Название: Waidmannsruh
Автор: Alexandra Bleyer
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Sepp Flattacher
isbn: 9783960416456
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Selbstverständlich dachte Sepp keinen Augenblick daran, den bereits geformten Schneeball zu verschwenden. Er wartete, bis der Herr Nachbar den Zaun fast erreichte hatte, und … Na bitte! Ein Zehner! Er hatte es noch drauf!
»Aua!«
»Geh, das hast ja gar nicht gespürt durch die Jacke, du Eskimo, du!«
Nett, wie Sepp war – die Nachwehen der wehmütigen Weihnachtsstimmung? –, hatte er nur auf Beltens Brust gezielt, statt ihm den Schneeball mitten ins Gfris zu knallen, wie er es verdient hätte.
»Inuit. Das heißt Inuit. Ich hab eine Doku im Fernsehen gesehen, zur politisch korrekten Sprache. Die haben Paul Watzlawick zitiert, ›Sprache schafft Wirklichkeit‹. Und Eskimo sagt man nicht mehr.«
Belten putzte sich mit seinen Wurstfingern den Schnee von der Jacke.
»Aber Depp darf ich zu dir noch sagen? Was ist mit Toker? Todl?«
»Ach, hör doch auf«, murrte Belten nur.
Sepp hätte noch genügend treffende Bezeichnungen für Belten auf Lager gehabt, aber wenn der sich nicht darüber ärgerte, hatte das keinen Reiz.
»Seit wann hast du denn eine Schneefräse?«
»Ein Weihnachtsgeschenk von der Carola. Damit ich es leichter habe im Winter. Wir werden ja nicht jünger, gell? Wenn du sie dir ausborgen möchtest –«
»Meinst, ich bin schon so altersschwach wie du, dass ich keine Schneeschaufel mehr halten kann? Und für das Pazl Schnee reicht a Besen a!«
Kopfschüttelnd wandte sich Sepp ab. Er war jedoch keine drei Schritte gegangen, als etwas auf seiner Schulter aufklatschte. Irritiert tastete er danach. Es war etwas … Matschiges. Kaltes. Nasses.
Ungläubig fuhr er herum.
Doch den Belten sah er nur noch von hinten, wie er davonrannte. Na warte!
Seine Rachepläne mussten aber vorerst aufs Abstellgleis, denn als er ins Haus zurückgekehrt sein Handy aus der an der Garderobe aufgehängten Jacke kramte, piepste es. Über das Display zog sich ein gewaltiger Schrick. Das Glump war eindeutig einmal zu viel abgestürzt, aber mit ein bisserl Tixo konnte man fast alles reparieren. Sepp war nicht bereit, sich ein Neues zu kaufen, so lange es noch funktionierte, zumal er sich nach Jahren endlich an das Modell gewöhnt hatte und es so halbwegs bedienen konnte. Das SMS vom Jagdkameraden Walter Liebetegger konnte er auch so zum größten Teil entziffern. »Einserhirsch« und »16 Enden« stand da und was von »Hirsch feiern« beim Walter daheim.
Da musste er wohl oder übel ausrücken, allein schon um zu prüfen, ob das richtige Stück erlegt worden war. Gerade den jüngeren unter den Jagdkameraden traute er so ziemlich alles zu, nur nichts Gutes. Pfeif aufs Vertrauen! Ohne Kontrolle ging gar nichts. Oder wie war das mit dem Jäger, der ganz stolz auf Gas und Kitz geschossen hatte und beim Aufklauben feststellte: Oha, es waren doch Tier und Kalb! Wie man Rehe – selbst auf größere Entfernung – mit Hirschen verwechseln konnte, war Sepp schleierhaft. Aber mit solchen Idioten hatte er es im Verein zu tun, und deshalb war er nun gezwungen, sein gemütliches Haus zu verlassen.
Er füllte noch die Hundeschüssel mit frischem Wasser und zog sich warm an. Dann ging es den Pfaffenberg runter und auf der Bundesstraße nach Rojach. Nur kurz ärgerte er sich über einen jugendlichen Raser, der ihn nach dem westlichen Ortsende von Obervellach mit seinem PS-starken Audi Quattro überholte und dann abrupt in die Eisen stieg. Sepp bremste leicht ab, um erkennen zu können, welcher von den Kieberern so übereifrig war, bei den Temperaturen Radar zu messen. Eh klar! Gerhard Koller, mit dem er schon oft genug zu tun gehabt hatte. Sepp winkte mit dem Mittelfinger und hoffte, dass der Abgezwickte sich die Klåppan abfror!
