Zwischen Bolschewismus und Bergpredigt. Norbert Ortgies
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Zwischen Bolschewismus und Bergpredigt - Norbert Ortgies страница 7

Название: Zwischen Bolschewismus und Bergpredigt

Автор: Norbert Ortgies

Издательство: Readbox publishing GmbH

Жанр: Зарубежная публицистика

Серия:

isbn: 9783347106666

isbn:

СКАЧАТЬ gewechselt oder verlassen, doch ebenfalls früh, vermutlich vor Jahresende 1929, dem FSSB den Rücken gekehrt.93 Dem widerspricht allerdings ein mit drei Jahren Abstand verfasster Brief von Ludwig an seinen Bruder Hubert.94 Demnach fand sein Austritt aus dem „Studentenbund“ vor drei Jahren, also eigentlich erst im Juli/August 1930 statt. Allerdings könnte Bitter hier auch einen ominösen KPD-nahen „Revolutionären Studentenbund“ gemeint haben, für den er kurzfristig mit Friedrich Fütterer tätig geworden war.

      Nimmt man einen womöglich nie abgesandten Brief an einen ungenannten Freund – in Frage käme vor allem Bendiek – als Anhaltspunkt, so scheint Bitter den FSSB durchaus als Vereinigung kommunistisch gesinnter Studenten verstanden zu haben. Auch war er schon im Sommer 1929 regelmäßiger Teilnehmer an Veranstaltungen der KPD-Ortsgruppe Münster.95

      Was führte einen idealistischen Philologiestudenten, Bürgersohn aus gutem, wenn auch wohl nicht begütertem Hause in die Reihen einer Partei, die in vielem, wenn nicht allem das Gegenteil seiner Herkunft und Existenz verkörperte?

      Bestimmt nicht die Bildung, die er am Dionysianum erfahren hatte. Wenn die Schule eine Rolle gespielt haben sollte, so eher als Instanz, an der er sich abarbeiten musste.96

      Die soziale Ungerechtigkeit dürfte Bitter früh mit Blick gerade auf die harte Arbeit der Ibbenbürener Bergleute erfahren haben. Noch 1934 notierte er: „Vieles ist in mir gestorben, aber eines nicht, mir selbst zum Staunen. Immer noch pocht der Vorwurf gegen die Rippen: 'Darfst du sitzen und lesen, lesen, meinetwegen auch Sprachen erlernen, während sie da unten in den Schächten sich abschinden? Ihre Arbeit ist auf jeden Fall „etwas“ wert, aber deine?'“97 Eigene Erfahrungen mit körperlicher Arbeit sammelte er bei Hilfsarbeiten und als Werkstudent.98

      Anders als viele Studentinnen und Studenten der Sechziger- und Siebzigerjahre des zwanzigsten Jahrhunderts trieben ihn jedoch nicht Ablehnung oder Abgrenzung vom bürgerlichen Elternhaus in die Arme einer linksextremen Gruppierung. Er suchte immer wieder den Anschluss an seine Familie: die Geschwister, den Vater, vor allem jedoch die Mutter. Bitter hätte ihnen gerne den Kummer und die Sorgen erspart, die ihnen sein auf Dauer nicht zu verbergender Einsatz für die KPD einbrachte. Aber gleichzeitig trennte er persönliche politische Überzeugungen und Familie voneinander.

      Er hielt zeitlebens politisch-moralisch fest an dem, was er einmal emotional wie rational als richtig erkannt zu haben glaubte. Insofern ließ er sich, selbst wenn es ihn schmerzte und marterte, von Einreden aus dem Kreis der Familie nicht beirren. Bei Bitter scheinen christlicher Glaube und praktische Politik ihre Kraft aus derselben Wurzel zu ziehen - einem scharf ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, kombiniert mit hoher Emotionalität seiner Person. Innere Ruhe fand er über lange Jahre nicht.

      Die Ortsgruppen der KPD in Ibbenbüren wie in Münster standen in dem zweifelhaften Ruf, eher den Rand der Gesellschaft zu organisieren99 als die Arbeiterschaft, die in Münster allemal nicht so stark vertreten war.100

      Jedoch waren die Führungspersönlichkeiten in beiden Städten zumeist Handwerker. In Münster war der Kopf der KPD „lange Jahre der Schneider Albrecht, der als Person auch bei den Bürgerlichen [im Stadtrat] gewisses Ansehen genoß.“101 Die Münsteraner KPD verfügte nur über eine einzige Betriebszelle – mit neun Eisenbahnern. Am Ende der Weimarer Republik überwogen die Arbeitslosen unter der Mitgliedschaft.102

