruhs Ältester, schien der ganze Trubel kaltzulassen. Er starrte gelangweilt in die Runde, während seine beiden Begleiter – ein hochgewachsener schlaksig wirkender Mann und ein krummnasiger grau melierter Zwerg – in gespannter Haltung das Gespräch am Tisch verfolgten.
„Nun ...“, sagte Ranon schließlich gezwungen höflich und schob eine vergilbt aussehende Pergamentrolle von sich. „Ich kann mich nur wiederholen. Auch wenn dieses Schriftstück etwas anderes besagt, so bin ich mir dennoch sicher, dass die gesamte Summe bezahlt wurde. Es muss sich also um ein Missverständnis handeln. Abgesehen davon wage ich zu behaupten, dass jeder hier König Algar gut genug kennt, um zu wissen, dass er seine Handelsschulden seit Gedenken stets und ohne Aufschub beglichen hat.“
Der fischäugige Horgard stemmte die geballten Fäuste auf den Tisch, beugte sich über die Platte und knurrte: „Es scheint mir, junger Herr Ranon, dass Ihr den alten Algar nicht annähernd so gut kennt, wie Ihr denkt. Er ist nämlich ein übles Schlitzohr, ein ausgefuchster ...“
„Halt!“, donnerte Rajas vor Wut bebende Stimme durch die Halle. „Wie könnt Ihr es wagen, in Abwesenheit des Königs, noch dazu in dessen eigenen Hallen, so über ihn zu sprechen?“ Mit zornrotem Gesicht schritt die Zwergin auf den verdattert dreinblickenden Horgard zu. „Dass Ihr es wagt! Dass Ihr, Horgard von Selatog, Euch dessen erdreistet! Wo es doch Algar selbst war, der Euch in Eurer schwersten Stunde treu zur Seite stand.“ Kochend vor Wut hatte sich Raja vor dem schmerbäuchigen Zwerg aufgebaut. Für einen kurzen Moment hüpfte ihr Blick zu ihrem Gatten und entschuldigend sagte sie zu ihm: „Tut mir leid, Ranon, mein Liebling. Du hattest recht, wir hätten diesen schmierigen Abkömmling einer wild gewordenen Wemarin nicht einladen sollen. Bitte entschuldige, ich hätte auf dich hören sollen.“ Dann schwenkte Rajas Blick zurück auf den Fischäugigen. Sie biss die Zähne zusammen. „Du ...“, zischte sie und Horgards Gefolgsleute wichen einen Schritt zurück. „Ich rate dir und deinem Gesindel, so schnell wie möglich Felsstadt zu verlassen.“
Da der Schmalzhaarige keinerlei Anstalten machte sich zu erheben, schnippte Raja mit den Fingern. Ein leises, metallisches Geräusch erklang, und im nächsten Moment schritten zwei in dicke Rüstungen gehüllte und mit langen Schwertern bewaffnete Wachen aus einem benachbarten Raum in den Saal.
„Und was Eure sogenannte Restschuld betrifft“, ergänzte die Zwergin kühl, „betrachte ich sie als damit beglichen, dass ich Euch und Euer Pack am Leben lasse.“ Sie schwieg einen Augenblick, setzte ein gestelltes Lächeln auf und sagte dann mit honigsüßer Stimme: „Und nun, Horgard, wünsche ich Euch eine angenehme Heimreise.“ Noch bevor die beiden Königswachen den untersetzten Stadtherren erreicht hatten, erhob sich dieser und eilte, gefolgt von seinen Anhängern, in Richtung Ausgang.
„Ach, Horgard!“, rief Raja ihm nach. „Ihr habt noch etwas vergessen.“ Sie schwenkte das vergilbte Pergament durch die Luft.
„Behaltet es“, knurrte er.
„Na schön, wie Ihr wollt. Ach ... und Horgard?“, rief die Zwergin, noch ehe sich dieser umdrehen und davongehen konnte. „Ich rate Euch, es nie wieder zu wagen, in solch einem Ton über meinen Onkel zu sprechen. Sollte mir dennoch anderes zu Ohren kommen, so seid versichert, dass ich mich nicht davor scheuen werde, Euch die Königswache auf den Hals zu hetzen.“
Horgards Miene verfinsterte sich. Einer seiner Begleiter, ein äußerst aggressiv wirkender Zwerg mit struppigem schwarzem Haar und buschigen Augenbrauen, griff nach seinem Schwert. Doch noch ehe er es aus der Scheide ziehen und zum Streich ausholen konnte, erhob der Stadtherr die Stimme.
„Nein, Torgram, noch nicht ... noch nicht.“
Torgram ließ mit einem unwilligen Knurren von seinem Schwert ab, bedachte Ranon mit einem hasserfüllten Blick und folgte dann seinem Herrn und dessen restlichen Gefolgsleuten aus dem Saal.
„Hmm“, СКАЧАТЬ