Название: Mordnacht
Автор: Dieter Weißbach
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783869066455
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Er mochte diese frühe Kälte, wenn die Augen tränten und er sich nicht sicher war, ob die Möglichkeit, dass sie in ihren Höhlen festfroren, vielleicht mehr war als nur eine theoretische Möglichkeit, wenn er schnell sein musste mit dem Anzünden der ersten Zigarette des Tages, bevor die Finger sich steif machten. Er mochte den Anblick der Berge, die wirkten wie eingeklebt ins schmerzhaft eintönige Blau des Himmels, das kein Zeichenlehrer akzeptieren würde, verbunden mit dieser unglaublichen Kälte, die es in der Stadt nicht gab, besonders, wenn sie mit diesem unerhörten Glitzern daherkam, ohne das sie nicht zu haben war. Er bemerkte nicht, dass es umgekehrt war, und vielleicht war das das Zeichen.
Eben passierte er das letzte Haus am Lift. Ein Zugereister wohnte hier, der Einzige vom Stammtisch, der kein gebürtiger Farchanter war. Waldemar Perchtold, ein wilder Hund aus Schweinfurt, der nach dem Krieg als Dreizehnjähriger bedürftige GIs mit Mädchen versorgt hatte und damit sein erstes Geld verdiente. Lufti bewunderte ihn. Ein freier Mann, frei von jeglicher Angst, nicht einmal die Diagnose Herzinfarkt hatte ihn erschüttern können. Als Lufti ihn im Krankenhaus besuchte – sieben Stents hatten sie ihm gesetzt, wie Perchtold stolz verkündete –, lagen ein Dutzend Golfprospekte über die Bettdecke verteilt. An seiner Seite stand der Küchenchef der Klinik und diskutierte mit ihm die Menüfolge für die nächste Woche. Seine Gattin war ebenfalls anwesend. Eine attraktive Frau, die ihm zuliebe eine hoffnungsvolle Karriere als Geigenvirtuosin aufgegeben hatte und ohne die er, wie er offen zugab, bestimmt schon längst abgeschmiert wäre. Einsicht ist der erste Weg zu Besserung, dachte Lufti und schaute auf die Uhr. Zu früh für einen Besuch. Gestern war es wieder spät geworden. Und feucht. Nicht für ihn, er wusste immer, wann Schluss war. Aber bestimmt für Waldemar, zu dessen herausragenden Eigenschaften sein enormes Fassungsvermögen zählte. Am liebsten schmeckten ihm Obstbrände. Wenn Lufti in der Stadt war, vergaß er nie, ihm einen besonderen Tropfen mitzubringen. Außerdem war Waldemar ein Meister im Schafkopfen und einer der besten Stockschützen im Tal – also in jeder Hinsicht eine Bereicherung.
Ein rotweiß gestreiftes Flatterband erregte seine Aufmerksamkeit. Eine Baustelle? Mitten im Winter? Beim Näherkommen bemerkte er die Aufschrift »Polizeiabsperrung« und im Hintergrund einen Streifenwagen.
»Hallo?«
Von hinten hatte sich ein silberfarbener BMW herangeschoben und war eben auf gleicher Höhe angekommen.
»Hallo«, wiederholte eine Frau aus dem halb geöffneten Autofenster.
»Ja, bitte?«
»Sind Sie von der Polizei?«
»Ich? Nein.«
»Dann darf ich Sie bitten, nicht weiterzugehen.«
»Aha. Und wer sind Sie?«
»Kriminalpolizei. Wenn Sie hier nichts zu tun haben, kehren Sie bitte wieder um.«
Sein Blick fiel auf das zweite Fahrzeug, einen weißen Kastenwagen.
»Jaja, schon recht«, reagierte er mit einer Mischung aus Überforderung und angeborener Dickfelligkeit. »Dann kehr ich eben wieder um.«
»Danke. Sehr freundlich.«
Er überlegte kurz, sich als Mitglied des Gemeinderats zu erkennen zu geben, entschied sich dann aber dagegen. Er hasste Wichtigtuer.