4
Vinzenz krallte seine Finger um das Lenkrad. Er hatte lange mit sich gerungen, ob er Walters Einladung zum Hirschfeiern folgen sollte oder nicht. Er stellte das Auto am Straßenrand ab – Walters Hauseinfahrt war schon von anderen Fahrzeugen zugeparkt – und legte sich die Hand auf den Bauch. Ärger wie dieser schlug ihm immer auf den Magen. Er hatte vermutlich schon ein Geschwür. Oder einen Krebs. Gleich am nächsten Montag würde er zum Arzt und für mindestens eine Woche in den Krankenstand gehen.
Er hasste Konfrontationen und ging einem Streit aus dem Weg, wo er nur konnte. Böse Zungen behaupteten, er ließe sich unterbuttern, so wie im Job, wo er bei Beförderungen regelmäßig übergangen wurde. In diesem Fall war er aber sicher, dass nicht er es war, der den Kampf mit Walter ausfechten musste; oh nein. Es genügte voll und ganz, Sepp über Walters Verstoß gegen das Jagdgesetz zu informieren, und dann würde der dem Hundling den Kopf herunterreißen, während Vinzenz händereibend danebenstand. Ha! Da ging es seinem Magen gleich ein wenig besser.
Walters Haus präsentierte sich strahlend weiß; nur Dach und Fenster waren dunkel, beinahe schwarz. Das Innere des Hauses war nicht weniger nobel, denn Walters bessere Hälfte Manuela hatte einen guten und vor allem teuren Geschmack, zumindest, was Gegenstände betraf. Mit Walter hatte sie seiner Meinung nach keine so gute Wahl getroffen. Allerdings war klar, dass die beiden die mit bunten Glaseinlagen verzierte Haustür nicht für einen Haufen angetrunkener Jäger aufsperren würden, oh nein. Für sie hieß es, den Weg an der Garage vorbei zum Anbau einzuschlagen, wo sich Walter ein kleines Reich eingerichtet hatte, das jedes Jägerherz höherschlagen ließ. Als Geschäftsführer im familieneigenen Baumarkt in Obervellach saß Walter an der Quelle: Der großzügige Raum für die Wildverarbeitung war weiß gefliest, die Edelstahlarbeitstische aufgeräumt. An den Wänden waren die notwendigen Werkzeuge in Reih und Glied aufgehängt. Die Kühlkammer selbst bot reichlich Platz für ein paar Stück Wild; durch ein schmales Sichtfenster konnte man hineinschauen.
Aus einem Radio drangen moderne Schlager, von den Fleischhaken baumelten Girlanden und Luftschlangen. Vermutlich war es Manuela gewesen, die versucht hatte, etwas Partystimmung in den steril und kalt wirkenden Raum zu bringen. Von Kopf bis Fuß in lila gekleidet und mit High Heels an den Füßen, für die man einen Waffenschein bräuchte, stach sie unter all den grün gewandeten Waidmännern und -frauen hervor. Vinzenz konnte seinen Blick kaum von ihr lösen. Das dunkelblonde Haar fiel ihr offen in Wellen auf die Schultern, mit ihrer Figur würde sie in den »Playboy« passen, und ihr Gesicht könnte das eines Engels sein, wenn sie nur etwas lieblicher dreinschauen würde. Nicht so missmutig wie gerade jetzt. Man merkte ihr deutlich an, wie verloren sie sich unter all den Jägern fühlte und dass sie die Minuten zählte, bis die unwillkommenen Gäste wieder gingen.
Sie gesellte sich auch nicht zu den anderen, die mehrheitlich bereits an den Biertischen saßen, sondern stand abseits in der Ecke. Vinzenz hätte sie gern angesprochen, aber er wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Außerdem war sie mit Walter verheiratet. Das ernüchterte ihn schlagartig.
Leider war Sepp Flattacher noch nicht da, wie Vinzenz enttäuscht feststellte. Er nahm sich ein Bier aus einer der am Boden stehenden Kisten.
»Vinz«, begrüßte Reini Hader ihn. »Hast den Hirsch schon gesehen?«
»Früher als du«, murrte er und sah sich suchend um.
»Du bist doch gerade erst gekommen«, erwiderte Reini verwirrt.
Er war nicht der Hellste, aber schlau genug, um zu schnallen, was Vinzenz brauchte, denn er drückte ihm einen Bieröffner in die Hand.
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