Northern Lights - Die Wölfe vom Mystery Creek. Christopher Ross
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      Sie war froh, nicht an Platzangst zu leiden, sonst wäre sie in dem engen Bau sicher durchgedreht. Auch so fiel es ihr schwer, ruhig zu bleiben. In dieser Enge war die Hitze noch unerträglicher, und sie fürchtete, keine Luft mehr zu bekommen und zu ersticken. Nur mühsam behielt sie sich unter Kontrolle.

      Im Schein der Taschenlampe suchte sie nach den Welpen. Erst nachdem sie fast vollständig in den Bau gekrochen war, sah sie die jungen Wölfe verängstigt in einer Ecke hocken. Nur zwei Tiere waren noch am Leben. Die anderen drei waren tot. »Keine Bange«, beruhigte sie die Welpen, »ich bin gekommen, um euch zu helfen. Zuerst mal müssen wir hier raus, und dann bringe ich euch zu einem Arzt. Habt keine Angst, wir kriegen euch wieder hin.«

      Sie nahm die Taschenlampe in den Mund und packte die Welpen mit beiden Händen. Die Kleinen wehrten sich nicht, waren viel zu schwach und erschöpft. Auf Knien und Ellbogen kehrte sie mit den Welpen ins Freie zurück.

      »Wow!«, staunte der Firefighter. »Das war ganze Arbeit!«

      Carla reichte dem Chief einen der beiden Wölfe und wischte sich mit der freien Hand den Schweiß von der Stirn. Der Firefighter half ihr auf. »Keine Wunden, aber sie sehen schwach aus«, sagte sie, nachdem sie die Tiere flüchtig untersucht hatte. »Ich schätze mal, sie waren zwei, drei Tage allein. Sie sind dehydriert und brauchen dringend Ersatz-Muttermilch. Haben wir alles bei uns im Wolf Center. Um sie aus dem Gröbsten herauszuholen, müsste ich Ihnen etwas Zuckerwasser einflößen, das haben Sie doch sicher im Camp?«

      »Kein Problem«, erwiderte der Chief. »Phil soll Sie mit den Welpen nach Cooper Landing fahren. Dort gibt es einen Tierarzt, der die Versorgung der Kleinen übernehmen kann, bis Ihre Leute kommen. Fahren Sie mit den Welpen zurück?«

      »C. J., so heißt unser Tierarzt und Chefpfleger, wird mit dem Flieger kommen. Wir haben gute Beziehungen zu den Flugdiensten. Aber ich würde gern noch zwei, drei Tage bleiben, falls die Mutter eines Welpen auftaucht.«

      »Kein Problem. Meinen Sie, die Mutter ist noch am Leben?«

      »Ehrlich gesagt, habe ich nicht viel Hoffnung.« Sie dachte an den Wolf, den Jason erschossen hatte. Eine Wölfin. »Für solche Fälle haben wir Muttermilch eingefroren. Wir kriegen sie wieder gesund, da bin ich sicher, aber es wird einige Zeit dauern. Wie Menschen, die bei so einer Katastrophe ein Trauma erleiden können, müssen auch Tiere einen solchen Schock erst mal überwinden. Unsere Leute sind für so was ausgebildet, vor allem C. J.«

      Mit den Wölfen im Arm kehrten sie zum Camp zurück. Jason war nicht mehr dort, aber einige Firefighter, die gerade abgelöst worden waren, blickten neugierig zu ihr herüber, wegen der Welpen oder ihretwegen, vermochte sie nicht zu sagen. Sie rührte Zuckerwasser an und flößte den Welpen etwas davon ein, um eine weitere Dehydration zu vermeiden und den größten Hunger zu stillen, dann legte sie die jungen Wölfe auf ihren Rucksack und zog ihr Handy heraus. Ein Wunder, dass sie in dieser abgelegenen Gegend Empfang hatte. Es klingelte ein paarmal, bis C. J. an den Apparat kam. »Hi, C. J.«

      »Carla! Ich kann dich kaum verstehen. Was gibt’s?«

      Sie erklärte ihm in wenigen Worten den Sachverhalt. »Überrede Randy, dich mit der Cessna herzufliegen.« Randy veranstaltete Touristenflüge zum Gulkana-Gletscher und zum Mount Denali. »Morgen früh am Kenai Inn.«

      »Wird gemacht.«

      »Danke. Sonst alles okay bei dir?«

      »Ja, bis auf die Niederlage im Februar.«

      Im Februar hatten die San Francisco 49ers den Superbowl verloren. Ein Nackenschlag für C. J., einen der größten Fans des Footballclubs.

