Название: Suchtkrank - Bis alles zerbricht?
Автор: Karsten Strauß
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Секс и семейная психология
isbn: 9783347029668
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Der abhängig kranke Mensch ist schwer krank.
„Du siehst doch, wohin das führt, hör' doch auf mit dem Mist.“ Das bekommt ein Suchtkranker oft zu hören. Aber Abhängigkeit, Sucht, ist eine schwere Krankheit. Das wissen viele gar nicht. Sie wissen nicht, dass man eine Krankheit nicht einfach loswerden kann, wenn man sie nicht mehr haben will. Sagen Sie mal einem Diabetker, einem Rheumatker, einem Allergiker, einem Schilddrüsenkranken oder einem Krebskranken, er solle doch einfach damit auffiören, er wisse doch, dass ihm das nicht gut tut.
„Selbst schuld“ sind zwei Worte, die abhängig kranke Menschen so oft zu hören bekommen, dass sie's selbst glauben. Rauchenden Lungenkrebspatenten, fußamputerten Diabetkern und querschnittsgelähmten Reitern schlägt da deutlich mehr Verständnis und Respekt entgegen.
Alkoholkranken und anderen abhängig kranken Menschen, die nicht unverzüglich „zur Vernunft kommen“, wird sogar von Therapeutenseite vorgehalten: „Du bist noch nicht tef genug unten, um's zu kapieren. Du musst wohl noch eine Runde drehen.“.
Es ist Menschen verachtend, jemanden absichtlich immer weiter abrutschen zu lassen und sein inneres und äußeres Gefüge damit zu demolieren. Es ist eine Illusion zu glauben, jemand habe ausgerechnet dann die größten Kräfte, wenn seine Krankheit gerade die schwersten Schäden anrichtet.
Andererseits: selbstverständlich wird niemand gezwungen, Alkohol zu trinken, als Gesunder Pillen zu schlucken, Heroin zu injizieren, Kokain zu schnupfen oder mit dem Tabakrauchen anzufangen. All das sind freiwillige Entscheidungen. Dummerweise sind alle davon überzeugt, die Angelegenheit im Griff zu behalten.
Wir Menschen halten uns auch angesichts ganz offensichtlicher Gefahren oft für unverwundbar. Jugendliche erst recht. Niemand hat in diesem Alter die Endlichkeit des eigenen Lebens vor Augen, auch als Erwachsene können uns Klimakatastrophe, Umweltverseuchung und Asteroiden nichts anhaben.
Die Millionen-Mega-Cites Istanbul und San Francisco liegen in Gebieten, die mit Sicherheit von verheerenden Erdbeben betroffen sein werden und Fukushima findet immer nur bei den anderen statt. Wir leben mit dem Risiko, es bleibt oft nichts anderes übrig. Aber das verleitet eben auch zu riskanten Entscheidungen, die dann zu Krankheiten führen, die wir so gar nicht haben wollen. Wobei das Trinken eines oder auch mehrerer Biere oder eines Glases Wein absolut nicht als riskante Entscheidung gilt.
Alle abhängig kranke Menschen unterliegen zwei meist zu wenig beachteten Krankheitsmerkmalen: dem Craving und der Ambivalenz.
Craving
Während eine „normale“ Krankheit regelmäßig Abwehrmechanismen im Menschen in Gang setzt, durch Medikamente oder Operatonen beeinflussbar oder heilbar ist und eigentlich immer durchgehend den Wunsch nach Besserung und Genesung auslöst, macht die Suchtkrankheit etwas anders: sie erzeugt gnadenloses Verlangen nach dem Stoff, der krank macht und krank hält.
Das ist das Craving, der Suchtdruck, die Giftgeilheit. Das ist keine „Art Zwang“ mehr, wie die WHO das als ein Symptom unter vielen für die Suchtkrankheit definiert, das ist ein entscheidendes Kriterium, eine fürchterliche Zwickmühle, in der sich der kranke Mensch befindet, ein Abgrund, in den er zu springen gezwungen ist, obwohl er weiß, dass er sehr hart aufschlagen wird.
Das Craving beherrscht den abhängig kranken Menschen total, seine Gedankenwelt, seine Gefühlswelt und seinen Körper. Er erwacht mit dem Gedanken, ob noch genügend Stoff im Haus ist, ob er genug Geld für weiteren hat, wo er mehr bekommen kann; sein Tagesablauf drapiert sich um den Augenblick des Konsums herum; ja, er hat noch Gefühle für seine Nächsten, kann Freude empfinden, Trauer, Liebe, Wut - aber alles ist dem Gefühl des Haben-müssens des bevorzugten Stoffes untergeordnet, ebenso sein Empfinden für Recht und Unrecht; er spürt die Gier nach dem Stoff in jeder Faser seines Körpers, es tut weh und er weiß: erst der Stoff wird ihm Linderung verschaffen, seinem Körper, seinem Geist, seinen Gedanken, seinen Gefühlen.
