Zwischen Bolschewismus und Bergpredigt. Norbert Ortgies
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Название: Zwischen Bolschewismus und Bergpredigt

Автор: Norbert Ortgies

Издательство: Readbox publishing GmbH

Жанр: Зарубежная публицистика

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isbn: 9783347106666

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СКАЧАТЬ Im Februar 1930 denkt und fühlt er schon wieder in den Bahnen der KPD.

      Als ihm später, nicht zum ersten Mal, Zweifel an der Partei kamen, für die er andere Studenten als Agitator anwerben sollte, beruhigte er sein Gewissen mit einer irritierenden Gleichsetzung von SPD und KPD: Der von ihm sehr geschätzte Münsteraner Professor Otto Piper – Nachfolger auf dem Lehrstuhl des renommierten evangelischen Theologen Karl Barth118 - agitiere ja gleichfalls, aber als SPD-Mitglied, Studenten für den Sozialismus, so wie er als KPD-Propagandist diese Zielgruppe für den Kommunismus zu gewinnen suche. Wichtig sei vor allem das große Ziel.119 Was ihn dabei, erstaunlich genug, nicht weiter behelligte, war die fortschreitende Stalinisierung der KPD unter Ernst Thälmann Ende der Zwanziger Jahre.

      Ernst Thälmann, Januar 1932

      Quelle: BArch, Bild 102-12940/Fotograf(in):Pahl, Georg

      Die SPD als die größere linke Partei und der ihr verbundene Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) wurden von ihr in völliger Verkennung der Verhältnisse gar als „sozialfaschistisch“ diffamiert.

      In Münster traf der Bannstrahl der Stalin-Anhänger den ADGB-Chef Fritz „Niemeyer, den berüchtigten Sozialfaschisten, der mit Alkohol und Polizei [korrigierte Rechtschreibung] gegen ehrliche Arbeiter kämpft.“120

      War die KPD schon im Inneren kaum demokratisch strukturiert, so konnte ihr Vorbild, die Stalin'sche Sowjetunion und ihre Partei, noch weniger als demokratisches Muster taugen. Diesen wesentlichen Aspekt ignorierte Bitter in der Frage der Mitgliedschaft durchgängig. Dabei waren selbst die Lokalzeitungen voll von Berichten über Lager für Andersdenkende – wie etwa auf den Solowki-Inseln im Hohen Norden. Besonders ausführlich ging die „Münstersche Zeitung“ zudem auf die Christenverfolgungen im Reiche des Kommunismus ein.121

      Endgültig trennte sich Bitter erst von der KPD, als er erkennen musste, dass deren materialistische bzw. bolschewistische Weltanschauung nicht nur den Kampf für die gleiche, gerechte Verteilung der Güter der Welt beinhaltete. Auch den Kampf gegen jedwede Form von Religion - also gegen den Idealismus, wie ihn Bitter verstand - sah die Partei als unabdingbar an. So musste er sich schließlich eingestehen: „Ich verrate mich selbst, wenn ich da mittue.“122

      Vorher jedoch stürzte Bitter sich noch einmal mit allem jugendlichen Elan und Pathos in die tagespolitischen Kämpfe der Partei. Geistige Munition lieferte ihm dabei die Lektüre von Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs Briefen aus der Haft während des Ersten Weltkriegs.

      „Hunger! Hunger!“ Kampagne der KPD Münster zu Weihnachten 1930

       Quelle: Stadtarchiv Münster, Polizeiregistratur: Nr. 128, Bl 009

      Gedenkkarte: Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, ca. 1921

      Quelle: BArch, Bild 10Y-RL6-26636/Fotograf(in):o. Ang.

      Über die schon im Kaiserreich verfolgten, nach der Novemberrevolution 1918 ermordeten Gründer und Märtyrer der KPD schrieb er: „Ich habe gerade Karl Liebknechts Briefe zu Ende gelesen. Er ist tot. Aber ich bin sein Freund geworden. Wer war so gut, so rein, so gütig, wer war so kühn, so selbstlos und stolz wie er! Aber ihn, den besten Menschen, ihn den Hohen, haben sie gemordet. Ihn und Rosa Luxemburg, deren Briefe aus dem Zuchthaus ich auch kenne. Auch sie ein herrlicher Mensch, eine Hohe Frau. Auch sie ermordet! […]“123 Die geradezu hymnische Heiligsprechung der KPD-Führer durch Bitter stand denn doch in scharfem Kontrast zu den Gefühlen der Mehrheit im Lande. Bezeichnend für deren Stimmung war eher, wie sich der aus Küstrin stammende Ibbenbürener Helmut Pieper in der Rückschau über Rosa Luxemburg äußerte:

