Название: Comedy Queen
Автор: Jenny Jägerfeld
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги для детей: прочее
isbn: 9783825162085
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Omi nimmt meine Hand und hält sie fest. Schaut mir lange in die Augen, so lange, dass es fast ein bisschen lästig wird, und sagt:
»Sasha, wie FÜHLST du dich jetzt? An deinem zwölften Geburtstag?«
Es ist, als würde sie eine sehr tiefsinnige Antwort erwarten. Eine Art Weisheit, das Leben sei ein Geschenk, oder was auch immer. Aber da habe ich gerade nichts Passendes auf Lager.
»Äh … ja, das ist wohl … das ist so, wie wenn man von Natrium zu Magnesium geht.«
Omi sieht mich fragend an.
»In der Schule nehmen sie gerade die Elemente durch«, erklärt Papa. »Das Element mit der Nummer Zwölf ist Magnesium.«
»Aha. Ehrlich gesagt, nehme ich Magnesium gegen saures Aufstoßen«, teilt Omi mit.
Na super. Danke für die Info, Omi. Jetzt weiß ich also auch über Magnesium Bescheid.
Papa stellt das Tablett auf den Boden und drückt mich ganz fest.
»Glückwunsch, mein Schatz!«
In seiner Schlafanzugshose und dem abgetragenen T-Shirt sieht er froh und entspannt aus. Keine Brille. Ohne Brille kommt mir sein Gesicht immer verändert vor, irgendwie schutzlos, oder vielleicht so, als wäre er gerade erst aufgewacht. Ungefähr wie ein Panda ohne die schwarzen Ringe um die Augen.
»Ossi, die Geschenke!«
»Ja! Genau!«
Ossi stürzt aus dem Zimmer und kommt fünf Sekunden später mit drei Paketen im Arm zurück, die er aufs Bett kippt. Eins ist eine kleine Schachtel mit einer roten Samtschleife, eins ist ein weicher Karton, vielleicht etwas zum Anziehen, und das Dritte ist ein bisschen größer und härter, in blaues Papier eingepackt, irgendwas Buchmäßiges. (Aber hoffentlich nicht. Vergiss nicht Punkt 3 auf der Liste: Keine Bücher lesen.)
»Was ist von wem?«
Ich schaue von Papa zu Ossi.
»Alle sind von mir«, sagt Papa.
Ossi macht ein verlegenes Gesicht.
»Hm, also, gestern hab ich es irgendwie nicht rechtzeitig geschafft, und dann … hm… heute morgen hatten sie nicht auf.«
»Bekanntlich gibt es nur wenige Läden, die um sechs Uhr früh offen sind«, sagt Papa.
»Aber ich weiß GENAU, was ich dir kaufen werde, du kriegst es in allernächster Zukunft!«
Papa rollt die Augen.
»Das macht nichts«, sage ich.
»ADHS«, sagt Ossi entschuldigend und zuckt die Schultern. Aus Omis Paket kommen eine weiße superweiche kuschlige Decke und ein weißes superweiches Kissen, die aussehen, als wären sie aus Kaninchenfell, und sich auch so anfühlen (sind sie aber nicht, zum Glück!). Gefallen mir sehr. Von Papa bekomme ich einen Atlas (perfekt – ein Buch, das man nicht lesen muss, sondern nur anzuschauen braucht) und eine coole tighte Jeans (dunkelblau, aber ich werde versuchen, sie in eine rote oder vielleicht gelbe umzutauschen). Die kleine Schachtel hebe ich bis zuletzt auf. Alle drei starren mich erwartungsvoll an. Es ist ziemlich offensichtlich, dass sie wissen, was in dieser Schachtel ist.
»Vielleicht eine Uhr? Oder eine Halskette?«, sage ich, aber als ich die Schachtel schüttle, fühlt sie sich ganz leicht an, und nichts rasselt. Fast aufreizend langsam ziehe ich am Band der Schleife.
Als ich den Deckel öffne, begreife ich zuerst null. In der Schachtel liegt ein Foto, sonst nichts. Ein Foto von einem Hund. Von einem Welpen. Ein Cockerspaniel, glaube ich, hellbraun wie ein Sahnebonbon. Er ist so süß, dass man einen Zuckerschock kriegt. Ich drehe das Foto um. Da steht: Gratuliere! In sechs Wochen gehöre ich dir!
