Название: Zwischen Bolschewismus und Bergpredigt
Автор: Norbert Ortgies
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Зарубежная публицистика
isbn: 9783347106666
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Die öffentlichkeitswirksame Tätigkeit des FSSB erschöpfte sich in der Durchführung von Vorträgen für das akademische Publikum.71 Am 20. Mai 1930 sollte z.B. Frau Prof.
Anna Siemsen aus Jena, damals Reichstagsabgeordnete der SPD,, im Audimax sprechen. Die zum Thema „Frau und Sozialismus“ eingeladene Rednerin72 war eine ausgewiesene Bildungsexpertin der Sozialdemokratie.73
Der Rektor verweigerte jedoch schon im Vorfeld ihren Auftritt in den Räumen der Universität. Er könne nur unpolitische Veranstaltungen genehmigen.74 Über die Haltung des Rektorates entspann sich nun ein Disput, der im März 1931 in einer „Kleinen Anfrage“ der SPD im Preußischen Landtag gipfelte. Der preußische Kultusminister schaltete sich ein und warf der Universitätsleitung Ungleichbehandlung im Umgang mit studentischen Vereinigungen vor, nachdem selbst ein Vortrag des preußischen Innenministers Severing (SPD) nicht gestattet worden war.75
Prof. Dr. Anna Siemsen (SPD), MdR 1928-1930. Foto von 1929. Sie war zeitweilig auch Mitglied der SAP.
Quelle: AdSD/FES, Signatur: 6/FOTA009080
Reichstagswahl, SAP/Sozialistische Arbeiterpartei (Deutschlands), 01.07.1932
Quelle: BArch, Plak 002-033-009
Hingegen hatte die Universitätsspitze keinerlei Einwendungen gegen einen Auftritt der NSDAP-Größe Hermann Göring bei einer der üblichen Langemarck-Feiern76 an der WWU. Die Universitätsoberen - so der Medizinhistoriker Bernward Vieten - begegneten den Faschisten mit wohlwollender Duldung, während sie die Sozialisten misstrauisch beobachteten und behinderten.77
Die Ende 1929 ausgebrochene Weltwirtschaftskrise wirkte als Katalysator einer Politisierung78 wie Radikalisierung der Studentenschaft auch in Münster. Schon vorher hatte sich im Februar 1929 der „Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund“ als ernstzunehmender Feind der sozialistischen Linken an der Westfälischen Wilhelms-Universität konstituiert.
Münster war eine der letzten Universitäten, an der die Nazis noch nicht Fuß gefasst hatten79 Der zeitweilig von Wilhelm Schübbe geführte rechtsradikale Studententrupp begann mit der Störung von Vorlesungen ihm nicht genehmer Professoren. Otto Piper, Professor für Evangelische Theologie, eines der Vorbilder Ludwig Bitters unter der Professorenschaft, wurde zur bevorzugten Zielscheibe ihrer Aktionen.80 Bitter hatte ihn bei einer Tagung auf Burg Hohensolms näher kennengelernt.81
Prof. Dr. Otto Piper, o.J.
Quelle: Universitätsarchiv Münster, Bestand 68, Nr. 4805. Foto: Prof. Dr. Otto Piper/Fotograf(in): Clearose Studio, Princeton N.J.
Wilhelm Schübbe, als Zeuge bei den Nürnberger Prozessen, ca. 1946-1948
Quelle: US Army Photographers - http://forum.axishistory com/viewtopic.php?f=45&t=98381 &start=135, Gemeinfrei, https://commons.w ikim edia.org/w/index.php?curid=16889456
Als Anfang 1930 das Anschlagbrett des FSSB mit einem Hakenkreuz verunstaltet worden war, rüsteten Unterstützer der freien Sozialisten zum Gegenschlag. Dafür landeten drei von ihnen, von denen keiner jemals als FSSB-Mitglied geführt wurde, vor Gericht. Sie hatten die Anschlagbretter des NS-Studentenbundes entwendet und zu Hause, wo sie bei einem der Angeklagten von der Polizei beschlagnahmt wurden, „mit besonderen Zeichen“ versehen. Vor Gericht machten sie geltend, es habe sich um eine berechtigte „politische Gegenreaktion“ gehandelt.82
Die Staatsschutzorgane der Weimarer Republik maßen dem Freien Sozialistischen Studentenbund nach anfänglich anderer Ansicht keine wesentliche Bedeutung zu: „[…] zeigt die Kommunistische Zelle an der hiesigen Universität wenig Leben.“83 Man sah ihn allerdings als Bindeglied zwischen kommunistischer Bewegung und Bürgertum.84
Nach Bernward Vieten wurde der FSSB von der Universitätsführung zur kommunistischen Zelle hochstilisiert, obwohl laut Schreiben des OP Münster an den preußischen Innenminister vom 22.10.1929 nur ein einziges seiner Mitglieder gleichzeitig der KPD angehörte.85 Dabei handelte es sich um den Schriftführer Rudolf Dannenbaum.
