Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
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Читать онлайн книгу Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Honore de Balzac страница 177

Название: Honoré de Balzac – Gesammelte Werke

Автор: Honore de Balzac

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962815226

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СКАЧАТЬ Glie­dern er­ken­nen, wie er in sei­ner Erin­ne­rung leb­te. Wenn der wa­cke­re Ver­fech­ter klas­si­scher Idea­le, der fein­sin­ni­ge Kri­ti­ker und Be­wah­rer des gu­ten Ge­schmacks Lord By­ron ge­le­sen hät­te, hät­te er ge­glaubt, einen Man­fred vor sich zu se­hen, wo er einen Chil­de Ha­rold7 er­war­tet hat­te.

      »Gu­ten Tag, Va­ter Por­ri­quet«, sag­te Ra­pha­el zu sei­nem Leh­rer und drück­te die ei­si­gen Fin­ger des al­ten Man­nes mit sei­ner hei­ßen, feuch­ten Hand. »Wie geht es Ih­nen?«

      »Mir geht es schon gut«, er­wi­der­te der Greis, von der Berüh­rung mit die­ser fie­bern­den Hand er­schreckt. »Und Ih­nen?«

      »Oh! Ich hof­fe, mich bei gu­ter Ge­sund­heit zu er­hal­ten.«

      »Sie ar­bei­ten ohne Zwei­fel an ei­nem schö­nen Werk?«

      »Mein Werk ist ein rein phy­sio­lo­gi­sches Buch.«

      Ra­pha­el er­in­ner­te sich zu spät der wort­rei­chen Ele­ganz und der be­red­ten Um­schrei­bun­gen, an die ein lang­jäh­ri­ges Pro­fes­so­ren­da­sein sei­nen al­ten Leh­rer ge­wöhnt hat­te. Er be­reu­te jetzt fast, ihn emp­fan­gen zu ha­ben; aber in dem Au­gen­blick, als er ge­neigt war, den Al­ten lie­ber wie­der drau­ßen zu se­hen, un­ter­drück­te er has­tig die­sen ge­hei­men Wunsch und warf einen ver­stoh­le­nen Blick auf das Cha­grin­le­der, das vor ihm, auf einen wei­ßen Stoff ge­spannt, hing, auf dem sei­ne pro­phe­ti­schen Kon­tu­ren sorg­fäl­tig mit ei­ner ro­ten Li­nie nach­ge­zo­gen wa­ren, die das Le­der ge­nau ab­schlos­sen. Seit der ver­häng­nis­vol­len Or­gie un­ter­drück­te Ra­pha­el den lei­ses­ten An­flug ei­nes Be­geh­rens und leb­te in ei­ner Wei­se, die dem schreck­li­chen Ta­lis­man nicht das ge­ring­fü­gigs­te Zu­cken ver­ur­sa­chen konn­te. Das Cha­grin­le­der war wie ein Ti­ger, mit dem er le­ben muß­te, ohne sei­ne blut­dürs­ti­gen In­stink­te zu we­cken. Er hör­te also die weit­läu­fi­gen Er­klä­run­gen des al­ten Pro­fes­sors ge­dul­dig an. Va­ter Por­ri­quet brauch­te eine Stun­de, um ihm von den Ver­fol­gun­gen zu er­zäh­len, de­ren Ge­gen­stand er seit der Ju­li­re­vo­lu­ti­on ge­wor­den war. Der bie­de­re Bür­ger hat­te, vom pa­trio­ti­schen Ver­lan­gen nach ei­ner star­ken Re­gie­rung be­seelt, ge­äu­ßert, man möge die Krä­mer in ih­ren Lä­den, die Staats­män­ner in der Lei­tung der öf­fent­li­chen An­ge­le­gen­hei­ten, die Ad­vo­ka­ten im Jus­tiz­pa­last und die Pairs von Frank­reich im Lu­xem­bourg las­sen; aber ei­ner der po­pu­lä­ren Mi­nis­ter des Bür­ger­kö­nigs hat­te ihn des Kar­lis­mus be­schul­digt und ihn von sei­nem Ka­the­der ver­bannt. Der alte Mann war ohne Stel­lung, ohne Ein­künf­te, ohne Brot. Da er für einen ar­men Nef­fen zu sor­gen hat­te, für den er im Se­mi­nar von Saint-Sul­pi­ce die Pen­si­on be­zahl­te, kam er, we­ni­ger für sich selbst als für sei­nen Ad­op­tivsohn, sei­nen ehe­ma­li­gen Schü­ler zu bit­ten, er möch­te sich bei dem neu­en Mi­nis­ter für ihn ver­wen­den. Es war ihm nicht ein­mal um die Wie­der­ein­set­zung in sein frü­he­res Lehr­amt zu tun, son­dern nur um eine Rek­tor­stel­le an ir­gend­ei­nem Pro­vinz­gym­na­si­um. Ra­pha­el war von ei­ner un­über­wind­li­chen Schlaf­sucht be­fal­len, als die ein­tö­ni­ge Stim­me des red­li­chen Al­ten schließ­lich auf­hör­te, in sei­nen Ohren zu tö­nen. Aus Höf­lich­keit hat­te er dem Greis bei des­sen lang­sa­men und um­ständ­li­chen Dar­le­gun­gen in die farb­lo­sen und fast star­ren Au­gen ge­blickt, und eine un­er­klär­li­che Träg­heit war über ihn ge­kom­men und hat­te ihn ma­gne­ti­siert und fast be­täubt.

