Thriller-Paket 11 Krimis Juni 2020 Sammelband 11002. A. F. Morland
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СКАЧАТЬ einer die Nerven verliert, wird es nicht dadurch besser, dass sein Anwalt ebenfalls durchdreht. Deshalb schwieg Abel und starrte Rolf Waldmüller ins Gesicht. Der hielt dem Blick nicht stand, lief zur Tür, drehte sich herum, wollte wieder etwas schreien, davon, dass einer wie der andere sei bei diesen Juristen. Alle immer einen schwammigen Spruch nach dem anderen auf den Lippen.

      Abel schien zu ahnen, was Waldmüller durch den Kopf ging. »Was hilft's Ihnen, wenn ich behaupte, alles klar, Aussichten bestens, und dann fallen wir auf den Hintern? Was dann? Dann würden Sie sich mit Recht hinterher beschweren.«

      »Ich könnte wenigstens heute Nacht besser schlafen.«

      »Bis um sieben«, sagte Abel und hob die Hand.

      *

      Sie hatten Käthe endlich ein Bett gemacht. Rooming in. Mütter konnten in der Kinderklinik die Nacht verbringen, um sie zu beruhigen und damit man sie gleich da hatte, wenn was war. Das Bett stand in einem schmalen Raum neben Gretchens Zimmer, der keinen Schmuck aufwies, nur ein Kruzifix ohne den Heiland hing an der Wand. Käthe saß auf der Bettkante, ihre Handtasche vor den Füßen, den Kopf in die Hände gestützt und starrte das Kruzifix an. Ein Kruzifix sind zwei unterschiedlich lange Holzleisten, die sich im rechten Winkel kreuzen. Mehr nicht. Sie hatte mit dem Christentum nichts mehr zu tun. Kinder lernten den Glauben von den Eltern. Doch oft war Beten nur leere Routine. Aber noch nicht einmal das war bei Käthe zu Hause gebräuchlich gewesen. Nur in der Schule hatte sie Religionsunterricht gehabt, weil der Vater nicht aus der Kirche ausgetreten war. Doch vom Unterricht war nichts unter die Haut, geschweige denn ins Herz gelangt.

      Wenn Käthe selbst einmal die Augen zumachen wird ... die endgültige Finsternis. Sie machte sich keinerlei Illusionen. Und was von ihr zurückbleiben würde? Ein paar Gegenstände, die verteilt werden würden, die eine oder andere Anekdote, zwei, drei Sprichwörter, die sie häufiger benutzt hatte. Trauer und Tränen? Wenn Gretchen sie überlebt, bestimmt. Sonst bleibt nur der Name Käthe Lauer auf einem Grabstein. Aber dafür lebte man ja schließlich nicht. Für Gretchen schon. Und zwar egal, ob sie hinterher um ihre Mutter trauerte.

      Käthe liebte ihr Gretchen ganz einfach. Und deswegen hatte sie würgende Angst davor, das Kind wegen eines Zeckenbisses zu verlieren.

      Sie blickte wieder zu dem Kruzifix auf, das im kalten Licht einer Neonröhre an der Wand hing. Wie jeder hatte sie schon ein paarmal, als es Spitz auf Knopf stand, ein Geschäft mit dem Göttlichen machen wollen. Früher, als sie noch klein gewesen war, handelte sie mit dem Heiland, denn der war körperlicher, gegenwärtiger, später liefen diese Verhandlungen dann mit einem abstrakten Gott. Dieser Gott war für sie nicht allwissend, sondern allvermögend gewesen. Das war wichtig, denn er konnte mit einem Griff alles herumwerfen. Oft hatten die Geschäfte mit dem Allvermögenden geklappt und Käthe hatte als Kind ihren Teil der Vereinbarung pingelig eingehalten.

      Also gut, sagte sich die erwachsene Käthe, wieder ein Handel. Gelang es Gott, dass sich Gretchen entspannte, die Röte aus dem Gesichtchen verschwand und nur noch die Backen glühten, die Nase lief, dann sollte was fällig sein. Es kostete Gott in seiner Herrlichkeit doch nichts, dachte sie, wenn er mit einer Geste die Normalität wieder herstellte, oder wenigstens so viel, dass am folgenden Morgen das Fieber sinken und das Penicillin seinen Siegeszug antreten würde. Aber warum sollte er sich auf einen Handel mit Käthe Lauer aus München einlassen?