Auch Ludwig Bitter wird bald darauf als zweites eingeschriebenes KPD-Mitglied in einem Bericht vom 16.11.1929 geführt. Dritter war Franz Hahn laut Bericht vom 02.01.1930.86 Seltsam genug, wurde der Kommunist Hahn jedoch offiziell erst viel später (im Wintersemester 1930/31) Mitglied des sozialistischen Studentenbundes – und gleich Erster Vorsitzender.87 Allerdings war er schon früher von den Überwachern der Gruppe als angebliches Mitglied nach Berlin gemeldet worden.88
Wie konnte es sein, dass die Berichte der Politischen Polizei 1929/30 hauptsächlich von Personen handelten, die im Berichtszeitraum gar nicht mehr – oder wie Hahn noch nicht - zum FSSB gehörten? Eine mögliche Lösung des Rätsels wäre es, anzunehmen, dass die genannten Kommunisten unter der Hand eben doch mitmachten, nach außen aber der Anschein erweckt werden sollte, es fänden sich keine KPD-Mitglieder in den Reihen des FSSB.
1933 soll es tatsächlich solch einen Fall gegeben haben.89 Und die Spitzel wussten vielleicht schon 1929/30 mehr als in den FSSB-Listen stand.
Letztlich aber trat die KPD Münster bei ihrer Verankerung in der Studentenschaft auf der Stelle: Im Januar 1933, unmittelbar vor der Machtübernahme der Rechtsextremen, umfasste die „Zelle Uni“ der KPD gerade einmal drei Mitglieder90, die nicht unbedingt gleichzeitig Mitglied im sozialistischen Studentenbund, ja theoretisch nicht einmal Studierende sein mussten.
Der Mitgliederbestand des Studentenbundes änderte sich in den folgenden Semestern recht rasch. Allerdings erstaunt doch, dass gleich alle drei Mitglieder des Gründungsvorstandes schon zum nächsten Semester nicht mehr in der Liste des FSSB namentlich aufgeführt sind. Nur im Falle von Dr. Bernds ist der Grund eindeutig: Er hatte die Universität Münster zum Wintersemester 1929/30 verlassen, weil er sein theologisches Zweitstudium in Wuppertal-Elberfeld fortsetzen wollte.
Als „spiritus rector“ galt den Behörden, die den FSSB misstrauisch beäugten, dessen Schriftführer Rudolf Dannenbaum. Er war mit 25 Jahren ebenfalls deutlich älter als Ludwig Bitter. Der Sohn eines jüdischen Textilkaufmanns aus Rheda stand als eingeschriebenes KPD-Mitglied und Propagandist der Partei im Fokus der geheimpolizeilichen Überwachung des FSSB.
Während er aber offiziell schon nicht mehr Mitglied des FSSB war, wovon die politische Polizei anscheinend noch ausging, soll er im Auftrag der KPD ausgedehnte Reisen innerhalb Deutschlands, durch Frankreich und Italien unternommen haben. Man unterstellte, ihm internationale Verbindungen bis nach Paris und Rom geknüpft zu haben.91
Grabmal von Rudolf Dannenbaum in Rheda
Quelle: Stadtarchiv Rheda-Wiedenbrück
Rudolf Dannenbaum verstarb jedoch schon am 8. Juni 1930 im Krankenhaus seiner Heimatstadt СКАЧАТЬ