Название: Die Blaue Revolution
Автор: Peter Staub
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежная публицистика
isbn: 9783038053699
isbn:
Mumbai, Shanghai, New York, Miami, Bangkok, Tokio, Jakarta, Barcelona oder Marseille – an den Küsten der Erde leben rund 1,9 Milliarden Menschen. Rund 380 Millionen davon leben weniger als fünf Meter über dem Meeresspiegel. Wenn der Meeresspiegel auch bloss um einen halben Meter steigt, kann das allein in den 20 am meisten bedrohten Hafenstädten der Welt Kosten von rund 27 Billionen US-Dollar verursachen.[10]
Wie sehr die Ozeane das von den Menschen produzierte CO2 absorbierten, zeigte Mitte Januar 2020 eine neue Studie noch deutlicher. Ein Team von 14 Wissenschaftler*innen aus elf Instituten verschiedener Länder publizierte seine Ergebnisse im Fachjournal «Advances in Atmospheric Sciences». Darin belegten sie, dass die vergangenen zehn Jahre die höchsten Temperaturen der Meere seit Mitte des letzten Jahrhunderts brachten. Und sie wiesen auf die Folgen dieser Erwärmung hin: Wirbelstürme und heftige Niederschläge, dazu Sauerstoffarmut, Schäden für Fische und andere Lebewesen in den Meeren. Um zu zeigen, wie gigantisch die Wärme-Energie war, welche die Ozeane in den letzten 25 Jahren absorbierten, machten die Forscher*innen Vergleich: Die Menge entsprach der Energie von 3,6 Milliarden Atombomben von der Grösse der Bombe von Hiroshima.[11]
Praktisch gleichzeitig publizierte auch die amerikanische Unternehmensberatungsfirma McKinseys ein Szenario zum Klimawandel. McKinsey mit seinen weltweit rund 30 000 Mitarbeiter*innen ist kein systemkritisches Unternehmen, eine versteckte politische Agenda kann also ausgeschlossen werden. Dennoch befürchtet McKinsey Ernteausfälle, überflutete Flughäfen und ausbleibende Touristen. McKinsey sieht die Folgen der Erderwärmung für die Volkswirtschaften als verheerend an. Geschehe nichts, könne der Klimawandel «Hunderte Millionen Menschenleben, Billionen von Dollar an Wirtschaftskraft sowie das physische und das natürliche Kapital der Welt gefährden», prognostizierten die Berater von McKinsey in ihrer Studie «Climate Risk and Response». Darin analysierte das McKinsey Global Institute die Folgen des Klimawandels für 105 Staaten in den kommenden 30 Jahren. Für ihre Prognosen gingen die Autor*innen von der bisher realistischen Annahme aus, dass die CO2-Emissionen weltweit weiter steigen, da nennenswerte Massnahmen ausbleiben.
Von den volkswirtschaftlichen Folgen der Klimakrise wird besonders Indien betroffen sein, da dort ungefähr die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts unter freiem Himmel erwirtschaftet wird. Weil Hitze und Luftfeuchtigkeit zunehmen, wird diese Arbeit immer öfter unerträglich. Das könnte Indien bis 2030 bis 4,5 Prozent an Wirtschaftsleistung kosten. Doch Indien ist nicht allein, besonders betroffen sind auch Länder wie Pakistan, Bangladesch oder Nigeria. Falls die CO2-Emissionen weiter ansteigen, werden im Jahre 2030 gegen 360 Millionen Menschen in Regionen mit tödlichen Hitzewellen leben; bis 2050 könnte die Zahl bis auf 1,2 Milliarden wachsen.
Konsequenzen hat die Klimaerwärmung aber auch in anderen Regionen. Bis ins Jahr 2050 werden auch der Tourismus und die Lebensmittelproduktion am Mittelmeer leiden; das Klima in Marseille wird jenem von Algier von heute entsprechen. Die Gefahr durch Wirbelstürme und Flutwellen könnte den Wert von Immobilien im US-Staat Florida um 30 Prozent reduzieren. Die Erwärmung der Ozeane wird den Fischfang um rund acht Prozent verringern und die Lebensgrundlage von 650 bis 800 Millionen Bürgern weltweit beeinträchtigen. Und weil ein Viertel der wichtigsten 100 Flughäfen weniger als zehn Meter über dem Meeresspiegel liegen, werden diese ernsthaften Gefahren durch Flut und Sturm ausgesetzt sein, heisst es in der McKinsey-Studie.[12]
Forscher*innen und Wirtschaftsfachleute reden in ihren Untersuchungen und Studien zwar vom worst case, wenn sie davon ausgehen, dass sich kein wirksamer Klimaschutz durchzusetzt. Dabei ist der schlimmste Fall noch viel schlimmer. Und er ist die Realität.
