Название: November 1918 – Der verpasste Frühling des 20. Jahrhunderts
Автор: Klaus Gietinger
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783960540762
isbn:
Die USPD, die lose Verbindung zu den Matrosen gehabt hatte, war nun verschärfter staatlicher Repression ausgesetzt. Luise Zietz (USPD) und andere wurden inhaftiert. Liebknecht und Luxemburg saßen schon längst. Der Aufruf der Zimmerwalder Bewegung im September 1917 (in Schweden) zum Massenstreik gegen den Krieg fiel bei den gemäßigten USPD-Führern wie Haase nicht auf fruchtbaren Boden. Auch die Oktoberrevolution in Russland führte zu keinen großen Solidaritätsstreiks. Der Einfluss von Spartakus in den Betrieben war relativ gering. Gleichwohl ließ die Revolution in Russland Hoffnung aufkeimen.
Die Führung der traditionellen Gewerkschaften dagegen versuchte weiter im Zusammenspiel mit dem Repressionsapparat die widerständigen Netzwerke aufzudecken, zu denunzieren und die meisten Reorganisationsversuche im Keim zu ersticken.93
Abb. 8 Köbis und Reichpietsch auf DDR-Briefmarken des Verfassers
Die Arbeiterbürokraten in der SPD-Führung verstanden sich derweil mit den Herrschenden im Reich recht gut. Legien und Bauer suchten die OHL schon im Oktober 1917 (im belgischen Spa) auf, um im Tausch gegen ein wenig Sozialreform-Versprechen dem faktischen Militär-Diktator Ludendorff zu versichern, dass man die Massen im Griff habe und jede Unterbrechung der Arbeitstätigkeit in der Rüstungsindustrie bekämpfe, da sie »geeignet sei, die ›Widerstandskraft‹ der Front zu verringern«94. Ludendorff kabelte daher beruhigt dem Kriegsamt, die Arbeitervertreter hätten »offenbar die gute Absicht, dahin zu wirken, dass ihre Arbeiterschaft ruhig bleibt und ihre Pflicht tut«95. Gleichzeitig wurden die Arbeiter- und Soldatenräte der russischen Februar-Revolution 1917, die mehrheitlich keine Bolschewisten waren – zu einem Zeitpunkt, als der Parteichef der Bolschewiki, Lenin, noch in Zürich weilte –, von Bauer schon als bolschewistisch bezeichnet. Während die Mehrheit der SPD gleichzeitig diese hauptsächlich noch bürgerlich geprägte Revolution, Monate vor der Oktoberrevolution, enthusiastisch beklatschte. Bauer erfand einen »negativen Mythos«, das Schreckgespenst einer Partei, die damals weder in der Mehrheit noch an der Macht war.96
Zu einem Massenstreik kam es erst wieder im Januar 1918, die Obleute hatten ihn geplant. Es gelang ihnen durch einen Kompromiss mit der Fraktion der USPD, alle ihre Abgeordneten für den Streik zu gewinnen. Sogar die SPD verlangte – auf Druck ihrer Betriebsvertrauensleute – jetzt mitzumachen, um den Streik, wie sich Ebert ausdrückte, »zum Abschluss zu bringen«97. Man ließ sie herein, Müller glaubte wohl, Teile der SPD nach links ziehen zu können. Wäre dies geglückt, hätte »eine breite Front« für Frieden und Demokratisierung bis hinein ins linksbürgerliche Lager entstehen können.98 Doch das war nicht im Sinne der SPD-Führer. Heilmann (einäugig und mit Kopfschuss aus dem Krieg zurück) und Curd Baake hatten sogar die Regierungsvertreter bestärkt, gegenüber den Streikenden unnachgiebig zu bleiben.
Trotz des Widerstands von Ebert und Scheidemann traten über 500 000 Arbeiter im Januar 1918 in den Streik.99 Für Frieden ohne Annexionen, Pressefreiheit und Demokratisierung. Ein Versuch also, mindestens die bürgerliche Revolution von 1848 nachzuholen. Überall im Reich entstanden spontan Räte. Der Streik wurde auch maßgeblich von Frauen getragen, meist ohne Namenseintrag in das Buch der Geschichte. Die Einzige, die es in den Vorstand der Obleute schaffte, war Cläre Casper-Derfert. Die Regierung lehnte Verhandlungen ab. Am 31. Januar wurde der verschärfte Belagerungszustand (so hieß damals die härteste Form des Ausnahmezustands) verkündet, der Streikausschuss verboten, Dittmann (USPD) verhaftet und zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Ebert, der auf freiem Fuß blieb, sagte auf einer Massenversammlung im Treptower Park den Streikenden, so wurde es später vor Gericht protokolliert, es sei ihre Pflicht, der Front »das Beste an Waffen zu liefern, was es gäbe« und »der Sieg sei selbstverständlich der Wunsch eines jeden Deutschen«. Doch die Anwesenden beschimpften ihn als »Arbeiterverräter«.100 Und die Streiks gingen weiter.
