Zwischen Bolschewismus und Bergpredigt. Norbert Ortgies
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Zwischen Bolschewismus und Bergpredigt - Norbert Ortgies страница 4

Название: Zwischen Bolschewismus und Bergpredigt

Автор: Norbert Ortgies

Издательство: Readbox publishing GmbH

Жанр: Зарубежная публицистика

Серия:

isbn: 9783347106666

isbn:

СКАЧАТЬ freie Gespräche oder einen intellektuellen Austausch mit Mädchen war kaum zu denken. Auch an den männerdominierten Universitäten änderte sich das Bild nicht wesentlich.

      Spottlied nach der Melodie:

      „Der Gott, der Eisen wachsen ließ …“

      „Tyrannenfeind, von ganzem Herz

      Ist Bitter, hoch an Stärke

      Er ruft gar oft in welchem Schmerz

      Im Vers zum blut'gen Werke:

      Zu tilgen von der ganzen Erd'

      Die Herrscher alle mit dem Schwert,

      So daß ein Reich von Brüdern

      Ersteh und blühe nah und fern.

      Daran will er mit rechtem Mut

      Und ganzer Treue halten,

      Und freudig der Tyrannenbrut

      Die Schädeldecke spalten.

      Und wer für Fürst und Reichtum spricht,

      Den hauet er zu Scherben.

      Der soll im Land der Zukunft nicht

      Mit seinen Brüdern erben.

      Noch einen grimm'gen Feind hat er

      In der Mathes erblicket.

      Denn dieses Fach, das faßt er sehr,

      In Formeln er ersticket.

      […] Satz und Formel liebt er nicht.

      Das sind zu harte Laute.

      Er sieht voraus im Wahngesicht

      Die Freiheit ferner Leute.“31

      „Bitters Sinnbild - Willkommen teure Brüder!“

      Quelle: „Klassenspiegel“, 1929. In: NLB

      „1. Stock, L. Bitter, Russisches Konsulat“

      Quelle: „Klassenspiegel“, 1929. In: NLB

      Hugo Bendiek

      Quelle: „Klassenspiegel“, 1929. In: NLB

      Hubert Hinterding

      Quelle: „Klassenspiegel“, 1929. In: NLB

      Abitur 1929 am Dionysianum Rheine. Ludwig Bitter: vorderste Reihe ganz rechts.

      Quelle: Sammlung Greiwe, Rheine

      Schepers (links), Hinterding (rechts), o.J.

      Quelle: Sammlung Greiwe, Rheine

      So war es wohl auch eine Frage der Gewohnheit und Bequemlichkeit, dass man in vertrauter Männerrunde blieb.

      Erst Jahrzehnte später bekannte sich Hubert Hinterding gegenüber Hugo Bendiek dazu, schon immer homosexuell gewesen zu sein. Er beklagte die einstige Sprachlosigkeit der Drei über wahre Gefühle.32 In ähnlichem Sinne wies er einen der Brüder Bitters kaum verhohlen darauf hin, dass er sich als Gymnasiast zu Ludwig als seinem Banknachbarn primär aus nicht-intellektueller Motivation hingezogen fühlte. Dieser habe seine emotionale Zuneigung jedoch weder gespürt, geschweige denn erwidert.33 Ganz so einfach, wie Hinterding meinte, war es jedoch nicht. Kaum hatte Bitter sein Studium in Münster aufgenommen, sehnte er sich nach einem echten Freund und notierte einen einzigen Namen – den Hinterdings, mit Fragezeichen.34 Von Bendiek musste sich Hinterding anhören, seine bittere Abrechnung mit der Vergangenheit wie der Gegenwart führe zu nichts.

      Hinterdings allgemeine Unfähigkeit zur zwischenmenschlichen Kommunikation, nicht aber eine von ihm - Bendiek und anderen - gar nicht vertretene Feindseligkeit gegenüber Homosexuellen sei schuld an der von Hinterding beklagten Flachheit sozialer Kontakte.35 Womöglich wussten Bendiek wie Bitter längst, d.h. seit Abiturzeiten Bescheid von Hinterdings Grundproblem. Bitter notierte damals: „Und Hubert? Ja[,] was ist in Hubert gefahren? Und das haben wir solange nicht gesehen? Ganz nicht, aber doch kannten wir ihn. Jetzt kenne ich ihn. Ganz, seine Jugend, sein Schicksal, sein Denken und [unleserlich].“36

      Die von Hinterding beklagte Sprachlosigkeit des Trios in puncto Gefühle ist damit allerdings nicht widerlegt. Dazu passt eine Sentenz aus Bitters Notizbuch: „9.) Die Liebe zwischen den Menschen, erst recht Mann zu Mann, das grosse Thema! Wie die Kälte und Entfremdung überwinden?“37

      1929 waren Bendiek und Hinterding studienhalber nach Wien gezogen. Bendiek blieb dort für zwei Semester zum Studium der Philosophie, Germanistik und Romanistik (Französisch). Das dritte Semester verbrachte in Königsberg. Dort „erfuhr er ein kurzes Glück in der Liebe zu einer Studentin“.38 Weiter zog es ihn nach Paris, wo er in die französische Literatur und Philosophie eintauchte. Seinen Abschluss als Doktor der Philosophie machte er schließlich als Assistent von Professor Peter Wust in Münster.39

      Hubert Hinterding wechselte nach den zwei Wiener Semestern an die Universität Münster, wo er Musik studierte. Er strebte eine Karriere als Konzertpianist mit Doktortitel an.40 Dann aber ließ er es bei einer Abschlussprüfung zum Privat-Musiklehrer bewenden. Ein undatiertes, 89 Seiten starkes Werk, die „Tanz-Fantasie für kleinen Chor und kleines Orchester nach Versen aus den 'Sonetten an Orpheus' von R. M. Rilke“, dürfte sein Examenswerk darstellen.41 Im Sommersemester 1933 nahm er wieder das Studium in Münster auf. Nun war er zur Germanistik und von der anvisierten Musikerkarriere in Richtung Gymnasiallehrer gewechselt. Ein halbes Jahr danach war er der SA als Anwärter beigetreten.42 Der Eintritt in die SA war vermutlich die Erfüllung einer unumgänglichen Bedingung für den Abschluss des Studiums.43 Exmatrikuliert wurde Hinterding jedoch im Sommer 1935, ohne den zweiten Abschluss erlangt zu haben.44 Er ging nun seinem Broterwerb als selbständiger Musiklehrer und Komponist im Umkreis Rheines nach.45

      Als Ludwig Bitter das Dionysianum mit dem Abiturzeugnis in der Tasche verließ, hatte er Französisch, Spanisch, Griechisch und Latein mit einigem Erfolg gelernt. Später folgten noch Russisch und Englisch. Auf dem Zeugnis wurde vermerkt, er wolle Volkswirtschaft studieren.46 Davon war bald keine Rede mehr. Bitter hatte ein Faible für Geschichte, Fremdsprachen und Literatur. Zeitweilig liebäugelte er mit dem Berufsbild eines Schriftstellers.47 Mitte April 1929 meldete er sich nach Berlin ab.48 In der Reichshauptstadt suchte er wahrscheinlich Kontakte zu politisch Gleichgesinnten.

      Friedrich СКАЧАТЬ