Sweetland. Michael Crummey
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Название: Sweetland

Автор: Michael Crummey

Издательство: Автор

Жанр: Контркультура

Серия:

isbn: 9783963114458

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СКАЧАТЬ ausgeschnitten und auf Papier geklebt, wie bei Lösegeldforderungen im Kino. Es war so amateurhaft, dass Sweetland zuerst angenommen hatte, Loveless würde dahinterstecken, doch die Rechtschreibung war mehr oder weniger korrekt. Und Loveless war der Einzige, der noch mit ihm ausharrte.

      Sweetland schloss die Schublade und nahm sich ein Glas, trank das Wasser in langsamen Schlucken. Er konnte sich nicht dazu durchringen, die Drohungen ernst zu nehmen, und hatte sie niemandem gegenüber erwähnt. Er war sich nicht sicher, warum er sie überhaupt behielt. Nur für den Fall, dachte er. Obwohl er nicht sagen konnte, welcher Fall das genau sein würde.

      Am nächsten Morgen war er früh auf und ließ das Radio laufen. Machte sich ein Sandwich und eins für Jesse, packte sie zusammen mit zwei Dosen Pfirsiche ein. Im Anbau zog er die Stiefel an und brachte Mantel und Rucksack nach draußen. Hielt dort einen Augenblick inne und horchte, knallte dann die Tür so heftig zu, wie er konnte. Pilgrims im Hof angebundener Hund bellte wie verrückt, und es hallte vom Hügel hinter der Bucht zurück.

      » Halt’s Maul, Diesel! «, rief Sweetland lauter als nötig. » Halt verdammt noch mal dein Maul! «

      Im violetten Schein der am Schuppen befestigten Straßenlaterne hantierte er am Geländefahrzeug, schnallte seine Zweiundzwanziger an die Lenkstange, band den Rucksack hinten auf die Transportbox. Hörte dann Pilgrims Tür auf- und zugehen und das Geräusch des herbeilaufenden Jungen. Blickte auf und sah ihn neben dem Haus entlangmarschieren. Er war nur noch einen guten halben Meter von Sweetland entfernt, als er plötzlich strammstand und in das Gesicht des alten Mannes blickte.

      Der Junge war schmächtig und blass, als wäre er zu lange im Wasser eingeweicht worden. Im violetten Licht wirkte sein Gesicht fahl und leichenblass. » Jesse «, sagte Sweetland. Mit dem Namen des Jungen hatte er nie seinen Frieden gemacht. Er klang tuntig, feminin, wie in diesen Seifenopern, die Sweetlands Mutter sich immer angesehen hatte. Er hatte mit einem halben Dutzend Spitznamen versucht, den Jungen umzutaufen – Bucko, Mister Man, Hunter –, doch Jesse antwortete immer nur auf seinen richtigen Namen.

      » Fährst du hoch in die Marsch? «, fragte der Junge.

      » Hab ein paar Fallen aufgestellt «, sagte Sweetland. » Wollte mal nachsehen, ob ich Glück hatte. Weiß Clara, dass du hier bist? «

      » Mom schläft noch. Ich habe es Pop gesagt. «

      » Und was hat dein Opa gemeint? «

      » Er meinte, ich soll keine Nervensäge sein. «

      Sweetland nickte. » Hol deinen Helm aus dem Schuppen «, sagte er.

      Sweetland fuhr hinter seinem Haus los und als sie oben am Weg den Königsstuhl erreichten, klatschte ihm Jesse auf die Schulter und rief, er solle anhalten. Er sprang vom Quad und rannte hinüber zu den Steinen, wobei er den Helm vom Kopf nahm. Die Sonne kam erst jetzt richtig heraus und der Ozean färbte sich im neuen Licht tiefblau. Jesse sprang auf den Sitz und breitete die Arme aus. » Ich bin der König der Welt! «, rief er und seine Stimme hallte den Hügel hinunter bis zur Bucht. » Ich bin der König der Welt! «

      Sweetland musste zugeben, dass er der einzige Mensch in der gesamten Christenheit war, der diesen gottverdammten Titanic-Film nicht gesehen hatte. Jesse dagegen kannte ihn so gut, dass er jeden Dialog wörtlich zitieren konnte und das auch manchmal tat. Wenn sie an dem Thron vorbeikamen, bestand er jedes Mal darauf, dass sie anhielten, und Sweetland wartete auf dem Quad, während der Junge den Moment genoss.

