Mörder kennen keine Grenzen. Horst Bosetzky
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Название: Mörder kennen keine Grenzen

Автор: Horst Bosetzky

Издательство: Readbox publishing GmbH

Жанр: Зарубежные детективы

Серия:

isbn: 9783745205954

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СКАЧАТЬ sehen ...“ Sie ordnete ihre frisch gebleichten Haare, blinzelte dem jungen Mann aufmunternd zu und studierte dann die am Schrank hängende Liste, in der die Sprechstunden aller am Institut beschäftigten Dozenten und Assistenten eingetragen waren. „Hm ... Der Raum drüben ist frei ...“

      Wir gingen hinüber in das kleine Sprechzimmer, dessen blassgraue Wände durch zwei glasbedeckte Miró-Drucke verschönt wurden. Ein karger Raum, der irgendwie an eine Theaterkulisse erinnerte. Ich setzte mich hinter den Schreibtisch, wohl wissend, dass ich mir damit schon eine gewisse Überlegenheit verschaffte, während mein Besucher, der bisher außer einem mehr gehauchten guten Morgen noch nichts gesagt hatte, mir gegenüber in einem lila bezogenen Sessel Platz nahm. Er schlug die Beine übereinander, und ich konnte deutlich sehen, wie unter seiner rechten Schuhsohle ein großer Flatschen lehmgelben Hundekots klebte. Eine leichte Übelkeit erfasste mich.

      „Womit kann ich Ihnen helfen?“, fragte ich, wobei ich mich bemühte, weder einen herablassenden noch zu betont wohlwollenden Ton anzuschlagen.

      „Ja, ich ...“ Er sprach leise, fast so, als fürchte er sich vor seiner eigenen Stimme. Er war sehr nervös. Er spielte mit seinen Fingern, schnippte mit den Nägeln und zerbiss seine Unterlippe.

      Um ihn nicht noch mehr zu irritieren, blätterte ich in einer herumliegenden Liste, in der die Teilnehmer aller meiner Seminare und Übungen schön säuberlich verzeichnet waren.

      „Habe ich Ihren Namen schon notiert ...?“

      Mein seltsamer Besucher blickte mich mit etwas zusammengekniffenen Augen an. Dabei war es in diesem Raum alles andere als gleißend hell. Sekundenlang bewegte er die Lippen, ohne aber einen Ton herauszubringen. Er schien sich irgendwie unschlüssig zu sein.

      Schließlich würgte er hervor: „Ich heiße Bernd Ziegenhals ...“

      Ich hatte Mühe, ein Lächeln zu verbergen.

      „Ziegenhals ist ein kleiner Ort im Süden von Berlin“, erklärte mir mein Besucher, als wollte er für seinen merkwürdigen Namen um Verzeihung bitten. „In der DDR, am Großen Zug ... das ist eine Art See ...“

      „Ich weiß“, lächelte ich. „Früher haben wir immer Ausflüge von Zeuthen nach Ziegenhals gemacht ...“

      Wir schwiegen beide, irgendwie wurde die Szene bedrückend und unwirklich. Ich musterte Ziegenhals, als sollte ich sein Gesicht fünf Minuten später im Verlauf eines psychologischen Tests möglichst genau auf ein DIN-A4-Blatt nachzeichnen. Zuerst dachte ich, dass er gar keinen dünnen Ziegenhals hatte, sondern eher als stiernackig zu bezeichnen war. Sein Gesicht war breit, slawisch, robust. Sein ungepflegtes dunkles Haar und seine wilden Koteletten verliehen ihm etwas Löwenhaftes, während ihn der schlaffe Schnauzbart eher wie einen melancholischen Bernhardiner wirken ließ. Meine Assoziationen waren eindeutig: Gangster, Clochard, Pflastermaler, asoziales Element, Trunkenbold, LSD-Schlucker, Protestsänger, Radaubruder. Trotz dieser negativen Beurteilung bewunderte ich ihn irgendwie. Vielleicht weil ich selber sauber und adrett, pünktlich und zuverlässig, strebsam und erfolgreich, treu und ehrlich war.

      „Tja, ich weiß nicht ...“, druckste Ziegenhals herum. „Ich bin heute zu Ihnen gekommen, um ... Sehen Sie, Herr Doktor, ich ...“

      Hier brach er ab, weil Beatchen mir eine Coca brachte. Ich stellte die Flasche aufs Fensterbrett, verfolgte kurz eine Boeing 727 der PAN AM, die in Richtung Tempelhof zog, und konzentrierte mich dann wieder auf Ziegenhals.