      Die wenigen Akademiker waren die Ringeltauben unter den Kommunisten. Sie kamen praktisch bei der Redigierung von Texten und der Mitgliederschulung zum Einsatz. 103 Nach internen Unterlagen konnte Münsters KPD bei Kundgebungen zu besonderen Anlässen schon einmal 1000 oder mehr Teilnehmer anlocken. Bei den sich meist anschließenden Demonstrationen marschierten ca. zwei Drittel der Kundgebungsteilnehmer mit.104 Im Januar 1933 zählte die Partei 86 Mitglieder, darunter nur fünf Frauen.105

      Die KPD war also durchaus öffentlich wahrnehmbar. Dass ihr in Münster jemals ein eigener Studentenverband angegliedert war, ist jedoch unwahrscheinlich.106 Hier galt, was für die meisten Universitäten im Reich zutraf: „Kommunisten agierten an den Hochschulen, so weit sie dort überhaupt in Erscheinung traten, nur als kleine unbedeutende Grüppchen. Sozialdemokraten waren etwas stärker vertreten […].107 Allerdings erfasste die Gestapo nach dem 30. Januar 1933 Ludwig Bitter und Friedrich Fütterer, der nie aktenkundig Mitglied des FSSB war, als Autoren eines Flugblattes eines „Revolutionären Studentenbundes“, das wahrscheinlich 1930 in Münster kursierte.108

      Dieser „Revolutionäre Studentenbund“ ist in- und außerhalb Münsters kaum nachzuweisen. Wohl gab es den „Reichsverband Freisozialistischer Studenten (RFS)“, der im August 1929 von KPD-nahen Studenten gegründet worden war.109 Für diese Vereinigung warb auch die KPD Münster. Der FSSB an der WWU Münster ist jedoch dem Reichsverband nach Aktenlage nie beigetreten.

      Aber schon zuvor (Ende 1929) wollte Bitter beide Organisationen anscheinend wieder verlassen. Er schrieb nieder, vom Kommunismus á la KPD trenne er sich als prinzipieller Idealist: „Klar und deutlich, warum ich nicht mehr Kommunist bin: 1. Ich liebe den Geist, der Kom.[munismus] haßt den Geist und liebt den Leib und den Fraß für den Leib.“110 Zudem sei diese Richtung durch ein falsches Gleichheitsverständnis belastet. Die politische Gegenwart Deutschlands sei vom Kampf der Extreme KPD und NSDAP gekennzeichnet. Rechts und Links würden sich im Kampf aufreiben. Die übrigen Parteien dazwischen - gemeint waren also auch alle demokratischen Parteien - versänken im Sumpf. Rettung sei nur von der Jugend zu erwarten und all denen, die den Parteien rechtzeitig den Rücken gekehrt hätten. So sei auch er, Bitter, kein Organisationsmensch.111

      Kommunist bleibe er jedoch in einem anderen Sinne: „Ehe man den Kommunisten den Vorwurf der Allesgleichmacherei macht, sollte man erst die Ställe in Wohnungen verwandeln, den Geringsten Arbeit geben.“112 Und Kommunist bleibe er weiterhin im „Geben, und Geben, dreimal Geben !“113

      Seine Seele suche Nahrung, die ihr der Kommunismus nicht zu geben vermöge. Ihn schmerze der Verlust seines Kinderglaubens an Gott und die (katholische) Kirche. Er verblute vor Heimweh. Deshalb sitze er jeden Tag im Dom und quäle sich, seinen verlorenen Glauben wiederzufinden. In Theologie höre er Vorlesungen von katholischer wie von evangelischer Seite. Nichts habe geholfen. Schon gar nicht das Studium der Papstgeschichte.114 Das sei eher „wunderbar“ für diejenigen, „[…] die ungläubig werden wollen“.115

      Die politischen Überwacher vermeldeten knapp zwei Monate später, sowohl Bitter als auch Hahn seien mittlerweile aus der KPD ausgetreten, um in die SPD einzutreten. Diesen Sinneswandel habe ihr Mitstreiter im FSSB, das SPD-Mitglied Fritz Niemeyer jun.

      bewirkt.116

      Gegenüber dieser Darstellung ist insofern Skepsis angebracht, als sich in allen anderen Quellen kein Hinweis auf eine SPD-Mitgliedschaft Bitters findet. Erwähnt wird die SPD zwar schon in Bitters nachgelassenen schriftlichen Äußerungen, doch in einem negativen Kontext: Die SPD habe „ein Schlamassel“ hinterlassen.117

      KPD, Kandidat Thälmann, Reichspräsidentenwahl 1932 - mit Aufnahmeschein für KPD und „Reichsbund freisozialistischer Studenten“

      Quelle: Stadtarchiv Münster, Polizeiregistratur: Nr. 120, Bl. 129

      Demonstration, KPD Münster, ca. 1932

      Quelle: Stadtarchiv Münster, SLG-FS-47, 04671/Fotograf(in): Pohlschmidt, Carl

      Auch sein Tagebuch СКАЧАТЬ