Geisterkind. Christine Millman
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Название: Geisterkind

Автор: Christine Millman

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783947634934

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СКАЧАТЬ Trotzte sie etwa nicht den Anfeindungen der Menschen schon seit der Nacht ihrer Geburt vor vierzehn Wintern? Führte sie nicht den Haushalt und hütete ihre kleine Schwester, während die Eltern tagein tagaus in der Schankstube schufteten?

      Der Kopf des Buntfisches durchstieß ihr Spiegelbild und zerteilte es in fließende Formen.

      »Schwimm weg«, flüsterte Inja und stupste den Fisch an. Sein Leben sollte nicht in einem Kochtopf enden.

      Schimmernde Blasen perlten an die Oberfläche, als sie ihn berührte und er mit einem leisen Platschen in den dunklen Tiefen des Murgflusses verschwand. Dabei zog er einen Schweif aus buntem Licht hinter sich her. Inja lächelte verzückt, streckte die Hände in das Wasser und berührte den Schimmer. Warm fühlte er sich an, wie die ersten Sonnenstrahlen an einem Frühlingstag. Sie schloss die Augen und summte leise, während sie sich vorstellte, wie es wäre, in der schillernden Wärme zu baden, einzutauchen in Kaskaden aus Wasser und Licht. Sie liebte das Wasser. Nur in der klaren, ruhigen Kälte fühlte sie sich zuhause. Kurzentschlossen zog sie ihre Tunika und den Rock aus und watete in das kühle Nass. Noch immer konnte sie die warmen Stellen spüren, die der schillernde Schweif hinterlassen hatte. Sie hielt den Atem an und tauchte unter. Stille umfing sie. Der feurige Glanz der Abendsonne brach sich auf der Wasseroberfläche und hüllte sie ein, wiegte sie wie die tröstenden Arme ihrer Großmutter. Sie schloss die Lider, ließ sich von der Strömung treiben und dachte an das geliebte Gesicht der alten Frau. Faltig, mit blauen Augen, die sie zärtlich betrachteten.

       Mein Winterkind.

      Die Erinnerung zauberte ein Lächeln auf Injas Gesicht. Jeder im Dorf hatte die alte Frau mit dem herrischen Blick gefürchtet, jeder außer Inja.

      Ein Schatten über dem Wasser holte sie in die Wirklichkeit zurück. Sie tauchte auf, öffnete die Augen und blickte sich verwundert um. Unbemerkt war die Abendröte der Nacht gewichen. Der Weg ins Dorf war nirgendwo zu sehen. Wie lange war sie unter Wasser gewesen? Und wie weit hatte sie die Strömung des Flusses fortgetragen?

      »Ban?«, rief sie. »Bist du wieder da?«

      Niemand antwortete. Hatte er sich versteckt, um sie zu erschrecken? Das tat er oft. Manchmal, wenn sie im Morgengrauen das Haus verließ, um Wasser zu holen oder wenn sie auf der Bank neben dem Gemüsegarten saß und Erdknollen schälte, schlich Ban sich an sie heran und gab ein schauerliches Heulen von sich, so dass sie zusammenfuhr und ihr Herz wild zu schlagen begann. Dann klopfte er sich auf die Schenkel und lachte über ihr erschrockenes Gesicht, bis sie in sein Lachen mit einfiel und sie gemeinsam kicherten, bis sie völlig außer Atem waren. Doch das war im Dorf, hier am Murgfluss und noch dazu im Dunkeln, war ihr ganz und gar nicht danach, erschreckt zu werden.

      Sie stieg aus dem Wasser und suchte nach dem Kreuzdornschössling, neben dem sie ihre Kleider abgelegt hatte. Sie fand ihn dreißig Schritte stromaufwärts. Schnell streifte sie ihr Kleid und die Tunika über das nasse Untergewand und spähte zwischen die Bäume. Im bleichen Licht des Mondes wirkten sie wie finstere Riesen, die ihre Klauen nach ihr ausstreckten, um sie zu ergreifen. Zu ihrer Rechten raschelte es.

      »Das ist nicht lustig, Ban«, rief sie. Unwillkürlich dachte sie an Wölfe und Strauchdiebe, die durch die Wälder schlichen und unbescholtene Bürger überfielen. Unermüdlich hatte Großmutter sie ermahnt, die Nacht außerhalb des Dorfes zu meiden, doch Großmutter war im letzten Winter gestorben und seitdem gab es niemanden mehr, der auf Inja achtete.

      Sie warf einen kurzen Blick Richtung Dorf. Einsam und verlassen lag der Weg da. Keine Menschenseele weit und breit. Das misstönende Krächzen einer Krähe schreckte sie auf. Der Vogel flatterte von einem Baum herab, landete kaum zwei Schritte entfernt im Gras und starrte sie aus glänzenden, schwarzen Augen an.

