Название: Alles aus Neugier
Автор: Georg Markus
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783903217393
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Zu meinen Informanten in Sachen Enkel der Tante Jolesch zählte auch Marcel Prawy, den ich nicht nur als klugen, gebildeten, menschlich wertvollen Freund in Erinnerung behalten habe, sondern auch wegen seines einzigartigen Humors. Und so erzähle ich Ihnen jetzt eine Geschichte, in der er selbst mitspielt. Prawy und der Kritiker Hans Weigel waren zeitweise gar nicht gut aufeinander zu sprechen. Das muss man wissen, um die folgende Episode, die sich Ende der 1950er-Jahre im Café Volksoper zugetragen hat, verstehen zu können.
Als Weigel dort eines Abends neben der Schauspielerin Louise Martini saß, betrat ein stattlicher Herr das Lokal und grüßte sehr höflich – zuerst Louise Martini und dann Hans Weigel. Worauf die beiden den Gruß ebenso höflich erwiderten.
Kaum war der stattliche Herr außer Sichtweite, fragte Weigel – der extrem kurzsichtig war und daher oft gleichzeitig mehrere Brillen auf Stirn und Nase platziert hatte –, Weigel also fragte seine Tischnachbarin, wer der Herr gewesen sei, den sie gerade gegrüßt hätten.
»Das war der Prawy«, antwortete Louise Martini.
Kaum hatte Weigel diese Auskunft erhalten, begann er aufgeregt in seiner Aktentasche nach irgendwelchen Papieren zu suchen. Als er sie endlich gefunden hatte, sprang er auf und lief Prawy nach. Sobald er ihn eingeholt hatte, hielt er diesem die mitgebrachten Unterlagen vors Gesicht und sagte:
»Das sind ärztliche Atteste, die bescheinigen, dass ich schlecht sehe. Nur so konnte es passieren, Herr Doktor Prawy, dass ich Sie gegrüßt habe.«
Sprach’s und ging – diesmal selbstverständlich grußlos – zurück an seinen Tisch.
Auch unter den Sängern der Wiener Staatsoper findet sich manch unvergleichliches Original. So gab es einen Episodisten namens Alfred Muzzarelli, der sein Leben lang »auf Star studierte«, ohne je einer geworden zu sein. Muzzarelli war trotz seines italienisch klingenden Namens ein waschechter Wiener. Er liebte die Frauen, wobei ihm Augen, Haarfarbe und Figur weniger bedeutsam erschienen, als das eine nur: Sie mussten wesentlich älter sein als er! Als ihm eines Tages ein Kollege, den Tränen nahe, mitteilte, dass ihn die Freundin verlassen hatte, fand Muzzarelli tröstende Worte: »Mach dir nix draus, andere Töchter haben auch schöne Mütter!«
Ioan Holender ist als längstdienender Direktor in die Geschichte der Wiener Staatsoper eingegangen. Im ersten Jahr stand er jedoch im Schatten des eigentlichen Direktors Eberhard Waechter. Erst nach dessen plötzlichem Tod im März 1992 übernahm Holender die alleinige Leitung des Hauses. Aber bis dahin war er selbst im Opernhaus bei Weitem nicht so bekannt wie später.
Der Zuschauerraum war bereits abgedunkelt, als Holender eines Abends zu spät in eine Vorstellung kam. Die Ouvertüre hatte schon begonnen, da schlich der Co-Direktor zu seiner Loge im ersten Rang. Leider hatte er die Rechnung ohne den Platzanweiser gemacht. Der hielt ihn am Rockzipfel fest und flüsterte: »Ihre Karte bitte!«
Der Direktor flüsterte zurück: »Ich bin Holender!«
Darauf der Billeteur: »Ticket please!«
Ohne Politiker könnten wir nicht leben – zumindest im anekdotischen Bereich. Bundeskanzler Julius Raab wurde von Freunden »der große Schweiger« genannt – weil er nur das Allernotwendigste sprach und viel lieber zuhörte. Eines Tages fuhr Raab mit dem Auto von Wien nach Vorarlberg. Im niederösterreichischen Tullnerfeld sagte sein Sekretär, mit einem Blick auf die umliegenden Felder: »Das Getreide steht heuer schon ganz schön hoch.« Bis knapp vor Feldkirch wurde kein Wort mehr gewechselt, dann endlich meinte Raab: »Do aa!«
Das war die gesamte Konversation während einer Fahrt von 600 Kilometern.
Nun zu einer Geschichte über Bruno Kreisky, die mir der damalige Bundespräsident Thomas Klestil erzählte, der Mitte der 1980er-Jahre in seiner Funktion als österreichischer Botschafter in den USA Zeuge der folgenden Episode geworden war.
