Mörder kennen keine Grenzen. Horst Bosetzky
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Название: Mörder kennen keine Grenzen

Автор: Horst Bosetzky

Издательство: Readbox publishing GmbH

Жанр: Зарубежные детективы

Серия:

isbn: 9783745205954

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СКАЧАТЬ so scheint es mir manchmal, steckt in mir auch ein Romancier, der das Epische liebt. Somit ist es im Hinblick auf meine Aufzeichnungen nicht weiter verwunderlich, wenn Analysen und Reflexionen immer wieder von der bloßen Deskription des Erlebten unterbrochen werden. Das kann natürlich nicht ohne Stilbrüche abgehen, zu denen es vor allem immer dann zu kommen scheint, wenn es mir beim Niederschreiben meiner Gedanken misslingt, meine Emotionen ganz zu kontrollieren. Wahrscheinlich spielt meine Eitelkeit dabei mit; ich merke schon jetzt, wie sehr mich diese Umstände fortwährend frustrieren und wie schwer die angestrebte Katharsis zu erreichen sein wird.

      Nach dieser notwendig gewordenen Anmerkung kann ich nun reineren Gewissens zur Universität und zu Beate Blau zurückkehren.

      „Nun, haben Sie ein schönes Wochenende verlebt?“, fragte ich betont distanziert, als hätte ich die picklige Schulfreundin meiner Tochter vor mir.

      „Ja, danke ... Gestern war ich tanzen im Palais am Funkturm. Da hab ich ’nen Steuerprüfer kennen gelernt, Diplom-Kaufmann mit ’nem roten Alfa Romeo, wissen Sie, was der mir nach zwei Tänzen vorgeschlagen hat?

      „Nein, woher ...“ Ich merkte, wie ich rot wurde. „Ist die Post schon da?“, fragte ich schnell.

      Sie warf mir einen resignierenden Blick zu, ließ sich vom Schreibtisch herabgleiten, strich sich Loreley-Haar und Boutique-Kleidung glatt und drückte mir einen gefüllten Aktendeckel in die feucht gewordene Hand. Ich verschwand dankend in meinem Zimmer.

      Picassos Frau mit Haarnetz schaute mir schwarz-grün vom Fünf-Mark-Hertie-Druck entgegen. Am liebsten hätte ich ihr den jadegrünen Stein ins Gesicht geworfen, den ich mir im vergangenen Jahr aus Rhodos mitgebracht hatte. Ich empfand eine furchtbare Wut gegen etwas, das sich nicht fassen, nicht denken ließ. Es ist natürlich Unsinn, zu behaupten, ich hätte geahnt, was an diesem Tag auf mich zukommen würde.

      Ich öffnete das Fenster, blickte einige Sekunden lang auf den mit Schieferplatten belegten Weg hinunter, der sich von der Mensa zum Henry-Ford-Bau schlängelte, musterte die vorüberziehenden Studierenden, vor allem die weiblichen, und genoss es, dieses prestige- und geldlose Stadium hinter mir zu haben. Obwohl ich mich dagegen wehrte, spürte ich wie immer den Widerwillen gegen diesen disziplinlosen Haufen, der mir alles nehmen wollte, was ich mir mühsam aufgebaut hatte, der meine Thesen und Theorien höhnisch kritisierte und verwarf, der alles besser wusste. Und dabei hatte ich ihnen selbst die Munition geliefert und oftmals mit ihnen hinter den Barrikaden gelegen. Das war es ja, was mich so entnervte: mit dem Verstand war ich auf ihrer Seite, doch meine Gefühle ihnen gegenüber waren voller Abscheu und Aggression. Der Geist, den mir mein Vater, der Oberst Robert W. Kolczyk, jahrelang eingeimpft hatte, ließ sich so leicht nicht abtöten.

      Ich schreibe das vor allem, um mir selbst über manche Motive meines Handelns klar zu werden. Vielleicht gibt es auch Tiefenpsychologen und andere kluge Leute, die diese Aufzeichnungen einmal analysieren und meiner Frau, meiner Tochter und meinen Freunden klarmachen, wer ich war und warum ich so war. Ich hasse philosophisches Geschwafel, dem ich oft nicht entgehen kann, aber in meinen privaten Aufzeichnungen nehme ich mir das Recht, so zu schreiben, wie ich meiner Herkunft nach empfinde.

      Zuerst las ich mir die diversen Flugblätter durch, die mir die blaue Beate, wie man sie privat – mitunter recht treffend – nennt, liebenswürdigerweise zusammengetragen hatte. Ich verfluchte diesen und jenen und wandte mich dann den Vorschlägen zu, die von studentischer Seite zur Reform unseres Instituts erarbeitet worden waren. Doch schon kurz darauf klopfte Beatchen, stieß die glatte graue Tür auf und schleppte ein ziemlich schweres Paket herein.

      „Die Belegexemplare vom Verlag ...!“, schnaufte sie.