Eberts als offizielle Streikbeteiligung getarnte Abwiegelungspolitik wurde ihm später zum Verhängnis. Genau wegen dieser Beteiligung wurde er 1923/24 als Reichspräsident von rechten Zeitungen und Mitgliedern der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) des Landes- und Hochverrates geziehen, wo er doch 1918 nur den Streik hatte abwürgen wollen. Er klagte mehrfach vor Gericht, was ihn sehr mitnahm, verschleppte eine Blinddarmentzündung und starb. Sebastian Haffner bemüht dazu eine Ballade von Annette Droste-Hülshoff, in der ein Schiffbrüchiger einen anderen von einer Planke stößt, auf der steht »Batavia 510«. Gerettet, wird er fälschlich für einen gesuchten Seeräuber gehalten und zum Tode verurteilt. Zur Hinrichtung geführt, liest er am Galgen »Batavia 510«.101
Am 1. Februar drohte die militärische Besetzung wichtiger Betriebe, die USPD-Vertreter Haase und Ledebour wurden weich, verhandelten separat mit dem Reichskanzler, während die Spartakusgruppe Kampf wollte, aber die Obleute beschlossen, um Blutvergießen zu verhindern, am 3. Februar den Abbruch des Streiks. Wieder folgten brutale Repression, Verhaftungen, Einberufungen, auch Richard Müller wurde wieder in den Krieg geschickt und kam erst im September 1918 zurück. Trotz erneuter Demoralisierung war vielen klargeworden, welche Macht die geballte, von unten organisierte Arbeiterklasse in Berlin hatte.
Doch die SPD-Führung war nun nicht untätig. Die Basis musste dringend reorganisiert werden. War in den letzten Jahren des Krieges der Vertrauensschwund in der Arbeiterschaft enorm gewesen – in Berlin hatte die SPD am 1. Juli 1917 grade noch 6500 Mitglieder, die USPD dagegen 28 000 –, so gelang es ihr peu à peu, sich an der Basis zu reorganisieren. Als sie im Oktober 1918 selbst staatstragende Partei geworden war, war ihr Mitgliederbestand wieder auf ca. 20 000 gestiegen, etwa gleichviel wie die USPD zu diesem Zeitpunkt hatte.102
Im September gab die OHL den Krieg für verloren. Ludendorff forderte Waffenstillstandsverhandlungen und den Eintritt von SPD und des Zentrums in die Regierung, wie auch die volle Parlamentarisierung (Regierungskontrolle und Kanzlerwahl durch den Reichstag, nicht durch den Kaiser), da er so glaubte, den amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson milde stimmen zu können. Gleichwohl ging der Krieg unvermindert weiter.
Am 4.10.1918 traten Scheidemann und Bauer (SPD) und Erzberger (Zentrum) als Staatssekretäre in die Regierung ein. Zudem wurde der Kontakt der SPD-Führung mit der militärischen Führung immer inniger. Ebert, David und Scheidemann besuchten Ludendorff und Hindenburg in ihrem Hauptquartier. Und als deren Absetzung als einflussreiche Chefs der OHL und faktische Militärdiktatoren im Oktober 1918 durch den Kaiser ins Kalkül gezogen wurde, nahm Scheidemann sie in Schutz. Man müsse »Hindenburg und Ludendorff jeden Anlass nehmen, die angegebenen Konsequenzen zu ziehen«103. Also zurückzutreten. Trotz dieses sozialdemokratischen Schutzschildes entließ der Kaiser Ludendorff wenige Tage später. Aber auch die seinen waren gezählt.
Die Vorbereitung der Revolution
Nach dem Januarstreik 1918 war die Spartakusgruppe praktisch aufgerieben. Leo Jogiches und seine Helfer wurden im März verhaftet, die illegalen Strukturen zerschlagen, die Druckereien ausgehoben, Drucker verhaftet, Flugblätter beschlagnahmt, ja die ganze Adressenkartei fiel der Politischen Polizei in die Hände.104 Einzig Ernst Meyer hielt noch das Fähnchen hoch. Bei den Obleuten übernahm stellvertretend Emil Barth für den eingezogenen Müller die Koordination. Man stand in Kontakt zu den USPD-Männern Ernst Däumig und Ledebour. Die Obleute mieden erstmal die unter Beobachtung stehenden Reste von Spartakus, zögerten aber nicht, ab Frühsommer СКАЧАТЬ