»Versteh ich nicht?«, sage ich und sehe zu Papa hoch. Denn ich kapiere überhaupt nichts.
Papa strahlt vor Begeisterung.
»Du bekommst ihn!«, sagt er. »Den Hund! Ich hab so unglaublich viel über diese Sache nachgedacht, und ich glaube, das wird richtig, richtig gut. Für dich. Für uns. Nach … allem, was passiert ist.«
Langsam geht es mir auf. Ich bekomme einen jungen Hund. Einen Welpen! Watteweiche Wärme breitet sich in mir aus. Es fühlt sich an, als hätte man mir tatsächlich einen Welpen, so einen knuddeligen sahnebonbonbraunen Welpen direkt auf den Schoß gesetzt.
Ich starre Papa an.
Seit meinem ersten Lebensjahr habe ich um einen Hund gebettelt. Wauwau war mein drittes Wort. Zuerst »Mama«, dann »Lampe«, dann »Wauwau«. »Papa« kam erst an vierter Stelle. Mein armer Papa. Jetzt kommt er immerhin an erster Stelle. Mein Interesse für Lampen hat trotz allem erheblich abgenommen.
Papa sieht mich an. Seine Augen funkeln. Ich schiele zu Ossi rüber, der begeistert grinst und von einem Fuß auf den anderen tritt, hin und her, als würde er tanzen. Es fällt ihm schwer, stillzustehen. Omi sitzt, wo sie sitzt, auf meiner Bettkante. Schwer und unbeweglich, aber mit einem Lächeln auf den Lippen.
Ein Welpe, der nur mir gehören wird, nur mir. Ein kleiner Hundewelpe, mit dem ich schmusen und kuscheln darf und dem ich »Sitz« und »Bei Fuß« und Pfoten-high–five beibringen kann.
Aber.
Plötzlich ist es, als würde jemand einen Eimer eiskaltes Wasser über mich auskippen. Ein Welpe. Ich kann mich nicht um einen Welpen kümmern! Ist doch klar! Das würde niemals klappen. Ich kann das nicht. Das ist unmöglich.
Punkt 2. Versuch gar nicht erst, dich um etwas Lebendiges zu kümmern.
Die weiche Wärme im Bauch verschwindet schlagartig. Als wäre ich aus einer Sauna direkt in den Schnee hinausgetreten. Ich zwinge mich dazu, den Deckel wieder auf die kleine Schachtel zu legen. Meine Hand zittert dabei, aber ich muss das Bild des molligweichen Hundchens verdecken. Ich binde das Samtband wieder um die Schachtel. Lasse mir Zeit beim Zubinden. Mache einen Doppelknoten. Einen doppelten Doppelknoten sogar.
»Papa. Das geht nicht. Das kann ich nicht«, sage ich.
Papa schaut mich an, zwinkert verwirrt.
»Wie meinst du das?«
»Ich meine damit, dass ich mich nicht um einen Hund kümmern kann. Das geht nicht.«
Papa sieht aus, als hätte ich ihm ins Gesicht geschlagen.
»Was … wie? Was sagst du da?«
»Nein. Ich sage Nein! Das geht nicht. Danke, aber nein.«
Ich spüre, wie Tränen in mir aufsteigen. Aber ich weigere mich! Ich weigere mich zu weinen. Ich zwinge die Tränen zurück, so wie immer. Mein Hals schnürt sich zu. Ich kann nicht schlucken. Es ist, als könnte ich nicht atmen. Ich springe aus dem Bett und pralle auf dem Weg aus dem Zimmer gegen Ossi, der wiederum in meine verstaubte Legokonstruktion kracht, die seit gut einem halben Jahr dasteht. Dann schließe ich mich im Klo ein. Sehe mich im Spiegel an. Das hier bin ich. Sasha. Zwölf Jahre alt. Zwölf, die Ordnungsnummer für das Element Magnesium. Eingeschlossen im Klo. Viel zu kurze braune Haare, an die ich mich noch nicht gewöhnt СКАЧАТЬ