      Ich ging ihr schnell entgegen und nahm ihr den Packen aus der Hand. Mein neues Buch, endlich! Gemeinsam wickelten wir das erste Exemplar aus. Ich war so aufgeregt wie Weihnachten 1933, als mir meine Eltern die erste elektrische Eisenbahn geschenkt hatten. Der letzte Bogen glitt auf den Fußboden hinunter, ich hielt das Buch mit ausgestreckten Armen. Es muss so ausgesehen haben, als würde ich meinen erstgeborenen Sohn in Empfang nehmen.

      Rüdiger Kolczyk

      Thesen über den Zerfall sozialer Systeme

      Ein schmucker orangefarbener Umschlag, schwarze Lettern. Ich freute mich unbändig. In diesem Buch steckten drei Jahre harter Arbeit. Alles sprach dafür, dass es ein soziologischer Bestseller werden würde. Ich sah sie alle, Scharen von Professoren und Studenten in allen Ländern der Erde, wie sie meine Thesen diskutierten, wie sie mich zu verstehen suchten.

      Kolczyk, Kolczyk, Kolczyk! Auf den nächsten Weltkongressen für Soziologie würden sie meinen Namen flüstern, mir nachblicken, das Gespräch mit mir suchen. Mehr noch als bisher. All die Götter unserer Wissenschaft, angefangen bei Talcott Parsons. Ein Ruf, ein attraktiver Lehrstuhl war mir sicher. Ich war süchtig, süchtig danach, groß und außergewöhnlich zu sein und die Welt zu verändern. Das klingt alles so banal, so stümperhaft formuliert, aber ich schreibe ja kein Buch, um der Prophet für die Millionen Suchender zu werden, sondern kritzle ein paar Hundert schäbiger Blätter voll, um für mich selber Bilanz zu ziehen.

      Kurzum, in dem Augenblick, wo ich dieses Buch aus dem Packpapier schälte, war ich glücklich. Vergangenheit und Zukunft waren voll nie gekannter Harmonie. Die Weichen waren gestellt, wie man so schön zu sagen pflegt. Mit dieser Veröffentlichung musste ich in die erste Reihe der Kronprinzen rücken, musste ich schlechthin die Zukunft meiner Partei werden. Endlich haben wir einen Politiker entdeckt, der uns einen klaren und hoffnungsvollen Weg in das einundzwanzigste Jahrhundert weisen kann! Ich war sicher, dass Bonn mich schon erwartete. Ein Intellektueller mit Charme, mit Popularität, mit Charisma, mit einem ausgeprägten Sinn für Stabilität und Integration und dennoch voll neuer Ideen – das war garantiert die richtige Mischung. Und Freunde hatte ich genug.

      Ich ließ Beatchen eine kleine Flasche Sekt aufmachen, sie konnte es so gut, trank mit ihr zwei Gläser und küsste sie dann. Sie ließ mich wieder jung werden, ließ mich jubeln, und beinahe war mein Triumph so total wie damals 1939, als ich meinen ersten Hundert-Meter-Lauf gewonnen hatte und zum Helden der Schule avanciert war.

      Immer wieder frage ich mich, welchen Sinn es denn hat, dies alles niederzuschreiben. Wen interessiert es schon? In jeder Sekunde vollenden sich auf diesem Planeten Millionen von Schicksalen – wenn man die alle registrieren wollte! Aber ich schreibe weiter, schreibe, ohne es vielleicht zu wollen, gehorche unbekannten Mechanismen.

      Doch zurück zu diesem Oktobertag, an dem sich das erfüllen sollte, was offenbar schon lange in meinem Leben beschlossen lag.

      Ich musste mich von Beatchen lösen, musste ihren warmen Körper zurückstoßen, musste die Nirwana Wolke aus kostbaren Hölzern, Chypre, Jasmin und Rosen verlassen, weil es klopfte.

      Das ist alles so kitschig, ja, aber soll ich die Wirklichkeit nur deswegen verfälschen, weil sie kitschig ist? Soll ich mich nur deswegen belügen, weil die Wahrheit einer Lüge gleicht? Nein.

      In der Tür stand ein untersetzter, aber keineswegs bulliger oder dicklicher junger Mann, den ich im ersten Augenblick recht sympathisch fand. Fr trug einen grauen Anzug, der vor fünf Jahren bei Müller-Wipperfürth oder C & A kaum mehr als hundert Mark gekostet haben konnte, einen leichten Rollkragenpullover und ein Paar ausgetretene schwarze Schuhe. Er lächelte so schüchtern wie ein Lehrling, der mit der attraktiven Frau des Chefs allein im Salon geblieben ist. Zum Friseur hätte er auch mal gehen können. Ich hielt ihn für einen mädchenlosen, möglicherweise homoerotischen Jüngling, der elegische und unverkäufliche Gedichte schrieb und womöglich einer Sekte angehörte, die sich der Errettung des Geistigen und des Harmonischen im Menschen verschrieben hatte. Aber irgendwie mag ich solche Leute. Wahrscheinlich deswegen, weil ich mir in ihrer Nähe immer männlich, erfolgreich, СКАЧАТЬ