Der worst case ist nicht, dass es beim bisherigen CO2-Ausstoss bleibt. Der schlimmste Fall ist, dass der CO2-Ausstoss weiter massiv ansteigt. Die globalen Treibhausgas-Emissionen stiegen in den letzten zehn Jahren um 1,5 Prozent jährlich. Deshalb wurde 2018 ein neuer Höchstwert erreicht. Deshalb wird die Menge Treibhausgase, die reduziert werden muss, immer grösser statt kleiner. Ende November 2019 veröffentlichte das Umweltprogramm der UNO (Unep) den «Emission Gap Reports». Das kollektive Versagen, das Klima zu schützen, «verlangt nun eine starke Reduktion der Emissionen in den nächsten Jahren», sagte die Unep-Direktorin Inger Andersen.[13]
So alt diese Forderung war, erhört wurde sie nicht. Im Gegenteil, das Wachstum des CO2-Ausstosses wird vorerst weitergehen. Es gibt keinen weltweiten Plan, den Neubau von Kohlekraftwerken zu verbieten oder die Erschliessung von neuen Öl- oder Erdgas-Feldern innerhalb nützlicher Frist zu stoppen. Dabei ist der Fall klar: Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, dürfte die Menschheit gemäss Weltklimarat insgesamt maximal noch 580 Gigatonnen CO2 produzieren, um spätestens bis zum Jahr 2050 CO2-neutral zu werden. Doch eine Studie, die im Juli 2019 im Fachmagazin Nature veröffentlicht wurde, zeigte, dass allein die bereits existierenden Verbrennungskraftwerke – Kohle, Öl und Gas – mit 658 Gigatonnen CO2 weit mehr Kohlendioxid ausstossen werden, wenn sie wie geplant weiter betrieben werden.[14]
Und es wird noch viel schlimmer.
Obwohl die Europäische Union Mitte Januar unter Propaganda-Getöse Tausend Milliarden Euro Investitionen in einen «Green Deal» ankündigte, um die EU bis ins Jahr 2050 klimaneutral zu machen[15], stimmte das EU-Parlament einen Monat später für eine von der EU-Kommission vorgelegte Liste mit 32 Gas-Infrastrukturprojekten. Für die Grünen war dieser Entscheid «eine Schande», weil er den Green Deal der EU untergrabe und mithelfe, den Planeten weiter aufzuheizen. Auch das Climate Action Network kritisierte den Entscheid: «Diesen Gasprojekten Priorität und Geld zu geben, bedeutet, Europas Zukunft über die nächsten 40 bis 50 Jahre in Gasabhängigkeiten zu zementieren und bis zu 29 Milliarden Euro an EU-Steuergeldern in unnütze Anlagen zu verschwenden.»[16]
Weltweit sieht es nicht besser aus. Im Oktober 2018 befanden sich über 1300 neue Kohlekraftwerke in Planung. Zudem planten mehr als die Hälfte der 746 Kohlekraftwerksbetreiber weltweit, ihre Anlagen zu erweitern. In rund 60 Staaten trieben Unternehmen und Investoren den Bau von Kohlekraftwerken voran. Über 200 Unternehmen bauten ihren Kohleabbau aus. Das publizierte die Global Coal Exit List, die von einer Gruppe von 28 Nichtregierungs-Organisationen geführt wird. Dabei war nicht der Energiehunger der Industrie oder der Bevölkerung für den Bau der neuen CO2-Schleudern entscheidend. Nein, es waren grössten Teils die Kohleminenbesitzer selbst, die ihre Kohle verfeuern wollten, um daraus Profit zu schlagen.[17] Und keine Regierung war im Jahr 2020 bereit, ihnen den Riegel zu schieben. Selbst das reiche Deutschland will erst im Jahr 2038 aus der Kohle aussteigen. «Die Inbetriebnahme eines neuen Kohlekraftwerks und das weitere Abbaggern von Dörfern lässt sich weder national noch international erklären», sagte Bundestags-Fraktionschef der Grünen Anton Hofreiter zu Recht.[18]
Der Klimawandel ist unterdessen so weit fortgeschritten, dass er nicht mehr bloss in Langzeitvergleichen, sondern gar im täglichen Wetter nachweisbar ist. «Seit April 2012 hatten wir weltweit betrachtet keinen einzigen Tag mit ‹normalem› Wetter», sagte Sebastian Sippel im Januar 2020. Der Forscher am Institut für Atmosphären- und Klimaforschung der ETH Zürich war Hauptautor einer Studie, die kurz zuvor im Fachmagazin «Nature Climate Change» veröffentlicht wurde. Neue Daten öffneten eine neue Perspektive in der öffentlichen Wahrnehmung des Klimawandels. Denn der Mensch orientiert sich an einzelnen und aktuellen Wetterereignissen, wie Mitautor und ETH-Forscher Reto Knutti sagte. Die Studie zeigte, dass nicht nur die Häufung von Extremereignissen Zeichen für den Klimawandel sind, sondern dass sich die Erderwärmung global gesehen sogar an jedem einzelnen Tag bemerkbar macht.[19]
Ein anderes Beispiel, wie stark die Klimakrise bereits eingesetzt hat, sind die zunehmenden Feuersbrünste. Sie haben Stephen Pyne dazu veranlasst, vom Pyrozän, dem Zeitalter des Feuers, zu sprechen, das nun angebrochen sei. Der Forscher der Arizona State University gilt als Pionier der Feuerökologie. Seine These des Pyorzäns belegt er unter anderem dadurch, dass es im Frühsommer 2019 in Alaska und Sibirien so СКАЧАТЬ