Название: Thriller-Paket 11 Krimis Juni 2020 Sammelband 11002
Автор: A. F. Morland
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783745212617
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»Und wenn ...?«, fragte sie nach einer Pause und sah dem Mann ins Gesicht. Die blauen Augen des Doktors wichen ihr aus. »Ab wann treten Hirnschäden auf?«, wiederholte sie. »Sie brauchen mir nichts vorzumachen.«
»Kann keiner sagen. Lassen Sie das Penicillin erst mal wirken. Morgen früh kommen Sie gegen acht wieder vorbei. Die Schwester bringt Gretchen gleich auf Station.« Der Arzt erhob sich, winkte mit der Hand und verließ leise den Raum.
Natürlich ging Käthe nicht. Sie nahm den Tragriemen ihrer Tasche von der Schulter und setzte sich auf den Schemel, der noch warm war, unmittelbar neben der Untersuchungsliege und sie betrachtete den Körper und das Gesicht mit dem rötlichen Fieberschatten.
So begann ihre Nacht.
*
Unterdessen war der Rechtsanwalt Jean Abel aus München zu Hause angelangt. Er kam gerade aus dem Urlaub. Unten im Süden war er gewesen. Aber jetzt war leider Schluss damit. Die Arbeit rief.
Er warf die Tür seines Wagens zu und ging die drei Stufen in seine Kanzlei hinauf. Den Hörer zwischen Schulter und Ohr wühlte er mit der Linken in einem Aktenstoß, den ihm Jane Münster, seine Anwaltsgehilfin, säuberlich neben den vielen anderen aufgetürmt hatte, damit der Meister bei der Bearbeitung die Übersicht nicht verliere. Nun suchte er die Übersicht. Dort, ja, das war's. Er zerrte die schmale Akte heraus, blätterte, fand die Telefonnummer, wählte und hörte das Freizeichen. Sein Blick wanderte zu der noch offenen Kanzleitür hinaus. Im weichen Licht der Laterne wirkte der Straßenasphalt gelblich. Ein Kater ging vorbei, den Schwanz stolz in die Höhe gestreckt. Sein langer Schatten folgte ihm und wanderte über die Schwelle. Abels Hund Paul Schmitz bellte aus dem Auto herüber.
Es knackte in der Leitung. Eine Männerstimme sagte: »Waldmüller hier.«
»Abel.«
»Endlich«, man konnte die Erleichterung des Mannes hören als er ausatmete. »Ich war schon drauf und dran, beim Notdienst anzurufen.«
»Der ist nur für Strafsachen«, sagte Abel nüchtern. Der Hund bellte weiter. Der Kater war nicht mehr zu sehen.
»Kann ich vorbeikommen?«, fragte die Männerstimme.
Abel nickte und antwortete: »Wenn Sie sich nicht an der Unordnung auf dem Schreibtisch stören.« Waldmüllers Probleme waren anderer Natur. Abel legte auf und ging den Hund und den Koffer holen.
»Jetzt ist Schluss mit dem Schlendrian und dem Rumgetreibe«, sagte er zu Paul Schmitz, scheuchte ihn auf die Straße und lächelte in sich hinein. Der Hund ging zur Wand und hob sein Bein, und sein Herr schaffte das Gepäck in die Küche. Er öffnete die Tür, damit der Mief von anderthalb Wochen rausziehen konnte. Hinter der ehemaligen Papierhandlung, wo Abels Kanzlei untergebracht war, breitete sich ein wild zugewachsener Hof aus, Brutstätte für Stechmücken und Oase mitten in Lehel. Abel schnüffelte ein wenig Hinterhofluft, hörte, wie ein Paar lautstark auf einem Balkon stritt, den man halb einsehen konnte. Abel ging in die Kanzlei zurück und setzte sich an seinen Schreibtisch. Die Deckenbeleuchtung war an. Ein helles, warmes Licht strömte aus den Strahlern.
