November 1918 – Der verpasste Frühling des 20. Jahrhunderts. Klaus Gietinger
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СКАЧАТЬ in der Hauptstadt und im Reich stationierten Truppen) keine Chance auf Erfolg haben. Man sammelte bei Sympathisanten in Deutschland, in Holland und mittels der Bolschewiki Geld für Waffen, auch wenn man autoritäre Strukturen wie bei Lenins Partei nicht zum Vorbild nahm. Luxemburg hatte aus dem Gefängnis heraus sogar die Bolschewiki, für ihre Abschaffung der Arbeiterkontrolle in den Betrieben und ihren Terror, scharf kritisiert. Meyer, der diese Kritik nicht teilte, versuchte ebenfalls, Geld und Waffen zu organisieren.

      Gleichwohl war die Stimmung während des ganzen letzten Kriegsjahres nicht gerade revolutionär. Joffe, der russische Botschafter, berichtete an Lenin, man könne »auf die deutsche Revolution in nächster Zeit nicht hoffen«.

      Doch dann überstürzten sich die Ereignisse. Liebknecht wurde am 23. Oktober 1918 aus dem Gefängnis entlassen und triumphal von Tausenden am Bahnhof empfangen.

      Er forderte am 2. November sofortige Aktionen und geriet mit dem seit September aus dem Krieg zurückgekehrten Richard Müller von den Obleuten aneinander, der Liebknechts Vorstoß als »revolutionäre Gymnastik« bezeichnete. Man einigte sich – nach einer knappen Abstimmung – auf den 11. November als Aufstandstermin. Hauptsächlich, weil man die Massen noch nicht genügend bewaffnet sah. Es war keine direkte Konfrontation geplant, sondern man wollte, wie Rosa Luxemburg es einmal zur Revolution 1905 in Russland formuliert hatte, an die »Kasernentore klopfen« und die Truppen zur Übergabe bewegen.105 Von den Obleuten hatte Däumig, Ex-Unteroffizier (USPD), die Stimmung der Berliner Truppen erkundet. Die Haltung war unklar.

      An der Westfront kam es am 31. Oktober zur Befehlsverweigerung einer ganzen Division. Sie lehnte es ab, in Metz in die Stellungen zu gehen.106 800 000–1 000 000 Soldaten waren schon im Frühjahr 1918 in einem »verdeckten Militärstreik« (Deist) den Befehlen ihrer Offiziere nicht mehr gefolgt.107

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      Abb. 9 Martha Globig, Foto aus den 50er Jahren

      Ende August 1918 »hatten die Desertationen aus der Armee Massencharakter angenommen«108, berichtete Martha Globig. Auf den Berliner Bahnhöfen überredete die »Spartakistin« Soldaten, nicht an die Front zurückzukehren und ihre Gewehre zu behalten. In der Hauptstadt hielten sich im Oktober 1918 etwa 20 000–40 000 Deserteure auf.109 Die meisten warfen – Globigs Bitte folgend – die Flinte nicht ins Korn.

      Aufstand

      »Lieber Papa, wenn du wüsstest, wie mir zumute gewesen ist, als wir unsere Kanonen auf unsere Kameraden richteten, welch ohnmächtige Wut ich hatte. […] Endlich nach einer Stunde gaben die Aufständischen ihre Sache auf und zeigten durch die Bullaugen die Rote-Kreuz-Flagge. Sie ließen sich dann, ungefähr 650 Mann, ruhig an Bord des Dampfers bringen. Uns fiel ein Stein vom Herzen. […] Auch wenn wir niemals auf unsere Kameraden geschossen hätten, auf uns waren von der ›Helgoland‹ drei 15cm-Geschütze gerichtet und wenn nur ein Schuss gefallen wäre, von B 97 wäre kein Holzsplitter mehr übrig geblieben. Ich werde den 31. Oktober nie vergessen«110, schrieb ein Matrose des deutschen Torpedobootes B 97 Anfang November 1918 an seinen Vater.

      Was war geschehen? Schillingreede, Wilhelmshaven, zwei Tage vor dem 31. Oktober. Des Kaisers Flotte lag vor Anker. Schornsteine mussten orange-rot angemalt werden, das Zeichen einer bevorstehenden Schlacht.111 Die Reichsregierung hatte am 20. Oktober, parallel zu den Waffenstillstandsverhandlungen, den U-Boot-Krieg – der 1917 den Kriegseintritt der USA provoziert hatte – eingestellt. Ohne dass die Reichsregierung davon wusste, traf die deutsche Admiralität unter Konteradmiral Adolf »Papa« von Trotha für den Fall planerische Vorsorge. Jetzt sollte die gesamte Flotte gegen England auslaufen und »auch wenn es ein Todeskampf wird«, als Quelle einer »neue(n) deutsche(n) Zukunftsflotte« dienen.112 Es sei zwar »glatter Hazard«, aber man glaubte allen Ernstes, dadurch »einen Stimmungsumschwung im Lande« zu erzielen.113