Ambivalenz
Ambivalenz ist etwas vertracktes: Hü-Hott und Brrrr gleichermaßen und gleichzeitg; soll ich links abbiegen oder doch lieber rechts; tu ich's oder tu ich's nicht. Bestenfalls bedeutet Ambivalenz Entscheidungsstau, Verzögerung, schlechtestenfalls Stllstand und Entscheidungsunfähigkeit. Ambivalenz ist Zerrissenheit und Passivität. Sie ist nicht sonderlich angenehm.
Alle Menschen, die psychotrope Substanzen außerhalb einer definierten therapeutschen Behandlung konsumieren, sind ambivalent. Ambivalent heißt: sie wollen den Stoff konsumieren und auch wieder nicht, sie wollen die Wirkung haben und auch wieder nicht, sie wollen auffiören und auch wieder nicht, sie wollen Nähe und Zuwendung und gehen gleichzeitg auf Distanz, sie wollen Hilfe und doch alleine klar kommen, sie wollen vertrauen können und dennoch ihr Misstrauen behalten, sie wollen Vertrauen ernten und trauen sich selbst kaum. Diese Zwickmühle ist noch bedrückender als es sich anhört. Denn sie lässt kaum Raum für Klarheit und verhindert Entscheidungen. Sie ist nicht immer gleich stark, sie variiert, sie ist immer dann besonders stark spürbar, wenn der Substanzspiegel weit genug gesunken ist, verschwindet auf wunderbare Weise bei dessen Ansteigen und nährt so das Verlangen nach dem bevorzugten Stoff.
Es ist wichtg, die Ambivalenz im Auge zu behalten, wenn man mit einem Substanz konsumierenden oder abhängig kranken Menschen zu tun hat. Sonst ist man beispielsweise leicht geneigt, Aussagen als Betrug, als Lüge, als Verarschung, mindestens als gepflegten Selbstbetrug zu werten, obwohl der Betreffende nichts anderes tut, als diesen - seinen - Anteil zu sehen und zu formulieren.
Deshalb ist Ambivalenz erfreulicherweise nicht nur negatv: sie bietet dem Therapeuten mit ihrem gesunden Anteil eine Möglichkeit, ressourcenorientert zu arbeiten. Das erst versetzt uns in die Lage, die klassische und weit verbreitete Defizitmethode3 zu verlassen, die Stärken des Menschen zu nutzen und damit eine sinnvolle, effiziente, Erfolg versprechende und den Hilfe Suchenden annehmende Herangehensweise zu verwirklichen - sehr ökonomisch also.
Der„innere Schweinehund“
Ein gern genommenes Bild. Ähnlich oft wird mit dem „Engelchen“ und dem „Teufelchen“ gearbeitet. Das sind Metaphern, die die Meisten gut verstehen. Sie sollen verdeutlichen, dass wir Menschen auch negatve Anteile in uns haben. Anteile, die uns nicht gut tun, die uns zu Dingen verführen, die wir eigentlich nicht tun sollten.
Mit diesen Bildern arbeiten wir nicht. Auch das will ich gern begründen.
„Sie müssen Ihren inneren Schweinehund bekämpfen und am besten besiegen.“ meinen viele Therapeuten und in der Folge auch viele abhängig kranke Menschen. Analog soll das Engelchen über das innere Teufelchen siegen.
Hört sich gut an, ist es aber nicht.
Als ich meine Stelle als Chefarzt antrat, stand am Eingang der Klinik auf einem kleinen Podest ein Stein, in den war eingraviert: „Sich selbst zu bekriegen ist der schwerste Krieg, sich selbst zu besiegen ist der schönste Sieg.“ So eine Art Motto der Klinik.
Nach einiger Zeit stand er nicht mehr da. Aber nicht, weil ich es angeordnet hätte, sondern ich habe mit meinen Mitarbeitern einfach etwas diskutert:
Wenn du gegen dich Krieg führst, wenn du gegen dich kämpfst, wer kann nur verlieren?
Richtg: du selbst.
Aber niemand verliert gerne, niemand wird gerne besiegt. Das ist ein höchst unangenehmes Gefühl. Niederlagen verzeiht man nicht gerne, auch nicht sich selbst. Und in der Regel schafft man sich СКАЧАТЬ