      »Irgendwann kommst du drüber weg. Bis morgen!«

      Sie steckte ihr Handy weg und kehrte zu Baxter zurück. Der Chief versprach, ihr bei dem Papierkram für die Adoption der Wolfswelpen zu helfen, er habe gute Beziehungen zu den Behörden auf der Kenai-Halbinsel, und rief Phil herbei. Er trug ihm auf, sie zum Tierarzt und zu ihrem Hotel zu fahren. »Und dann komm gleich wieder zurück! Hier gibt’s einiges zu tun.« Er blickte Carla an. »Morgen müssen Sie sich leider selbst einen Wagen in Cooper Landing besorgen. Jetzt kennen Sie ja den Weg. Rufen Sie mich auf dem Handy an, wenn es Probleme gibt. Und sorgen Sie sich nicht wegen des Papierkrams. Es hat bestimmt niemand was dagegen, dass Sie die Welpen in Ihrem Center aufziehen. Im Gegenteil, die Leute sollten Ihnen dankbar sein.«

      »Vielen Dank für alles, Chief! Sie haben mir sehr geholfen.«

      Carla stieg neben Phil in den Geländewagen. Er wäre wohl lieber beim Feuer geblieben und hätte seinen Kameraden geholfen, schien sie aber zu mögen und sich in ihrer Gegenwart wohlzufühlen. Auch sie mochte den Firefighter, vor allem, weil er wenig Aufhebens von seinem Job machte. Sie mochte Männer nicht, die sich als Helden verkauften und den »Action Hero« spielten. Es reichte ihr, wenn sie solche Machos im Kino oder Fernsehen sah.

      »Ganze Arbeit!«, lobte er, als sie die beiden Welpen auf die Rückbank legte und mit einer Wolldecke zudeckte. »Ohne Sie hätten wir die Welpen da nicht mehr rausgeholt. Wie geht es den beiden?«

      »Sie brauchen dringend ärztliche Hilfe.«

      »Dann rufen wir wohl besser Dr. Chandler an.« Er wählte die Nummer des Tierarztes in Cooper Landing und ließ Carla sprechen, als der Arzt sich meldete. Sie nannte ihren Namen, schilderte Dr. Chandler, was geschehen war, und teilte ihm mit, dass sie in spätestens einer halben Stunde bei ihm wären.

      Während der Fahrt blieben die lodernden Flammen in den Rückspiegeln, bis sie den Highway erreicht hatten und nach Cooper Landing zurückfuhren. Noch vor dem Hotel bogen sie nach links ab und parkten vor dem Haus von Doktor Chandler. Der Tierarzt war ein leicht gebückter Mann in den Sechzigern, trug einen Anzug, der ihm mindestens zwei Nummern zu groß war, und violette Crocs, die weder zu seinem geröteten Gesicht noch zu seiner Erscheinung passten. Beim Anblick der Welpen zog er überrascht die Augenbrauen hoch. »Und die haben Sie vor dem Feuer gerettet?«, fragte er den Firefighter.

      »Sie.« Phil deutete auf Carla. »Sie kennt sich mit Wölfen aus.«

      Dr. Chandler wunderte sich. »Auf den Tisch mit ihnen.«

      Der Tierarzt untersuchte die Welpen gründlich, konnte glücklicherweise keine Verletzungen feststellen. »Ich würde sie gerne eine Nacht hierbehalten«, sagte er. »Ich hab die passende Milch hier und würde sie mit einigen Medikamenten aufpäppeln. Bis morgen früh dürften sie transportfähig sein.«

      »Das trifft sich gut«, sagte sie. »Dann hole ich sie morgen früh ab.«

      Bis zum Hotel war es keine zwei Meilen. Obwohl bereits der Abend nahte, war es noch hell, lediglich die Rauchwolken über den Wäldern vermittelten den Eindruck, die Dämmerung habe schon eingesetzt oder ein Unwetter nähere sich der Siedlung. Phil hielt auf dem Parkplatz und druckste ein wenig herum. »Darf ich Sie um einen Gefallen bitten, Carla?«

      Sie wusste nicht, was sie von seinen Worten halten sollte. »Nämlich?«

      »Würden Sie die beiden Welpen Maya und Duke nennen?«

      »Maya und Duke?«

      »So hießen die beiden Kinder, die bei einem meiner letzten Einsätze ums Leben kamen. Die Eltern sind mit uns befreundet, und es würde ihnen sicher viel bedeuten. Natürlich nur, wenn es geht. Ich wäre Ihnen sehr dankbar.«

      Sie lächelte, erleichtert darüber, keine unerfüllbare Bitte gehört СКАЧАТЬ