      »Nun ja, gu­ter Va­ter Por­ri­quet«, er­wi­der­te er, ohne recht zu wis­sen, auf wel­che Fra­ge er ant­wor­te­te, »da kann ich nichts tun, gar nichts. Ich wün­sche leb­haft, es möch­te Ih­nen ge­lin­gen …«

      Mit ei­nem­mal bäum­te sich Ra­pha­el, der gar nicht dar­auf ach­te­te, wel­che Wir­kung die­se ba­na­len, egois­ti­schen und leicht­fer­ti­gen Wor­te auf der gel­ben, runz­li­gen Stirn des Al­ten her­vor­brach­ten, hef­tig auf wie ein auf­ge­scheuch­tes jun­ges Wild. Er be­merk­te eine dün­ne wei­ße Li­nie zwi­schen dem Rand des schwar­zen Le­ders und der ro­ten Kon­tur; er stieß einen so furcht­ba­ren Schrei aus, daß der arme Pro­fes­sor ent­setzt zu­sam­men­fuhr.

      »Fort, al­ter Blö­di­an!« rief er, »Sie wer­den zum Rek­tor er­nannt wer­den! Konn­ten Sie nicht eine Lei­b­ren­te von 1000 Ta­lern er­bit­ten, statt ei­nes der­art mör­de­ri­schen Wun­sches! Dann hät­te Ihr Be­such mich nichts ge­kos­tet. Es gibt 100 000 Stel­len in Frank­reich, und ich habe nur ein Le­ben! Ein Men­schen­le­ben ist mehr wert als alle Stel­len der Welt … Jo­na­thas!«

      Jo­na­thas er­schi­en.

      »Das hast du nun an­ge­stellt, du drei­fa­cher Trot­tel! Wa­rum hast du mir vor­ge­schla­gen, die­sen Herrn da zu emp­fan­gen?« Da­mit wies er auf den Al­ten, der wie ver­stei­nert da­stand. »Habe ich mei­ne See­le in dei­ne Hän­de ge­legt, da­mit du sie in Stücke reißt? Du hast mir in die­sem Au­gen­blick zehn Jah­re mei­nes Le­bens ge­raubt! Noch einen Feh­ler wie den, dann kannst du mich an den Ort brin­gen, wo ich mei­nen Va­ter hin­ge­bracht habe. Da hät­te ich doch wahr­haf­tig bes­ser ge­tan, die schö­ne Fœ­do­ra zu be­sit­zen, als dem al­ten Ge­rip­pe da, die­sem Jam­mer­lap­pen, einen Dienst zu er­wei­sen! Ich habe Gold für ihn ge­nug. Und au­ßer­dem, wenn alle Por­ri­quets in der Welt Hun­gers stür­ben, was küm­mert das mich?«

      Ra­phaels Ge­sicht war vor Zorn fast weiß ge­wor­den; ein leich­ter Schaum trat auf sei­ne zit­tern­den Lip­pen, und in sei­nen Au­gen lag Mord­lust. Bei die­sem An­blick wur­den die bei­den Al­ten von krampf­haf­tem Zit­tern be­fal­len; sie stan­den da wie zwei Kin­der vor ei­ner Schlan­ge. Der jun­ge Mann sank in sei­nen Ses­sel zu­rück; in sei­ner See­le voll­zog sich eine Art Re­ak­ti­on, und in Strö­men flos­sen die Trä­nen aus sei­nen flam­men­den Au­gen.

      »Oh, mein Le­ben! mein schö­nes Le­ben!« stöhn­te er. »Kei­ne wohl­wol­len­den Ge­dan­ken mehr! Kei­ne Lie­be! Nichts!« Er wand­te sich zum Pro­fes­sor. »Das Un­glück ist ge­sche­hen, al­ter Freund«, sag­te er mit sanf­ter Stim­me. »Sie sind für Ihre treu­en СКАЧАТЬ