Название: Schattengeister
Автор: Frances Hardinge
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги для детей: прочее
isbn: 9783772541445
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Es war nicht leicht, wach zu bleiben, aber Makepeace zwickte sich unentwegt und marschierte auf und ab, bis die langen, dunklen Stunden der Nacht dem grauen Morgenlicht wichen. Sie fühlte sich zittrig und schwach, und ihr Geist war wund und aufgeschrammt, aber sie hatte überlebt.
Mutter kam kurz vor dem Morgendämmern, um sie abzuholen. Schweigend und mit gesenktem Kopf folgte ihr Makepeace nach Hause. Sie wusste, dass Mutter für alles, was sie tat, ihre Gründe hatte. Aber zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte Makepeace, dass sie ihr nicht vergeben konnte, und danach war nichts mehr wie früher.
Von da an brachte Mutter Makepeace ungefähr einmal im Monat auf den Friedhof. Manchmal vergingen fünf oder sechs Wochen, und Makepeace hegte die Hoffnung, dass Mutter die Sache aufgegeben hätte. Doch dann bemerkte Mutter, dass es wohl eine warme Nacht werden würde, und Makepeace wurde das Herz schwer, weil sie wusste, was auf sie zukam.
Makepeace wehrte sich nicht länger. Die Erinnerung daran, wie sie in jener ersten Nacht gejammert und gefleht hatte, bereitete ihr Übelkeit.
Wenn ein Mensch seinen Stolz über Bord wirft und aus ganzem Herzen um etwas bittet und diese Bitte abgeschlagen wird, ist er nie mehr derselbe. Etwas in ihm stirbt, und etwas anderes erwacht zum Leben. Es war, als ob Makepeace mit einem Mal die Welt begriffen hätte, als wäre etwas in ihre Seele gesickert wie Wintertau. Sie wusste, dass sie sich nie wieder so geborgen oder geliebt fühlen würde wie früher. Und sie wusste, dass sie nie, nie im Leben wieder so flehentlich betteln würde.
Und so folgte sie ihrer Mutter jedes Mal widerspruchslos und mit leerem Gesicht auf den Friedhof. Sie hatte etwas von der kleinen Maus in der Kapelle gelernt. Die Geister waren keine grausamen Halbwüchsigen, die es zu überzeugen galt. Es waren Raubtiere, und sie war die Beute, und sie musste stur, stark und hellwach bleiben, um zu überleben. Niemand würde ihr zu Hilfe kommen.
Millimeter für Millimeter errichtete sie einen Schutzwall um sich herum. Der Regen prasselte, und ihr Atem zischte in der kalten Luft; Makepeace sprach selbst ausgedachte Gebete und erfand Bannsprüche. Sie lernte, sich dem Kratzen und Knuffen der Geister entgegenzustemmen und zurückzuschlagen, obwohl der Kontakt mit den Toten ihr den Magen umdrehte. Sie sah sich als Judith aus der Bibel, die mit ihrem geborgten Schwert, an dem das Blut des Generals klebte, im feindlichen Lager stand. Wenn ihr mir zu nahe kommt, drohte sie den flüsternden Stimmen, dann haue ich euch in Stücke.
Die lebendigen Wesen, die in der Nacht auf dem Friedhof unterwegs waren, halfen ihr, Ruhe und ihren Verstand zu bewahren. Das Rascheln im Gebüsch, unheimliche, flötende Vogelschreie, die Schatten von Fledermäusen – all das war ihr ein Trost. Sogar ihre Klauen und Zähne waren offen und ehrlich. Lebende und tote Menschen mochten sich unversehens auf einen stürzen, aber diese Wesen lebten einfach ihr grausames, wildes Leben, ohne sich um einen zu scheren. Wenn sie starben, hinterließen sie keine Geister. Wenn eine Maus von einer Katze getötet wurde, wenn einem Huhn der Hals umgedreht oder ein Fisch aus dem Fluss gezogen wurde, dann sah Makepeace, wie die hauchzarten Fäden ihrer Lebensgeister davongeweht wurden wie Morgennebel.
Der Groll, der in Makepeace brodelte, brauchte ein Ventil. Statt sich über die nächtlichen Ausflüge zu beklagen, stritt Makepeace mit ihrer Mutter über andere Dinge, widersetzte sich ihr und stellte verbotene Fragen, wie sie es nie zuvor getan hatte.
Insbesondere fragte sie nach ihrem Vater. Bislang hatte Mutter ein solches Ansinnen stets mit einem Blick abgeschmettert und Makepeace hatte sich stets mit den kleinen Details zufriedengegeben, die ihre Mutter unabsichtlich preisgab. Er lebte weit weg in einem alten Haus. Er wollte Mutter und Makepeace nicht bei sich haben. Plötzlich reichte ihr das nicht mehr, und sie war wütend auf sich, dass sie früher zu viel Angst gehabt hatte, um auf Antworten zu bestehen.