Kreisky kam, als Regierungschef schon in Pension, aber in Sachen Weltpolitik immer noch unterwegs, zu einem Kongress nach Washington. Klestil holte ihn vom Flughafen ab und begleitete ihn, vom Chauffeur der Botschaft gefahren, in sein im Zentrum der Hauptstadt gelegenes Hotel. Als Kreisky unterwegs eine Filiale der englischen Firma Burberry entdeckte, bat er den Fahrer, kurz anzuhalten.
Der bärtige Altkanzler stieg aus dem Wagen, holte einen Plastiksack aus dem Kofferraum und betrat, gemeinsam mit Klestil, das Geschäft. An der Tür fragte Kreisky den Botschafter noch schnell: »Sag, was heißt Schlapfen auf Englisch?«
Klestil flüsterte ihm in korrekter Übersetzung das Wort Slippers zu, worauf Kreisky aus dem mitgebrachten Plastiksack ein Paar Hausschuhe hervorholte und zum Verkäufer sagte: »Ich habe vor einiger Zeit in Ihrer Filiale in London diese Schlapfen – these slippers – gekauft. Leider sind sie zu groß, könnten Sie sie umtauschen?«
In dem Geschäft, erinnerte sich Klestil, herrschte sogleich rege Betriebsamkeit, im Zuge derer man sich redlich bemühte, dem alten Herrn verschiedenste Größen desselben Modells vorzuführen.
Kreisky probierte eine ganze Reihe von Hausschuhen, betrachtete sie vor dem Spiegel, prüfte ihre Passform, ging mit ihnen auf und ab. Und brummte nach einem guten Dutzend derartiger Versuche: »So, die da passen – these slippers fit!«
Worauf der Verkäufer entgegnete: »Sir, das sind die Schuhe, die Sie mitgebracht haben!«
Wir befinden uns zwar noch im Bereich der Politik, begegnen hier aber dem einst berühmten Psychiater, Terror- und Aggressionsforscher Friedrich Hacker, mit dem ich bis zu dessen Tod im Jahre 1989 befreundet war. Er hatte Ende der 1960er-Jahre die Idee, in den ehemaligen Wohn- und Ordinationsräumen des »Vaters der Psychoanalyse« ein Sigmund-Freud-Museum zu errichten. Hacker selbst hatte in den 1930er-Jahren noch einige Vorlesungen Freuds an der Universität Wien besucht. Mit der Gründung des Freud-Museums ist eine schöne Geschichte verbunden.
Nachdem es ihm gelungen war, die österreichische Regierung für das Projekt zu gewinnen, schlug Hacker dem damaligen Bundeskanzler Josef Klaus vor, Freuds in London lebende Tochter Anna Freud zur bevorstehenden Eröffnung des Museums in der Wiener Berggasse Nr. 19 einzuladen. Der Regierungschef war sofort einverstanden, bat Hacker jedoch, für ihn den Text des Einladungsbriefes an Anna Freud aufzusetzen, da er selbst nicht recht wüsste, wie die berühmte Tochter eines noch berühmteren Vaters anzusprechen sei und mit welchen Worten eine solche Einladung zu erfolgen hätte.
Professor Hacker, der Anna Freud gut kannte, formulierte den Brief, der dann vom Kanzler unterzeichnet wurde. Eine Woche später läutete Hackers Telefon, am Apparat war Anna Freud. »Stellen Sie sich vor, Doktor Hacker«, sagte sie, »ich habe einen Brief vom österreichischen Bundeskanzler erhalten, in dem er mich zur Eröffnung eines Freud-Museums einlädt. Ich komme natürlich gerne, aber ich habe noch nie einem Bundeskanzler geschrieben, und da wäre meine Bitte an Sie: Könnten Sie so nett sein, für mich das Antwortschreiben aufzusetzen?«
Hacker kam auch dieser Bitte nach. Er antwortete auf seinen eigenen Brief, und Anna Freud unterschrieb. Aus Einladung und Antwort entwickelte sich ein intensiver Schriftverkehr zwischen Josef Klaus und Anna Freud, der sich über mehrere Monate hinzog. Wobei jeder einzelne Brief vom unermüdlichen Friedrich Hacker stammte.
Eine Anekdote, die von zwei großen Komponisten aus Wien handelt, die in Hollywood Karriere gemacht haben, verdanke ich dem langjährigen Wiener Kulturstadtrat Peter Marboe. Es geht um Erich Wolfgang Korngold und Max Steiner. Letzterer zählte zu den Pionieren der amerikanischen Filmmusik: Er schuf Melodien zu Casablanca СКАЧАТЬ