      Erst jetzt fiel mir auf, dass er ein akzentfreies Hochdeutsch sprach. Diese Tatsache stand in einem auffälligen Gegensatz zu seiner äußeren Erscheinung. Aber das war ja hier in Dahlem nichts Neues.

      In ihrem Schreibzimmer hörte Fräulein Blau Radio DDR. Eine weiche Stimme sang von den Zeigern einer Bahnhofsuhr, die sich „drehn drehn drehn“.

      „Vielleicht können wir zur Sache kommen ...“, sagte ich, die gebotene Chance nutzend, und blickte kurz auf meine Armbanduhr.

      „Angefangen hat es wohl 1951!“, sagte Ziegenhals plötzlich. Seine Stimme war wie verwandelt, ich spürte direkt, dass er sich innerlich einen Ruck gegeben hatte.

      „Ich verstehe nicht ...“

      „Ich mache das nicht gerne, aber mir bleibt nichts weiter übrig“, fuhr Ziegenhals fort, wieder etwas zaghafter.

      „Nun kommen Sie doch endlich zum Thema!“, drängte ich ärgerlich. Ich vermutete in Ziegenhals einen verschrobenen Linken, der mir auf diese Art seinen Glauben nahe bringen wollte. 1951 – was war da alles gewesen? Ich überlegte, um wirksam kontern zu können. Frieden von San Francisco mit Japan, Korea-Krieg, Bildung der Montan-Union in Luxemburg – worauf wollte Ziegenhals hinaus?

      „Ein Freund von mir studiert Soziologie“, begann Ziegenhals erneut und zündete sich eine Gauloise an. Umständlich ließ er die Streichholzschachtel in seinem schäbigen Jackett verschwinden und warf das Streichholz neben den Aschenbecher auf den Tisch. Es rauchte noch einige Sekunden. Typisch, dachte ich. Draußen hämmerte Beate auf ihre Schreibmaschine ein. Eine wärmebedürftige Mücke zwängte sich ins Zimmer und umschwirrte Ziegenhals. Er griff sie mit seiner linken Hand, zerdrückte sie und wischte sie am Hosenbein ab.

      „Sie nicht?“, fragte ich ziemlich ratlos.

      „Nein, seit einiger Zeit nicht mehr ... Aber gelegentlich helfe ich einem Freund von mir ...“

      Er stotterte keineswegs, er sprach nur etwas schleppend. Seine blassblauen Augen blickten glanzlos und traurig.

      „Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll ...“, murmelte Ziegenhals.

      Mein Gott, was wollte denn dieser verklemmte Mensch bei mir? Ich war schon versucht, ihn einfach hinauszuwerfen.

      „Möchten Sie vielleicht meine Übung besuchen?“, fragte ich ungeduldig.

      „Ja ... Das heißt, nein ...“

      „Dann dreht es sich also um Ihren Freund“, fragte ich recht mürrisch, weil es mich irritierte, dass er sich ungeniert ein langes schwarzes Haar aus seiner relativ kleinen und scharf geschnittenen Nase riss.

      Ziegenhals blickte aus dem Fenster und verzog die Stirn zu einem hässlichen Waschbrett. „Ja, schon ... Er hat den Sommer in Amerika verbracht ... Ein Stipendium an der Duke University in Durham, North Carolina ...“

      Ich lächelte – und ahnte noch immer nichts. „Da bin ich auch mal ein Jahr gewesen – März 1950 bis Februar 1951 ...“

      „Na sehen Sie!“ Irgendwie schien er erleichtert zu sein. „Mein Freund hat ... ja, er hat sich die Fotokopien eines längeren Aufsatzes, eines kleinen Buches mitgebracht ... Einer Arbeit aus dem Jahre 1949 ... Der Autor heißt Charles Emery!“ Den letzten Satz hatte er herausgestoßen, als hätte er beim Verspeisen eines Honigbrots auf eine Wespe gebissen.

      Ich starrte ihn an, gelähmt, im Innersten getroffen. Es schien mir, als wäre ich eine der hölzernen Figuren, die man auf den Rummelplätzen findet und die nach hinten klappen, wenn man mit dem Ball eine ganz bestimmte Stelle trifft. Und Ziegenhals hatte diese Stelle getroffen! Ich sah Särge, Urnen, Kränze, Stricke, vorbeirasende Bahnen, weinende Frauen, höhnische Freunde, barsche Richter, sah mich nackt Spießruten laufen, sah feuchte Gefängniszellen.

      Jetzt war Ziegenhals Herr der Lage; ja, er schien sich direkt an meinem Entsetzen zu weiden.

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