Название: Mörder kennen keine Grenzen
Автор: Horst Bosetzky
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783745205954
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Dann schlief ich ein, glücklich wie ein reich beschenktes Kind, und zum ersten Mal seit Jahren freute ich mich wieder auf den nächsten Tag.
Als ich dann erwachte, hatte ich alles vergessen. Ich starrte minutenlang auf einen platten Käfer, der auf dem Rand meines Nachttopfs entlangbalancierte und immer wieder in den verdammt milchigen Urin zu stürzen drohte. Ob ich wirklich was an den Nieren hatte? Unsere Toilette, die ich mit zwei anderen Mietern teilen musste, befand sich am Ende eines muffigen Korridors, den ich nachts immer mied. Meine Angst vor Ratten und lauernden Gestalten ist wohl krankhaft.
Ich gähnte. Mir war übel, und ich fürchtete jeden Augenblick, mich übergeben zu müssen. Meine Füße, die unter der unbezogenen Wolldecke hervorschauten, sahen so gelblich aus wie die eines Greises und mieften gewaltig.
Nebenan wurden Stimmen laut. Offenbar entließ Miezi einen Kunden, der sich eine ganze Nacht lang leisten konnte. Ich hatte schon die ganze Zeit über Lust gehabt, und nun würde Miezi sicherlich die ... die Nase voll haben. Ich fluchte. Ich hatte ihr vorgestern den Staubsauger repariert, und sie war mit der Bezahlung noch ein wenig im Rückstand. Eine Tür fiel zu, Miezi drehte ihren Schlüssel herum. Scheibenkleister!
Als ich dann meinen Hormonspiegel selber senken wollte, klingelte es. Dreimal. Also Ziegenhals! Ich rutschte von meiner wackligen Liege, zog mir schnell eine Badehose über und riss meine Tür auf. Vielleicht der Geldbriefträger, vielleicht der Bundeskanzler! Ich dachte immer solchen Quatsch, wenn es klingelte. Ich glaubte jedes Mal, es würde jemand draußen stehen, der mich mitnahm und irgendwohin entführte, wo alles anders war, wo man sich plötzlich wieder wie ein Kind fühlte, das sich im Wohnzimmer ein Indianerzelt aufgebaut hat, während die Mutter in der Küche Schokoladenpudding kocht. Aber es standen nur immer Vertreter draußen, die ich schon deswegen hasste, weil eben nicht meine Mutter gekommen war, mein Vater, ein Mann vom Verlag, der mir einen Vertrag brachte, ein Mädchen, das mich liebte und brauchte, ein Freund, der mich nicht nur als Mittel zum Zweck benutzen und ausbeuten wollte.
Diesmal war es der Briefträger. Ein plattfüßiger Brillenträger mit Glupschaugen.
„Morgen, Meister! Wieder kein Nobelpreis in Aussicht!“ Er hielt mir ein sorgfältig verschnürtes Päckchen vor die Nase, auf dem ein rötlicher Zettel lag. „Ein Einschreiben! Bitte quittieren Sie!“
Wortlos kritzelte ich meinen Namen auf die dafür vorgesehene Linie, gab dem guten Mann den Wisch zurück und zog mich mitsamt dem Päckchen in meine Bruchbude zurück. Wieder ein Manuskript, das niemand haben wollte, wieder Fehlanzeige!
Ich war so verzweifelt wie etwa 1953 bei der Beerdigung meiner Großmutter. Damals hatte ich den letzten Menschen verloren, der mich geliebt und behütet hatte, jetzt verlor ich mich selbst, verlor meine Zukunft. Ich hatte mich rettungslos in die Idee verrannt, mit einem meiner schwachsinnigen Romane Erfolg zu haben und dadurch endlich zum entscheidenden Aufbruch gezwungen zu werden. Ich hatte ja keine andere Chance mehr, mich mit eigener Kraft aus meiner elenden Umwelt zu befreien. Berlin-Kreuzberg, Naunynstraße, ein Haus, das im nächsten Jahr abgerissen werden sollte, abgerissen werden musste. Auch Thomas Wolfe hatte jahrelang so gehaust, das wusste ich. Aber ich war eben kein Thomas Wolfe.
Ich riss das Päckchen auf und überflog den Text.
Sehr geehrter Herr Ziegenhals!
Das Manuskript WER SINGT, DER STIRBT haben wir inzwischen mit Interesse gelesen. Leider sehen wir jedoch keine Möglichkeit, diesem spannenden Roman einen günstigen Platz im Rahmen unseres Verlagsprogramms zu geben. Bitte, sehen Sie in unserer Ablehnung kein Werturteil. Wir beeilen uns, Ihnen das Manuskript wieder zur Verfügung zu stellen, und danken Ihnen, dass Sie uns eine Prüfung ermöglicht haben...