      „[…] Für mich ist die größte aller Hexen [bei Pieper als Begriff eher eine Mischung aus Ablehnung und Bewunderung] die Rosa Luxemburg gewesen. Ich habe auch das Buch gelesen. Da liest man: ich denke und träume wie jede andere Frau, von einem Heim, einem Baby, Freunde einladen, ein paar Bücher haben. Alles so rührend. Was stellt sie sich vor, wo kommt die her, eine hochintelligente Jüdin aus Russisch-Polen, kommt nach hier, um Unfrieden zu säen. Gründet die USPD [Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands], aus denen sich der Spartakusbund [Vorläufer der KPD] bildete, und bringt es fertig […] zu sagen, daß wir die jungen Leute bewaffnen müssen und die Polizei entwaffnen. Das ist Terror.“124

      In diese Einschätzung des Zeitzeugen, der die Zeit der Weimarer Republik frühestens in ihren allerletzten Jahren bewusst miterlebt haben konnte, fließt sicher manches ein, was er damals von seiner deutschnationalen Umgebung zu hören bekam.125

      2. Kongress der Kommunistischen Internationale in Moskau, 17.07.1920 Gruppenaufnahme: Levi, Paul; Trotzki, Leo Davidowitsch; Kamenjew, Lew; Sinowjew, Grigorij; Radek, Karl. Quelle: AdSD/FES, 6/FOTA007403

      Ludwig Bitter hingegen notierte: „Ich habe mich entschlossen zum Kampf. Damit stelle ich mein Leben in den Brennpunkt. Möge es mich schmelzen und verglühen, ehe aus mir eine Form geworden.“126

      Ein erster Höhepunkt sollte die Sprengung des Münsteraner Rosenmontagszugs am 3. März 1930 werden. Anfang 1930 hielt die Weltwirtschaftskrise Deutschland fest in ihrem Griff. Die Arbeitslosenzahlen stiegen rasant an. Die Aktion passte in den größeren Rahmen einer über Jahre immer wieder aufgegriffenen Erwerbslosen-Kampagne der Partei, mit der sie auf das Schicksal von Millionen Arbeitsloser drastisch aufmerksam machen wollte.127 Auch im Kreis Tecklenburg, zu dem Ibbenbüren gehörte, kam es später zu Demonstrationen Erwerbsloser, hinter denen die KPD stand.128

      Vor dem Rosenmontag 1930 hatten kommunistische Aktivisten vor dem Arbeitsamt Münster Handzettel verteilt, in denen sie die Arbeitslosen zu einer Demonstration gegen den „bourgesisen [lies. bourgeoisen = kapitalistischen]] Karnevalsbetrieb“ am Ludgeritor aufriefen.129

      Rosenmontag, Münster 1930

      Quelle: Stadtarchiv Münster, SLG-FS-WVA-17550/Fotograf(in): Hülsbusch

      Die karnevalistische Stimmung in Münster war 1930 eingetrübt. Nicht nur eingefleischten Kommunisten war wenig nach Feiern zumute. Auch im Stadtrat bzw. der Stadtverwaltung herrschten einige Bedenken.130 Andererseits hatten die Münster'schen Karnevalisten geschlagene 16 Jahre lang keinen Rosenmontagszug durchführen können. Man sehnte sich nach Normalität und sah den Karneval auch als Wirtschaftsfaktor.131

      Zum Münsteraner Rosenmontag 1930 strömten viele Karnevalstouristen aus anderen deutschen Städten und Ostholland. Der Zug – Prinz war Pinkus Müller - führte über den Ludgeri-Platz. In dessen Mitte hatten sich KPD-Mitglieder – einige angeblich auch von auswärts - und Arbeitslose versammelt, um ihre Kundgebung abzuhalten.

      Die Polizei schritt dagegen ein und versuchte, die Demonstranten zu vertreiben, was ihr aber nicht ganz gelang. Als hartnäckige Speerspitze des KPD-Trupps erwies sich Ludwig Bitter. Er erklomm die Statue des Pferdes im Denkmalensemble auf dem Platz. Von dort aus hielt er eine Ansprache an Karnevalisten und Kommunisten. Der genauere Inhalt ist weder in der Lokalpresse noch in seinen eigenen Aufzeichnungen zu finden. In den Zeitungen kommt Bitters Name nicht vor.132

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