      » Kommen Sie, Eure Hoheit «, sagte er schließlich, » der Tag wird nicht jünger. «

      Hinter dem Königsstuhl bog der Weg östlich ab zu Vatcher’s Meadow, wo Glad Vatcher seine Tiere übersommern ließ – ein halbes Dutzend Kühe und ein Bulle, sowie zwanzig Schafe, eingezäunt auf vierzig Morgen Sumpfgras und Ginster. Zu beiden Seiten war ein Gatter, damit Menschen die Wiese überqueren konnten, wenn die Tiere den Winter über im Stall waren, doch im Sommer verlief der Pfad um das Feld herum. Sie fuhren einen knappen Kilometer den Stacheldrahtzaun entlang landeinwärts, bis sie auf der anderen Seite wieder auf den Weg trafen, der sich nach Osten über die Landspitzen nach Burnt Head verzweigte. Das Plateau war mit massiven Granitfelsen gesprenkelt, von denen Jesse behauptete, dass sie Findlinge genannt und am Ende der letzten Eiszeit von zurückweichenden Gletschern liegen gelassen wurden.

      So was bringen sie euch heutzutage in der Schule bei?, hatte er gefragt.

      Hab es im Fernsehen gesehen, sagte Jesse.

      Für Sweetland war es ein Wunder, was alles im Kopf des Jungen hängen blieb. Er bestand noch immer darauf, sich zum Pinkeln vollständig auszuziehen, und es war nicht sicher, dass er die Toilette spülte, doch er konnte Vorträge über hundert verschiedene Themen halten – Flugzeuge, das Verdauungssystem, Mondlandungen, den Mount Everest, Tischtennis, Walfische. Sweetland graute davor, wenn der Junge mit Walfischen anfing: ihre lateinischen Namen, ihre Anzahl und Größe, ihre Ernährung, ihre Wanderrouten, der Klang und die Bedeutung ihrer Gesänge. Es war fast so, als würde eine Kassette im Kopf des Jungen nur darauf warten, dass jemand den Startknopf drückte.

      Hinter der Marsch schwenkte der Weg in Richtung Meer ab. Alle zwanzig Meter befanden sich uralte Steinhaufen neben dem Pfad, um die Fußgänger davon abzuhalten, in der Dunkelheit oder bei stürmischem Wetter über den Klippenrand zu stürzen. Fast einhundert Meter bis zur Brandung darunter. Hinter der Anhöhe konnte man gerade so die Spitze des alten Leuchtturms erkennen, draußen am Burnt Head.

      Sweetland parkte hinter dem verlassenen Haus des Leuchtturmwärters, das die zehn Jahre unbesetzt war, seit man das Leuchtfeuer automatisiert hatte. Jesse lief die morschen Stufen hinauf, hielt die Hände an die Fenster und nannte die neusten Schäden. Sturmböen hatten die Dachschindeln an der Meerseite abgedeckt, und die erbarmungslose Feuchtigkeit war durch die Decke gefault, der Fußboden übersät mit Brocken der Deckenverkleidung und durchweichter Dämmung. Überall lagen Mäuse­köttel. Sweetland hasste es, auch nur hinzusehen. » Geh da bloß nicht rein «, rief er.

      Er nahm seine Zweiundzwanziger und den Rucksack vom Quad und sie gingen wieder landeinwärts. Das neue Leuchtfeuer blinkte zu ihrer rechten Seite, als sie sich von dem verfallenen Gebäude entfernten. Heutzutage war es nur ein Blinklicht auf einem metallenen Dreibein, das an der äußersten ­Stelle in den Felsen gebohrt war. Dreißig Meter nördlich war ein Hubschrauber­landeplatz auf die Fever Rocks gebaut worden, den die Küstenwache nutzte, wenn sie Vorräte zum Leuchtturmwächter brachte oder das Leuchtfeuer warten musste. Jesse hatte ihm erzählt, dass man so einen Hubschrauberlandeplatz Helipad nannte.

      Das hast du dir ausgedacht, hatte Sweetland gesagt.

      Hab ich nicht.

      Es gibt gar kein Wort wie Hellspad.

      Helipad, hatte Jesse wiederholt. Nichts traf den Jungen mehr als Ungenauigkeit oder Ausgedachtes. Bei dieser bemerkenswerten Ausnahme war er übertrieben wortgetreu. Er buchstabierte Helipad für Sweetland, um die Korrektheit des Wortes zu unterstreichen. Er war schon immer ein Meister im Buchstabieren gewesen. Dem Reverend zufolge mit einem fast fotografischen Gedächtnis. Der Reverend meinte auch, dass man den Jungen noch vor einer Generation als Idiot Savant bezeichnet hätte.

      Ich würde sagen, das stimmt ungefähr zur Hälfte, hatte Sweetland gesagt.

      Sweetland nannte es weiter Hellspad, obwohl der Junge protestierte. Er ließ keine Gelegenheit aus, Jesse in seiner kindlichen Ernsthaftigkeit zu necken. Damit hatte er gehofft, den Jungen vom ausgetretenen Pfad seiner Gedanken wegzulocken und ihn dazu zu bringen, die Welt aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. СКАЧАТЬ