      Käthe stand auf, trat an das Kreuz heran, verschränkte die Arme vor der Brust und starrte auf die beiden braun gebeizten Holzlatten. Nein, sie war nicht gläubig, jetzt aber bereit, auf ein Zeichen zu reagieren. Sie sprach kein Gebet. Das Händefalten war Kinderhänden vorbehalten. Sie stand aufrecht. Sie hatte sich in ihrem Leben angewöhnt, aufrecht zu stehen. Gott konnte doch diese Haltung nicht verwerflich finden und darauf bestehen, dass man kniete. Also stand Käthe aufrecht und bat für ihr Kind vor dem Kreuz in der weiß gestrichenen Rooming-in-Zelle. Und sie versprach Gott etwas, wenn's klappte. Was, wusste sie noch nicht. Aber es würde was sein, das sie schmerzte. Warum eigentlich musste so was schmerzen, fuhr es ihr durch den Kopf. So, als wäre was Schmerzliches für Gott eine Wohltat, als zähle für ihn nur, was durch Verzicht und Qual erkauft werden musste. Schaffte er denn nicht aus einer wohlwollenden Gleichgültigkeit heraus alles, was so vorkam, und obendrein noch die Wunder? War für ihn Gretchens Leiden nicht genauso fern wie der Tod der Kinder damals in Auschwitz? Seien wir doch ehrlich, er kann doch nur so weiterexistieren, der abstrakte Gott, wenn er so weit draußen ist, so weit weg. Wie könnte er das Leid sonst ertragen? Käthe kam sich ungerecht vor, gegenüber dem, mit dem sie einen Handel machen wollte, weil sie ihn so kalt einschätzte. Doch dann dachte sie, egal, wenn's hilft, verspreche ich was Schmerzliches. Dann löschte sie das Licht und legte sich in den Kleidern für einen Dämmerschlaf hin.

      *

      Von wegen sofortiges Studium der Rechtsprechung! Kaum dass Waldmüller endlich die Kanzlei verlassen hatte, ging Abel in seine Küche, gab dem Hund zu saufen und machte sich was zu Essen. Steinhartes Vollkornbrot war das Einzige, was er fand. Die Butter war ranzig und roch obendrein nach Kühlschrank. Er holte eine Büchse Sardinen aus der Speisekammer, Verfallsdatum war gerade noch okay. Bei Fisch war Abel pingelig.

      Die Heimat hatte ihn wieder.

      Wie hatte er da in Frankreich gegessen, und welche Weine hatte er getrunken! Wie hatte er gelebt! Er musste lächeln, war versucht, mit seinem Hund zu sprechen. Er dachte an das Postkartenmeer, mit Segeln gespickt. Das Gewusel an Land hatte nachgelassen. Krethi und Plethi aus Paris waren gerade fort. Retours jours difficiles! Die Campingplätze nicht mehr zum Bersten voll. Das Land hatte durchzuatmen begonnen. Träger Südwind hatte die Wellen kräuseln lassen. Windsurfer hatten am Strand gelegen und neben den in der Brise wehenden bunten Segeln gefachsimpelt. Schöne Frauen waren vorbeigegangen, die Schuhe in der Hand, manche mit einem Lächeln auf den Lippen. Kinder hatten sich mit Sand beworfen.

      »Und du schaust dich auch wieder um, wenn's bald hier in München regnet«, sagte er zu Paul Schmitz und warf ihm ein Stück Brot zu.

      Abel schüttelte die Sentimentalitäten ab und ging in sein Büro. Er löschte das Deckenlicht, knipste die Tischlampe an und stellte den Teller mit Brot und Sardinen auf die Schreibunterlage. Er goss sich noch einen großen Weinbrand ein, dann zog er das Telefon herüber und wählte Frankreich. 0033 493286877. Er wollte seiner Carol sagen, dass er gut angekommen war. Doch keiner nahm ab. Sie war ausgegangen. Was sollte sie auch zu Hause im Ferienhaus hocken und auf seinen Anruf warten?

      Er legte achselzuckend wieder auf. In zwei Tagen war er wieder unten. So viel Zeit gab er sich in dieser Sache. Dann sollte Waldmüller seine Maschine verscherbeln und Abel würde einen namhaften Betrag an Honorar einnehmen. Dann würde er mit der Ferienliebe gut essen gehen. Was heißt gut, exzellent! »Und der Hund bekommt einen großen Kalbsknochen!«, sagte er zu Schmitz, der das trockene Brot mit der Nase auf dem Boden herumschubste.

      Abel machte Musik. Carmen McRae, Septembergirl und dann Mel Torme, Swings Shubert Alley. Er aß seine Sardinen und trank Weinbrand dazu. Alles kam ihm interimsmäßig vor. Zwei Tage auf Arbeit zu Hause. Juristische Montage an einem Eilfall.

      Er versuchte noch einmal unten im Ferienhaus anzurufen. Keiner nahm ab. Na ja, es würde schon alles in Ordnung sein.

      Jetzt nahm er sich den Kommentar zur Zivilprozessordnung vor und suchte nach passenden Argumenten, um die Sache Waldmüller in Sack und Tüten zu bekommen.

      *

      Abels СКАЧАТЬ