Die deutlichen Worte der Kriminalpolizistin hatten ihn zwar auf der Stelle umkehren lassen, aber schon nach wenigen Metern beschloss er, der Sache auf den Grund zu gehen. Er hätte nicht sagen können, was den Ausschlag gegeben hatte, der Ärger darüber, behandelt zu werden wie ein kleiner Junge, weggeschickt zu werden, ohne einen Grund genannt zu bekommen, die immerwährende Lust am Verbotenen oder einfach die Möglichkeit, es zu tun. Na wartet, ich kenn mich schließlich hier aus, ich find schon raus, was los ist, ich kann schließlich gehen, wohin ich will, ihr könnt nicht den ganzen Wald absperren. Der letzte Gedanke traf ein, da war er schon Richtung Berg, und jeder Schritt verursachte wunderschöne Glitzerwolken, die er aber nicht wahrnahm, jetzt, da er eine Aufgabe hatte.
»Was war das denn für ein komischer Kauz?«
Kommissar Tilman Würfel und seine alte Schiebermütze. Er hatte schon bemerkt, dass er nicht mehr der Einzige war, der mit so einem Ding durch die Gegend lief, besonders in der Stadt, wo die Leute schon bei null Grad herumrannten, als würde gleich die Arktis über sie hereinbrechen. Er zupfte noch einmal rechts und links an den Ohrenklappen – entweder war die Mütze eingegangen oder der Kopf über Nacht gewachsen –, atmete tief ein und musste prompt husten.
»Einheimischenmodell, Tilman. Aber jetzt komm. Sabine, habt ihr alles?«
»Ich denk schon«, antwortete Sabine Englmacher, Pauligs Spezialistin für Spurensuche. Ihr weißer Overall fügte sich perfekt in die Landschaft, ihre hennaroten Haare brannten. »Hoffentlich haben die nicht schon alles niedergetrampelt. Tilman«, sie drehte sich noch einmal um, »magst uns nicht beim Tragen helfen?«
»Oh, entschuldige«, schuldbewusst zog er die Hände aus den Hosentaschen, »aber meine Finger sind jetzt schon Eiszapfen.«
»Keine Angst, beim Tragen wird dir schon warm. Christine, hast du nicht gesagt, wir werden abgeholt?«
»Ja, eigentlich … Ah, ich glaub, da ist noch jemandem kalt.«
»Grüß Gott. Oberwachtmeister Schieder. Seid ihr die Kollegen aus München?« Auf halbem Weg drückte sich der junge Beamte die Dienstmütze in die Stirn und stellte den Jackenkragen auf. »Entschuldigen Sie, aber es ist dermaßen kalt heut früh. Und gestern ist es ziemlich spät geworden, wegen der Probe, also wegen unserem Faschingsball …« Er klatschte ein paarmal in die Hände und scharrte mit den Hufen, definitiv zu wenig, um sich aufzuwärmen. Sein Kollege stieg nun ebenfalls aus, blieb aber am Wagen stehen.
»Kein Problem«, sagte Christine Paulig. »Sagen Sie uns nur, wo wir hinmüssen, dann können Sie sich auch schon wieder reinsetzen. Ach ja, wer war denn der Mann da gerade eben?«
»Der? Keine Ahnung.« Schieder schaute in die angegebene Richtung und wandte sich dann nach rechts. »Sehen Sie das Marterl da oben?« Er wartete, bis Pauligs Blick dem seinen folgte. »Also, da oben ist ein Weg. Da rauf und dann rechts in den Wald bis zu so drei Fichten, oder Tannen, auf jeden Fall groß. Und vorher kommt noch ein Zaun. Zehn Minuten, würd ich sagen. Bei dem Schnee eher eine Viertelstunde, Frau …«
»Hauptkommissarin Paulig. Also dann. Und lassen Sie niemanden durch. Wenn Sie sich nicht sicher sind, rufen Sie mich an. Hier, meine Karte. Und jetzt gehen Sie lieber wieder in Ihren Wagen, bevor Ihnen noch was abfriert.«
»Jawohl, Frau Hauptkommissarin.« Er nahm kurz Haltung an, was aber nicht besonders glaubwürdig wirkte. »Und, äh, wär sehr freundlich, wenn Sie nicht verraten würden, wie Sie uns, also dass wir im Auto waren.«
»Lässt sich einrichten. Aber halten Sie ihre Augen offen. Man weiß nie, wen es an einen Tatort zieht. Haben СКАЧАТЬ