      Es ist nur eine Krähe, versuchte Inja sich zu beruhigen, trotzdem schlug ihr Herz wild in ihrer Brust und sie wich vorsichtshalber einen Schritt zurück. Der Vogel ließ sie nicht aus den Augen, beobachtete sie wie ein Jäger die Beute. Und plötzlich durchschnitt ein heiseres Röcheln die nächtliche Stille, ein unmenschlicher Laut, der Inja an den letzten Atemzug eines Sterbenden denken ließ. Eine konturlose Gestalt schälte sich aus dem Schatten eines Baumes, mehr ein Schemen, denn eine feste Gestalt. Die Gliedmaßen waren lang und dünn, die Finger wie verbrannte Zweige. Der durchdringende Geruch nach Schimmel und Fäulnis entströmte dem Leib, der schwärzer war als die schwärzeste Nacht, ein Abbild vollkommener Finsternis.

      Ein Wiedergänger dachte Inja entsetzt. Was tut er hier, weit weg vom Schattenland? Sie wollte zurückweichen, doch ihre Füße waren wie festgefroren. Die Worte ihrer Großmutter hämmerten in ihrem Kopf. Lausche nie den Lauten eines Wiedergängers, denn sie lähmen dich, sodass du dich nicht mehr rühren kannst.

      Die Krähe flatterte auf und ließ sich auf der Schulter des schaurigen Wesens nieder, verschmolz mit ihr zu einer Einheit, die jedes Licht absorbierte. Eisige Kälte kroch Injas Beine hinauf. Das Wesen öffnete den Mund, ein Schlund aus wirbelnder Luft. Ein Säuseln entströmte seiner Kehle, kaum zu verstehende Worte. »Schattenland«, war alles, was Inja heraushören konnte und etwas das ähnlich klang wie Arnyekeh.

      Panisch presste Inja die Hände auf die Ohren, drehte sich um und rannte so schnell sie ihre Beine trugen. Steine gruben sich in ihre nackten Füße. Sie ignorierte den Schmerz. Das Blut rauschte in ihren Ohren. Schon kamen die Lichter des Dorfes in Sicht. Über ihr flog die Krähe, die Schwingen weit ausgebreitet. Inja schrie um Hilfe, während ihre Füße rannten und rannten. Eine Gestalt löste sich aus der hölzernen Einfriedung des Dorfes und eilte auf sie zu.

      »Ban«, keuchte sie, nahm die Hände von den Ohren und stürzte sich in die Arme ihres Freundes.

      »Inja, was ist passiert?«, fragte Ban. Er klang besorgt.

      Sie antwortete nicht, denn sie war viel zu sehr damit beschäftigt, nach Luft zu ringen. Die Krähe wendete und flog krächzend davon.

      »Komm, lass uns ins Dorf gehen. Alus will das Tor schließen.« Hastig schob Ban sie am Zaun vorbei.

      »Warum … bist du … nicht zurückgekommen?«, keuchte sie.

      »Ich bin zurückgekommen«, antwortete Ban entrüstet. »Doch du warst fort.«

      Inja richtete sich auf und runzelte die Stirn. »Das ist nicht wahr. Ich bin die ganze Zeit über am Fluss gewesen und habe auf dich gewartet.«

      Ban schüttelte den Kopf. »Vielleicht bist du im Fluss gewesen, aber auf keinem Fall am Ufer.« Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah sie mitleidig an. »Hast du wieder einen deiner Tagträume gehabt und dich vom Flussufer entfernt? Und wieso bist du so nass? Hast du etwa im Fluss gebadet? Das ist gefährlich, das weißt du.«

      »Ach lass mich in Ruhe«, erwiderte Inja unwirsch. Sie hatte doch nur im Wasser gelegen und einen Augenblick lang die Augen geschlossen. Oder hatte sie tatsächlich alles nur geträumt? »Sag hast du die riesige Krähe gesehen, die über mir geflogen ist?«

      Ban runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. Seine Mundwinkel zuckten, bei dem Versuch, ein Schmunzeln zu unterdrücken. »Du hast geträumt Inja. Was war es diesmal? Ein Klushund oder wieder ein Hakemann? Scheinbar lockt dich das Wasser des Murgflusses in die Welt der Träume.«

      Inja schob schmollend die Unterlippe vor. In Bans Augen war sie eine Träumerin. Niemals würde er ihr Glauben schenken. »Ich gehe nach Hause«, sagte sie, wandte sich abrupt ab und stapfte davon.

      Ban eilte ihr nach. »Tut mir leid. Ich wollte dich nicht kränken, aber ich schwöre, dass du nicht am Ufer gesessen hast, als ich СКАЧАТЬ