«Warum willst du mir seinen Namen nicht sagen? Wo lebt er? Weiß er, wo wir sind? Woher weißt du, dass er uns nicht haben will? Kennt er mich überhaupt?»
Mutter beantwortete diese Fragen nicht, aber ihre wilden Blicke schüchterten Makepeace nicht länger ein. Keine von beiden wusste, was sie mit der anderen anfangen sollte. Seit Makepeaces Geburt hatte Mutter immer alle Entscheidungen getroffen und Makepeace war ihr in allem gefolgt. Makepeace wusste selbst nicht, warum sie nicht länger stillhalten konnte. Margaret dagegen hatte nie lernen müssen, Kompromisse zu schließen, und sie wusste nicht, wo sie anfangen sollte. Wenn sie Makepeace mit der Wucht ihrer Persönlichkeit in die Knie zwang, würde doch gewiss wieder alles so werden wie früher, nicht wahr? Nein, würde es nicht. Alles hatte sich verändert.
Und dann, zwei Jahre nach ihrem ersten «Stockspitzen», kehrte Makepeace von einer besonders schlimmen, schlaflosen Nacht in der Kapelle heim. Sie zitterte am ganzen Leib. Ein paar Tage danach brannte sich das Fieber durch ihren Körper, und jeder Muskel in ihrem Leib tat ihr weh. Zwei Wochen später war ihre Zunge fleckig und Pockenpusteln blühten auf ihrem Gesicht.
Die Welt war heiß und schrecklich, und Makepeace ertrank in einer erstickenden, abgrundtiefen Angst. Sie wusste, dass sie wahrscheinlich sterben würde, und sie wusste, was aus toten Wesen wurde. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen, und manchmal fragte sie sich, ob sie vielleicht schon tot war. Aber die schwarze Flut der Krankheit zog sich allmählich zurück und ließ sie am Leben. Übrig blieben nur ein, zwei kleine Pockennarben auf einer Wange. Jedes Mal, wenn sie ihr Spiegelbild im Wassereimer sah, spürte sie einen kleinen, angstvollen Stich im Magen und stellte sich vor, wie der Tod mit zwei Knochenfingern nach ihrem Gesicht gegriffen und dann langsam die Hand wieder weggezogen hatte.
Nachdem sie sich erholt hatte, vergingen drei Monate, ohne dass Mutter den Friedhof erwähnte. Makepeace nahm an, dass die Pocken ihre Mutter schließlich zu der Einsicht gebracht hatten, dieses Projekt aufzugeben.
Unglücklicherweise irrte sie sich.
KAPITEL 2
An einem angenehmen, sonnigen Tag im Mai machten sich Makepeace und Mutter auf den Weg in die Stadt, um Mutters Klöppelarbeiten zu verkaufen. Der Frühling war mild, aber in London brodelte und knisterte es wie bei einem Gewitter. Makepeace wünschte sich weit weg.
Nicht nur Makepeace hatte sich verändert und war zorniger geworden, das Gleiche galt auch für Poplar und London. Und wenn man dem Geschwätz der jungen Lehrburschen glauben wollte, war es überall im ganzen Land so.
In den Gebetsstunden hatte Nanny Susan mit ihrer roten Nase schon immer Visionen vom Ende der Welt zum Besten gegeben – ein Meer, rot von Blut, und das mit der Sonne bekleidete Weib aus der Bibel, das durch die High Street von Poplar ging. Aber jetzt redeten auch andere auf die gleiche Art und Weise. Es wurde gesagt, dass vor ein paar Jahren während eines Sommersturms die Wolkenberge die Gestalt von zwei mächtigen Armeen angenommen hatten. Und jetzt herrschte die düstere Vorahnung, dass tatsächlich zwei feindliche Armeen aufgestellt wurden.
Die Leute von Poplar waren seit jeher inbrünstig dem Gebet zugetan gewesen, aber jetzt beteten sie wie ein belagertes Volk. Alle hatten das Gefühl von einer Bedrohung, die das ganze Land zu überrollen drohte.
Makepeace konnte sich nicht alle Einzelheiten merken, aber sie begriff das Wesentliche. Die intriganten, teuflischen Katholiken wollten König Charles verführen und ihn zur Abkehr von seinem Volk bewegen. Die braven Männer des Parlaments versuchten, ihn zur Vernunft zu bringen, aber er hörte nicht länger auf sie.
Niemand wollte dem König direkt die Schuld geben. Das СКАЧАТЬ