Название: Suchtkrank - Bis alles zerbricht?
Автор: Karsten Strauß
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Секс и семейная психология
isbn: 9783347029668
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Chronisch bedeutet: es ist eine langwierige und langfristge Erkrankung, nichts Akutes, das schnell kommt und schnell wieder geht. Es gibt viele solcher Erkrankungen. Zum Beispiel Atemwegserkrankungen, Herz-Kreislauferkrankungen, Allergien, Schilddrüsenerkrankungen, Magen- und Darmerkrankungen, Hauterkrankungen. Manche begleiten uns ein Leben lang, manche stören kaum, manche sind sehr beeinträchtgend, manche sogar tödlich. Bei vielen chronischen Erkrankungen können wir etwas machen, um sie im Zaum zu halten, bei manchen sind wir hilf- und machtlos.
Der Verlauf chronischer Erkrankungen ist recht unterschiedlich. Einige verharren auf einem bestmmten Niveau und verändern sich nicht, andere werden von Jahr zu Jahr schlimmer und wieder andere haben einen rezidivierenden Verlauf.
Rezidivierend bedeutet: die Krankheit hat einen phasenhaften Verlauf. Es gibt Phasen, in denen der Mensch Symptome hat, schwer unter seiner Erkrankung leidet, akut krank ist. Bei der Abhängigkeitserkrankung bedeutet die Symptomphase: er konsumiert (Konsum-Phase, „Nass-Phase“ bei Alkoholikern).
Und es gibt Zeiten, Phasen, in denen der Mensch nichts oder nicht viel von seiner Erkrankung spürt (obwohl sie nach wie vor da ist), er aber nicht akut unter ihr leidet. Bei der Abhängigkeitserkrankung bedeutet das: er konsumiert nichts (Clean-Phase, Trocken-Phase bei Alkoholikern).
Beide Phasen sind obligatorischer Bestandteil einer chronisch-rezidivierenden Erkrankung. Bei vielen chronisch-rezidivierenden Erkrankungen können wir mit unseren heutgen medizinischen Mitteln die symptomfreie Phase ausdehnen und die Krankheitsphase mit Medikamenten mildern. Manche können wir auch heilen.
Die Abhängigkeitserkrankung wird durch Substanzen ausgelöst, die die Potenz haben, eine absolute Macht über den Menschen auszuüben, über seine Empfindungen, seine Wahrnehmungen, seine Reizverarbeitung, seine Sichtweisen, seine Gefühle, sein Denken, seine Handlungen. Das ist wirklich sehr umfassend und greift tef in den Menschen und seine Verhaltensweisen ein.
Die Substanzen veranlassen den Menschen zu zwanghaften Handlungen. Zwangshandlungen sind nichts Unbekanntes, wir kennen derart schlimme Erkrankungen zur Genüge. Zwangshandlungen sind solche, von denen wir meist zwar wissen, dass sie irgendwie nicht in Ordnung oder gar schädlich sind (z.B. Waschzwang, der auch nicht auffiört, wenn die Haut blutg und kaputt ist und schmerzt wie die Hölle), und wir auch gerne anders handeln würden, wir sie aber trotzdem tun müssen, wir haben keine Wahl - irgendetwas in uns (in diesem Fall die Macht der Substanz) ist stärker als jedes andere Regulatv. Diese Potenz ist von Substanz zu Substanz unterschiedlich groß. Und auch das gesamte Schadenspotenzial, das vom Konsum eines Stoffes ausgeht, ist sehr differenziert zu sehen. Deshalb stmmt der Satz nicht: „Sucht ist Sucht, egal, was der Mensch konsumiert“.
Grob gesagt:
Alkohol zum Beispiel ist die meistkonsumierte Substanz. Die Entwicklung einer Abhängigkeitserkrankung von Alkohol ist in der Regel schleichend, kann Jahre, manchmal Jahrzehnte dauern. Die Betroffenen haben sehr häufig ein Gespür dafür, wann es eigentlich zu viel ist mit dem Alkohol.
Bei Kokain sieht das ganz anders aus: die Konsumenten haben über einen manchmal monate- und sogar jahrelangen Konsumzeitraum das Gefühl, die Droge beherrschen zu können. Dabei ist es sehr schnell, meist nach fünf- bis sechsmaligem Konsum, schon andersherum: die Droge übernimmt die Herrschaft. Kokain ist die hinterlistgste Droge, die ich kenne. Und wohl diejenige mit dem ausgeprägtesten Schadenspotenzial, weil sie so oft konsumiert wird von Menschen in Führungspositonen - und deren Entscheidungen und Sichtweisen dann sehr korsettiert sind.
