Geisterkind. Christine Millman
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Название: Geisterkind

Автор: Christine Millman

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783947634934

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      Die meisten Fische lebten noch und zappelten in ihrem Griff. Ein großer, silbrigglänzender Fisch entglitt ihren Händen und schwamm eilig davon. Als sie das dritte Netz erreichte, hatte sie gerade einmal neun kleine Fische im Korb. Mittlerweile konnte sie nicht mehr stehen und sie musste sich an die Pfosten klammern, um nicht von der Strömung erfasst und ins Meer hinausgespült zu werden.

      Vorsichtig befestigte sie den Korb an dem dafür vorgesehenen Haken, hangelte sich zur Mitte des Netzes, hielt die Luft an und tauchte unter. Im dritten Netz hatten sich acht Fische verfangen, einer davon lang und so dick wie ihre Wade. Sie schnappte den Ersten, strampelte an die Wasseroberfläche zurück und warf ihn in den Korb. Das wiederholte sie mehrere Male, bis sie alle Fische eingesammelt hatte. Am Strand schleppte sie den gefüllten Korb zur Treppe, damit er nicht versehentlich von einer Welle erfasst und davongespült wurde, nahm den zweiten Korb zur Hand und begab sich auf die andere Strandseite. Eine Stunde später hatte sie alle Netze geleert und das trotz gehörigen Seegangs. Dafür war sie bis auf die Knochen durchgefroren. Schnell trocknete sie sich ab, kleidete sich an und brachte die Fische in die Kochkammer hinauf.

      Verwundert über ihre Schnelligkeit nahm Sumilla den Fang entgegen und reichte ihr ein Stück Graubrot und gesalzenen Fisch. Inja nahm das Essen dankbar an, denn obwohl sie erst vor Kurzem gefrühstückt hatte, knurrte ihr Magen nach der anstrengenden Arbeit. Heißhungrig verschlang sie die Sachen noch an Ort und Stelle. Sumilla beobachtete sie amüsiert. »Es war sehr anständig, was du für Lykke getan hast«, befand sie.

      »Ich musste es tun. Lykke wäre ertrunken bei dem Versuch, den Fang einzuholen«, erwiderte Inja mit vollem Mund.

      Sumilla seufzte resigniert. »Jeden Winter verlieren wir drei oder vier Konventen an die Kälte und an die Wölfe, die der Hunger in die Ebene treibt. Unser Leben mag in der Hand der Götter liegen, doch ich verstehe nicht, warum man den Tod noch zusätzlich herausfordern muss.« Sie musterte Inja. »Warum kannst du eigentlich so lange unter Wasser bleiben?«

      Inja zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht, ich kann es einfach. Das Wasser ist wie eine zweite Heimat für mich«, sie zwinkerte Sumilla vertraulich zu. »Wahrscheinlich halten mich alle für eine Hexe.«

      Sumilla runzelte die Stirn. »Sag das nicht. Wenn das die Erhabene hört, wirst du schneller verkauft, als du dieses Brot essen kannst.«

      Schuldbewusst ließ Inja das Brot sinken. Sie hatte doch nur einen Scherz machen wollen. »Verzeih mir. Ich sollte überlegen, bevor ich spreche.«

      Sumilla winkte kopfschüttelnd ab. »Schon gut. Sorge dafür, dass du dich nach dem Einholen des Fangs aufwärmst, damit du nicht krank wirst. Wenn du so schnell bist wie heute und keine Gesegnete in der Nähe ist, kannst du dich hier am Feuer wärmen.«

      Inja schluckte den Bissen hinunter, der plötzlich klebrig und bitter schmeckte. »Ich danke dir.«

      Sumilla wandte sich ab und hob den Deckel des ersten Korbes an. »Du musst mir nicht danken. Wenn wir nicht füreinander sorgen, enden wir auf dem Totenfeld, noch bevor wir fünfundzwanzig Winter zählen.«

      Obwohl die Küche der wärmste Ort im Konvent war, rieselte ein Schauer über Injas Haut. Sumilla sprach die Wahrheit. Dies war kein Ort, an dem man alt wurde.

      Die Nacht der Buße begann nach dem Abendmahl, an dem Inja nicht teilnehmen durfte. Nur zu gut erinnerten sich ihre Knie an das letzte Mal und begannen zu schmerzen, sobald sie den Steinboden berührten. Zudem war sie müde, so dass sie kaum noch die Augen offenhalten konnte. Sie versuchte, sich auf das Beten zu konzentrieren, doch Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit machten ihr Herz schwer. Wie ein Stein würde es bis auf den Grund des Ozeans sinken, sollte sie es sich aus der Brust reißen und die Steilküste hinab in das Meer werfen.