Jetzt hatte jeder sein Büro, Abel und Jane. Sie hatten renoviert, Tapeten geklebt, gegipst und gestrichen. Jetzt roch es frisch. Früher hatten sie in einem Raum zusammengesessen, das war unangenehm für die Mandanten, wenn sie über intime Dinge reden mussten. Intim kann bei einem Anwalt auch der Grund für einen Meineid oder fortgesetzte Schwarzfahrerei sein. Einen Teppichboden gab es jetzt auch. Nur der Besucherstuhl und der Schreibtisch waren die alten geblieben und wirkten nun ein wenig deplatziert, abgeschabt, zwar noch nicht popelig, aber das würde noch kommen. An der Wand hing eines der blau-weißen abstrakten Bilder, die bis vor Kurzem noch fast jede Wand in der Kanzlei geziert hatten. Der Maler war einer von Abels Freunden, der bei ihm in der Kanzlei Bilder auslagerte. Jetzt hatte sie der Maler wieder abgeholt. Er machte schon seit Langem auf Yves Klein, bloß dass er zum Blau noch Weiß tat. Jetzt hatte er es geschafft, dass auch andere seine Verwandtschaft mit dem Franzosen entdeckt hatten. Heute gingen die Bilder gut. Also war für Abel nur das Dankbarkeitsexemplar geblieben, das er liebte, weil er immer andere neue Formen darin erkannte, wenn er beim Nachdenken darauf starrte. Nun schien ihm das Gemälde mit seinem neuen schmalen, silberfarbenen Rahmen richtig kostbar. Abel hatte im Urlaub Bilder von eben jenem Yves Klein in Nizza gesehen. Jetzt weiß man, was man zu Hause hat, dachte er und blätterte in dem Aktenstück, um den letzten Brief zu lesen, der in der Sache Waldmüller contra Quast GmbH & Co. eingegangen war. Dann starrte er wieder auf das Bild hinüber.
Waldmüller hatte ihn mit drei Anrufen aufgescheucht und von der überfüllten Côte zurück nach München gejagt. Abel hatte während der Fahrt vor sich hin gegrübelt. War er denn der Lakai? Brach seinen Urlaub ab. Weiß der Himmel, wie lange es her war, seit er zum letzten Mal im Urlaub war. Und nach zehn Tagen diese drei Anrufe! Abel hatte seine Klamotten in den Koffer geworfen, den Hund ins Auto gelockt, die Frau geküsst, die sein Zimmer geteilt hatte, und war weggefahren. Genua, Mailand, Brenner. Zurück zur Arbeit. Home, home, sweet home. Er lachte. Wehe dem Waldmüller, wenn er ihn nur zum Spaß im Urlaub aufgescheucht hatte! Dann würde er ihm eine Rechnung schreiben, dass ihm die Augen tränten. Soweit, so gut. War’s aber nicht gerade die Aussicht darauf, Waldmüller zur gegebenen Zeit, wenn der Fall glücklich zu Ende gebracht worden war, wirklich eine satte Rechnung schreiben zu können, die ihn seinen Urlaub hatte abbrechen lassen? War es nicht die Gewissheit, dass einer wie Waldmüller so eine Rechnung auch bezahlen konnte? Abels Klientel bestand nicht aus Geschäftsleuten wie Waldmüller, sondern aus Studenten, einfachen Leuten, armen Schluckern und kleinen Kriminellen. Die Renovierung hatte einen Batzen Geld verschlungen. Da kam ein solcher Fall wie Waldmüller gegen Quast & Co. wie gerufen. Trotzdem fühlte sich Abel ein wenig käuflich. Waldmüller winkte mit dem Scheckbuch, und Abel sprang. Das war normalerweise nicht so bei ihm. Und wenn er sprang, dann weil’s nötig war und nicht wegen des Geldes.
Es klopfte. Waldmüller trat ein. »Gut sehen Sie aus«, sagte er zu Abel.
»Danke.« Abel zeigte ihm den Sessel und lehnte sich zurück. Der Mandant setzte sich und legte sein Lederköfferchen auf die Knie. Waldmüller war ein schmaler Mann, elegant gekleidet, und trug sogar nachts noch einen Schlips zum Zweireiher. Wenn er sprach, hatte seine Stimme einen hellen, heiseren Klang.
Ein blau-weißer Schatten huschte über die Fenster. Ein Streifenwagen war vorbeigeglitten. Das Horn brauchte er nicht, weil niemand auf der Straße war.
Waldmüller sah sich um, dann wandte er sich zurück zu Abel. Er sprach mit seiner merkwürdig hohen Stimme. »Die gehen über die Wupper«, sagte er.
Abel machte die Geste der römischen Kaiser, wenn ein Gladiator im Zirkus das Leben verlieren sollte. Daumen nach unten.
»Insolvenz?«
»Scheiße, ja«, sagte Waldmüller und schüttelte sich.
»Ist das sicher?«, fragte Abel, und als Waldmüller nickte, erkundigte sich der Anwalt nach der Quelle der Information.
»Der Prokurist. Er hat einen Freund, und dem hat er gesagt, dass sie morgen um neun Gesellschafterversammlung haben, da wird man entscheiden, ob man sofort zum Konkursrichter geht.« Mit einer kurzen Geste streckte Waldmüller den Arm vor und schaute auf die silbrig schimmernde Sportuhr mit römischen Ziffern. Die Uhr sah nicht aus, als wäre sie eine Imitation. Waldmüller hatte die Zeitanzeige nicht wahrgenommen. Es war nur so eine Angewohnheit. Abel zog seine Hemdmanschette ein wenig nach vorne, СКАЧАТЬ