Denn alle Substanzen zwängen den Menschen in das Korsett ihres Wirkprofils. In der Folge kann sich dann ein Gefühl des Überlegenseins einstellen, des Alles-schaffen-könnens, ein Gefühl, Kraft stünde ohne Ende zur Verfügung und man sei hellwach und top-leistungsfähig über viele Stunden (z.B. Kokain, Amphetamine).
Oder man nimmt alles aus der Umgebung und in seinem eigenen Körper als besonders schön und intensiv wahr, ist die Gelassenheit in Person und blendet Negatves einfach aus (z.B. Ecstasy, Benzodiazepine)
Dass solcherlei Interpretaton der Realität im privaten wie beruflichen Umfeld zu sehr suboptmalen Handlungen führen kann, dürfte schon aufgrund dieser wenigen Beschreibungen klar sein.
„Rückfall“
Wir arbeiten nicht mit dem Begriff Rückfall. Das will ich gerne erklären.
Jedes Wort hat allgemeine „Bedeutungsinhalte“ und natürlich persönliche Färbungen. Bei „Rückfall“ denken wohl die meisten von uns daran, dass etwas erneut auftritt, das besser nicht erneut auftreten sollte: die Deutung, das Gefühl bei diesem Wort ist negatv, unangenehm. Bei abhängig kranken Menschen bedeutet das Wort meist: „zurück auf Anfang; alles bis hierhin, das war alles umsonst, wir sind wieder da, wo wir gestartet sind, ich habe versagt.“ Selbst Therapeuten denken und reden so. Und klassifizieren den Rückfall gern als Versagen des Klienten, Versagen der Therapie oder alles zusammen. Das ist nicht nur falsch, sondern auch alles andere als hilfreich.
Denn einen „Rückfall“ kann es nur geben nach einer Phase, in der alles soweit in Ordnung war. Bei einer chronisch-rezidivierenden Erkrankung gehört der „Rückfall“ sozusagen per Definiton zum Krankheitsverlauf dazu, ist also nichts Besonderes.
Würde man jetzt alles wieder auf Anfang schrauben, wäre diese Phase des Erfolgs verloren, nicht mehr wichtg, zunichte gemacht… was erdreisten wir uns da eigentlich? Da hat ein Mensch es geschafft, über einen gewissen Zeitraum seiner Erkrankung ein Schnippchen zu schlagen, gesund zu leben, vielleicht mit Mühen verbunden, mit Anstrengung und schmerzendem Kopf - aber er hat es geschafft. Und das soll jetzt nichts mehr Wert sein? Dieses wunderbare Gefühl, nicht mehr unter dem Zwang der Substanz zu stehen, das war nichts wert? Das ist es nicht wert beachtet, geschätzt und hochgehalten zu werden?
Dazu kommt: schon eine Weinbrandpraline wird als Rückfall bezeichnet, schon eine Pille oder eine Line. Was ist das für eine blöde Philosophie, die ganze tolle Teile einer Biografie, eine Erfolgsgeschichte, einem einzigen Moment opfert?
Nein.
Wir schauen uns das sehr genau an, in jedem einzelnen Fall. Und dann wird in Ruhe nachgesehen, nachgespürt und bewertet: Steht eine erneute Konsumphase bevor? Befindet sich der Klient schon in einer solchen? Wie war die Situaton des Konsums? Hätte er z.B. auch mehr konsumieren können, tat es aber nicht?
Es gibt in dieser Situaton immer eine ganze Menge Fragen zu klären, zu Gewichten und erst dann, wenn man alles inclusive Zeitablauf berücksichtgt hat, dann kann man sagen, ob's eine Konsumphase ist oder nicht. Und das ist die einzige Entscheidung bei der chronischrezidivierenden Abhängigkeits-Erkrankung: Konsumphase oder Clean-Phase.
Oft genug entscheiden wir dann zusammen mit dem Klienten: kein Grund zum Jubeln, über diesen Konsum hat sich niemand gefreut, das war überflüssig, gefährlich und doof, ein Moment punktueller Blödheit. Aber dann schauen wir wieder nach vorn und betrachten zum Beispiel, was diesen Moment nicht zu einer Konsumphase hat werden lassen…“Stärken zu stärken,“ sagte einmal der Kollege Hirschhausen als er noch richtg gut war, „ist so viel sinnvoller, als an seinen Schwächen herumzudoktern.“2
Ich will gerne zugeben, dass diese Art des Umgangs sehr viel Erfahrung voraussetzt und, noch wichtger, wohl nur dann wirklich erfolgreich bewältgt werden kann, wenn Akupunktur eingesetzt worden ist: die Redukton des Suchtdrucks ist ein Segen.
Und ich will gerne zugeben, dass diese Sichtweise in erster Linie dem abhängig Kranken selbst und seiner Helferseite nützlich, sinnvoll und einfach richtg ist. Angehörigen, die unter einem erneuten Konsum СКАЧАТЬ