      Weinen half, zumindest am Anfang, doch irgendwann fraß der Schmerz in ihren Beinen alle anderen Empfindungen auf. Ihr Leben war wie die ewige Finsternis, voller Qualen und unendlicher Einsamkeit, die göttliche Führung nur eine Lüge. Der einzige Lichtblick war Ban. Er war ihre Hoffnung und ihre Zukunft. Ohne ihn war sie verloren.

      Sie hätte nicht zu sagen vermocht, wie sie die Nacht überstand, doch sie ging vorüber. Am Morgen kneteten und massierten die Konventen ihre steifen Muskeln. Sie wuschen und kämmten sie, verstrichen eine wohltuende Salbe auf den wundgescheuerten Knien und stützten sie beim Gehen, denn wer nicht aus eigener Kraft in den Speisesaal gelangte, der bekam nichts zu essen. Immer wieder nickte Inja während des Morgenmahls ein und Lykke musste sie anschubsen, damit sie nicht vergaß, zu kauen. Ausruhen durfte sie nicht, gleich nach dem Essen wurde sie von der Erhabenen zum Strand geschickt, um den Fang einzuholen, was in ihrem Zustand fast schon einem Selbsttötungsversuch gleichkam.

      Auch an diesem Morgen war die See rau. Schwerfällig entkleidete Inja sich, nahm den Korb und tapste ins Wasser. Brrr. Eisig. Wenigstens weckte die Kälte ihre Lebensgeister, wenn auch nur für eine kleine Weile. Das Einholen des Fangs verlangte ihr alles ab, und als sie zu den tiefer liegenden Netzen gelangte, schaffte sie es kaum, unterzutauchen und sich mit der Kraft ihrer Beine in Position zu halten. Mehrere Fische entglitten ihren zitternden Händen und schwammen davon. Zweimal wurde sie von einer Welle an den Strand zurückgespült.

      Beim Leeren des letzten Netzes geschah es.

      Während sie mit beiden Händen einen heftig zappelnden Fisch aus dem Netz pulte, wurde sie von der Strömung erfasst und zuerst nach unten gezogen und anschließend auf das offene Meer hinausgespült. Strampelnd versuchte sie, einen Pfosten oder das Netz zu ergreifen, doch je wilder sie sich gebärdete, umso schneller entfernte sie sich vom Ufer. Panik übermannte sie. Plötzlich war das Wasser keine Heimat mehr.

      Es war eine Todesfalle.

      Und niemand war in der Nähe, um ihr zu helfen. Etwas stupste gegen ihre Beine. Sie bemerkte es zuerst nicht. Erst als sie nach unten sah, erblickte sie einen Fisch. Er ähnelte einem Buntfisch, doch war er größer und seine Schuppen schillerten in hellem Orange, gesprenkelt mit silberweißen Tupfen, die glitzerten, als würden sie das Sonnenlicht reflektieren. Aus riesigen, hervorquellenden Augen starrte er sie an und schwamm anmutig um sie herum. Inja gab ihre Gegenwehr auf, streckte die Hand aus und berührte die schuppige Haut. Wunderschön. Langsam sackte sie tiefer, während der Fisch unter ihren Fingern hindurchglitt und sie immer wieder in den Rücken stupste.

      Plötzlich bemerkte Inja, dass sie der Strömung entronnen war. Sie schenkte dem Fisch ein Lächeln, schwamm nach oben, durchbrach die Oberfläche und füllte ihre Lungen mit köstlicher Luft. Dann sah sie sich um. Der Strand war mindestens hundert Schritte entfernt. Mit letzter Kraft kämpfte sie sich durch die Wellen ans Ufer zurück. Dort wickelte sie sich bibbernd in das Tuch, sank in den Sand und schlief auf der Stelle ein.

      Wasser leckte an ihren Füßen. Das durchdringende Geschrei einer Krähe bohrte sich in ihren Kopf. Eine Stimme.

      »Den Göttern sei Dank, du bist am Leben. Ich dachte schon, das Meer hätte dich geholt.«

      Vorsichtig öffnete Inja die Augen. »Sumilla. Was tust du hier?« Ihre Kehle fühlte sich rau an und brannte.

      Sumilla beugte sich zu ihr hinab. »Es ist bereits Mittag. Ich habe mir Sorgen gemacht, weil du nicht zurückgekehrt bist.«

      Inja schreckte hoch. »Es ist Mittag? Ich müsste schon längst auf dem Feld sein.«

      Sumilla half ihr auf die Beine und betrachtete sie prüfend. »Zuerst musst du dich anziehen. Wo ist der Korb?«

      Inja СКАЧАТЬ