      Messegasten (Kellner der Offiziere) berichteten von Abschiedsgelagen: »Thüringen (eins der Großkampfschiffe, KG) soll den Heldentod sterben. Darauf wollen wir eins trinken«114, habe der Kapitänleutnant Rudloff abends geäußert. So die Aussage des verhafteten Obermatrosen Riedel vor einem Kriegsgerichtsrat. »Wir fahren raus«, habe der Kaleu gesagt, »verschießen sämtliche Munition und beschließen dann den ehrenvollen Untergang.« »Durch diesen Vorstoß«, so die Aussage des Matrosen John, »sollten die Friedensverhandlungen vereitelt werden«, von denen die Matrosen offensichtlich wussten.115

      Der Matrose Stumpf berichtet in seinem Tagebuch, dass auf »drei Panzerkreuzern von den Heizern die Feuer« absichtlich »gelöscht wurden. […] Am schlimmsten tobte der Aufstand auf dem früheren Musterschiff Thüringen116 Das Torpedoboot B 97 und ein U-Boot wurden gerufen und richteten Rohre gegen die Thüringen. Das Großkampfschiff Helgoland – hier hatten die Aufständischen schon die Geschütze besetzt – nahm dafür das Torpedoboot mit 30,5cm-Rohren aufs Korn. Als der Dampfer mit den Verhafteten im Nebel von »Schlicktown« verschwand, schallte ihnen von der Helgoland ein dreifaches »Hurra!« entgegen, das prompt aus dem Innern des Dampfers erwidert wurde.117 Die Admiralität blies das Himmelfahrtskommando gen England ab und schickte das III. Geschwader durch den Nord-Ostsee-Kanal nach Kiel. Weitere Verhaftungen wurden vorgenommen. Insgesamt waren jetzt 1000 Matrosen festgesetzt.118 Doch die Marineführung verzichtete darauf, den Vorschlag, den Korvettenkapitän Bogislav von Selchow in seinem Tagebuch festhielt, umzusetzen, nämlich die ersten Meuterer »an der Rah aufzuhängen«119. Um die Lage zu beruhigen, gab es Landgang. Doch die Matrosen versammelten sich auf einem Exerzierplatz und verlangten die Freilassung der Festgenommenen. Die Versammlungen wurden von Tag zu Tag größer. Am 3. November waren es bereits 5–6000.120 Beschwichtigungen des SPD-Funktionärs Gustav Garbe fruchteten nicht. Die Matrosen machten sich auf, ihre gefangenen Kameraden aus der Arrestanstalt zu befreien. Nachdem ein Kommando des Leutnants Oskar Steinhäuser vor dem Café Kaiser auf die Demonstranten geschossen hatte, diese das Feuer erwiderten, es Tote gab121 und auch die Kieler Feuerwehr zum Einsatz kam, schien erst einmal Ruhe einzukehren. Der Gouverneur von Kiel, Admiral Wilhelm Souchon, ließ angeforderte Truppen wieder umkehren. Doch die Ruhe war trügerisch. Als der Divisionskommandeur Kapitän zur See Bartels am nächsten Tag in der Torpedodivision an Land die sinnige Rede hielt: »Soldat soll gehorchen, Soldat muss gehorchen, und Soldat gehorcht«122, forderte der Maschinenschlosser Karl Artelt die Wahl von Soldatenräten und präsentierte die Forderungen der Matrosen. Sie waren noch moderat, aber bereits politisch geworden. Neben der Freilassung der Gefangenen forderten sie auch die Abdankung der Hohenzollern und die Einführung des allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrechts für beide Geschlechter123. Die Arbeiter in den Werften legten ihre Arbeit nieder, die Matrosen in den Kasernen solidarisierten sich. Waffenkammern wurden gestürmt.

      Artelt fuhr mit einem Lastwagen und einer riesigen roten Fahne zum Gouverneur Souchon, der sich gezwungenermaßen verhandlungsbereit zeigte und den ersten Soldatenrat der deutschen Geschichte empfing. Ankommende Truppen am Hauptbahnhof wurden von den Aufständischen unter Hurra-Rufen »als Brüder« begrüßt, umarmt und entwaffnet, die Offiziere verprügelt.124

      Die Matrosen befreiten ihre Kameraden, hissten, was nur wenige Offiziere zu verhindern suchten, auf des Kaisers Schiffen die rote Flagge, wählten einen Soldatenrat, zum Vorsitzenden den ehemaligen Bonbonhändler und USPD-Mann Lothar Popp125 und wurden für kurze Zeit Herren der Küstenstädte.

      Sogleich wusste Scheidemann (SPD) in Berlin, was zu tun war: Noske wurde nach Kiel entsandt, wo er am 4.11.1918 abends ankam, um die Revolution »zu kanalisieren«126. Doch auch Noske konnte nicht verhindern, dass die Revolution durch die ausschwärmenden Matrosen ins ganze Land flutete.

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