Ein sauberer, ein vornehmer gelber Bogen, exakte Buchstaben, die Manifestation einer hochmütigen Macht. Ich zerknüllte ihn und warf das Papier aus dem Fenster. Einen Augenblick lang spürte ich den Impuls, mich hinauszustürzen, hinunter auf das graue Pflaster, das so herrlich nach Staub, Dreck und Urin roch. Ein berauschender Gedanke! Aber was war das Berauschende daran, die Angst vor dem Tod oder das Glück, dieser beschissenen Welt endlich entrinnen zu können?
Ich raste. Dieser verdammte Armleuchter von Lektor! Hätte ich ihn vor mir gehabt, ich hätte ihn zusammengeschlagen, ich hätte ihn zerfleischt!
Mein Hass gegen die, die das waren, was ich nicht sein konnte, wuchs und wuchs, überflutete mich, trieb mich zum Fenster, wollte mich zum Sprung zwingen.
Schon taumelte ich, schon gab ich nach, denn in diesem Moment schien es mir, als könnte ich ohne Rache und Triumph nicht weiterleben. Und die Gewissheit, beide Ziele niemals erreichen zu können, folterte mich irgendwie, sodass ich den Tod, das neutrale Nichts, als einzige Erlösung ansehen musste.
Da fiel mein Blick auf die Fotokopie der amerikanischen Arbeit und zugleich auf die deutsche Dissertation. Jäh verhielt ich.
Na wartet, ihr großen aufgeblasenen Herren, ich werde euch in Angst und Schrecken versetzen! Ich werde mir einen herauspicken und ihn fertigmachen. Einen stellvertretend für euch alle!
Ich weiß, das alles klingt verdammt nach Klamotte, aber genau das habe ich gedacht. Gedanken erregter Menschen sollen ja selten erhaben sein. Ich kann mich eben nicht besser ausdrücken, nicht anders verständlich machen!
Bernd Ziegenhals als Erpresser! Nachdem ich bis dato lediglich einen 65er VW gestohlen, einem betrunkenen Münchner am Stuttgarter Platz die Brieftasche aus dem Jackett gezogen, einen Tunesier krankenhausreif geschlagen, einer Wirtin 55 Mark Miete vorenthalten, mehrere kleinere Ladendiebstähle verübt und ein Jahr lang von der Arbeit einer gutmütigen Prostituierten gelebt hatte, war das zumindest ein Fortschritt. Aber bisher hatte man mich ja auch nicht erwischt ... Den Schluss aber, ich sei ein geborener Verbrecher, dürfte das alles noch lange nicht rechtfertigen.
Ich hatte also wieder ein Ziel, das Leben lohnte sich plötzlich, der Tag brachte endlich mal was Neues. Ich schaltete mein Transistorgerät ein, tanzte nach der Yellow Submarine-Melodie über die morschen Dielen und suchte meinen besten Anzug heraus. Dann kämmte ich mich. Derart verbürgerlicht nahm ich mein Frühstück zu mir, das zur Feier des Tages aus dem letzten Zipfel echter deutscher Landleberwurst bestand.
Jetzt erst konnte ich mich dem Problem widmen, wie ich ohne einen Pfennig Geld in der Tasche zur Universität gelangen sollte. Zu Fuß von Kreuzberg nach Dahlem waren es gute vier Stunden. Ich war aber nicht verrückt. Verdammt, ich hätte Hohenbergs Geld nicht so schnell verpulvern sollen! Erst das Fußballspiel im Olympiastadion, dann das Besäufnis in der Heißen Ecke und schließlich die Gebühr für die Benutzung von Babsy. Wie sollte man da was sparen? Obwohl mein Großvater selig immer zu sagen pflegte, spare in der Not, dann hast du Zeit dazu.
Jedenfalls brachte mich die Assoziation Babsy-Miezi auf die glorreiche Idee, es bei meinem kleinen Engel zu versuchen. Ich ging auf den Flur hinaus, wo ich im Halbdunkel über eine von Miezis Presskohlen stolperte. Nach der schönen Devise „Denk daran, schaff Vorrat an!“ ließ sie sich alljährlich im Herbst von ihrem Kohlenhändler drei oder vier Zentner Briketts hier oben aufstapeln. Ein Eros-Center war unsere Wohnung also weiß Gott nicht. Ob er es wusste?
Still und zart klopfte ich an ihre Tür.
„Feierabend!“
„Ich will ja gar nicht!“ Dieses verdammte Weibsbild hatte wirklich nichts anderes im Kopf. „Kannst du mir wohl fünf Mark pumpen ...?“
„Hau ab, lass mich schlafen!“
„Bitte, Mieze ...!“
„Ich СКАЧАТЬ