Der Kuss des Feindes. Titus Müller
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Название: Der Kuss des Feindes

Автор: Titus Müller

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783961224111

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СКАЧАТЬ Erst, als sie sicher war, dass er davongeritten war, lief sie den Hang wieder hinunter, den sie hinaufgeklettert war, und schlug den richtigen Weg ein, immer bemüht, nicht auf den steinigen Flächen zu laufen, wo Kiesel ins Rollen geraten und sie verraten konnten. Wenn der junge Araber bemerkte, wo sie in die unterirdische Stadt hinabkletterte, verriet sie mehr als zehntausend Menschen an ihre Mörder.

      Bevor sie den Busch beiseitebog, spähte sie noch einmal in alle Richtungen. Rasch stieg sie in den Lüftungsschacht hinab. Sie war ungeschickt beim Klettern, ihr Bein schmerzte vom missglückten Reitversuch. Zweimal rutschte sie ab und schürfte sich die Haut auf. Unten, im Gang, blieb sie lange stehen und lauschte nach oben in den Schacht. Aber es blieb still. Niemand folgte ihr.

      Sie schlich zurück in die Familienhöhle. Dort kroch sie unter ihre schwere, kratzige Wolldecke. Der Strohsack knisterte, während sie sich drehte, bis sie bequem lag und kein Halm sie mehr piekte.

      Von der anderen Seite des Raums kam Vaters müde Stimme. »Hast du schlecht geträumt, Schätzchen? Versuch wieder einzuschlafen.«

      »Ja, Vater.« Sie sah in die Dunkelheit und dachte an das vernarbte Pferd und den jungen Araber. Wie er in die Ebene hinausgaloppiert war, frei und kraftvoll! Er war unabhängig. Er war nicht der Gefangene einer Höhlenstadt.

      Savina roch an ihren Händen. Sie dufteten nach dem Pferd, es war ein herber Geruch. Sicher roch auch der junge Araber so. Unmöglich, dass er seinem Pferd die Wunden zugefügt hatte. Sein Gesicht war stolz und zugleich sanft und verletzlich gewesen.

      Arif erwachte von den Kitzelschritten einer Fliege auf seiner Stirn. Er verscheuchte sie und drehte sich auf die Seite, um wieder einzuschlafen. Die Fliege landete auf seinem Hals. Ärgerlich wedelte er sie fort. Sie landete auf seinem Ohr. Arif schlug darauf. Nach dem Knallen blieb ein Pfeifton, der erst allmählich verschwand, und sein Haarschopf kitzelte, die Fliege krabbelte darin herum. Er fuhr hoch. Diese Fliege machte ihn wahnsinnig!

      Er sah im Halbdunkel, dass der Vater sich ankleidete. »Du gehst?«, fragte er.

      »Heute wird Brot gebacken«, sagte Haroun. »Ich hasse es, wenn die Weiber den ganzen Tag beisammenhocken und schwatzen.« Er schlüpfte in seinen Umhang.

      Von draußen drangen gedämpfte Gespräche herein und man hörte das Aufklatschen des Eimers am Brunnen. Das Lager erwachte. Arif wartete darauf, dass der Vater nach den Ergebnissen seines nächtlichen Spähritts fragte. Aber Haroun ging wortlos nach draußen.

      Später stand die Mutter auf, und dann Arifs kleiner Bruder und er selbst. Die Frauen der befreundeten Familien kamen. Mutter bat Arif, vor dem Zelt Holz für ein Feuer aufzuschichten, und während er das tat, tobte al-Qabih, Arifs Bruder, um die Frauen herum. Er drückte frech seinen Zeigefinger in den Teig, den sie kneteten, und lachte nur, als die Mutter mit ihm schimpfte.

      Sie buken Weizenbrote für die nächsten Wochen. Die jungen Frauen mischten den Teig und kneteten ihn. Die Frauen mittleren Alters rollten die Teigkugeln auf Holzbrettern zu Fladen aus. Die alten buken die Brote auf den heißen Steinen beim Feuer, indem sie Asche darüber ausbreiteten, bis sie fertig gebacken waren, und häuften die flachen Brotlaibe beim Zelt auf ein Tuch. Dabei plauderten sie in einem fort.

      Arif wartete darauf, dass wenigstens Mutter ihn fragte, ob er etwas herausgefunden hatte bei seinem Spähritt, aber sie tat es nicht. Je länger er wartete, desto wütender wurde er. Seine Eltern trauten ihm einfach nichts zu.

      In der Nacht, draußen, hatte er sich stark gefühlt. Er hatte sich gefühlt wie ein Mann. Hier, bei den Eltern, war er schwach. Er verstand es nicht. Warum platzte er nicht mit der Nachricht heraus, dass er in einem verlassenen Christendorf gewesen war und bemerkt hatte, dass ihre Gärten noch gepflegt und bewässert wurden? Warum sagte er nicht, dass er sogar eine Troglodytin gesehen hatte?

      Sein gekränkter Stolz verschloss ihm den Mund. Wenn sie es mir nicht zutrauen, dachte er, dann sollen sie auch nicht erfahren, welchen Mut ich bewiesen habe. Er sah schweigend der Mutter hinterher, die fortging, um Feuerholz zu holen.

      »He, al-Qabih! Du furzt wie ein Wallach.«

      Marwan, Nuh und Yusuf traten an das Feuer heran.

      »Gemein!«, rief al-Qabih und zog ein böses Gesicht.

      Sie lachten.

      Die Frauen ignorierten es, dass Arifs Bruder verspottet wurde. Sie hatten sich daran gewöhnt. Al-Qabih war nicht sein wirklicher Name. Es war ein Spitzname, er bedeutete »der Hässliche«. So nannte ihn jeder im Lager. Al-Qabih sah aus wie der missratene Versuch, einen Menschen zu formen: Die Arme waren zu lang, die Finger dickknöchelig, die Hüfte war schief, und er hinkte. Obwohl er dreizehn Jahre alt war, besaß er den Verstand eines Zweijährigen.

      Marwan schubste ihn. »Hast du dich schon mal ins Feuer gesetzt, Kleiner? Da wird dir schön warm.«

      Al-Qabih floh zur Gepardin. »Beißt!«, drohte er. In sein Gesicht stand Angst geschrieben, während er Marwan entgegenblickte. Die Gepardin wandte desinteressiert den Kopf zur Seite.

      Marwan grinste. »Ich glaube nicht, dass sie dich beschützen wird.«

      Die Frauen unterbrachen nicht einmal ihr Gespräch. Einen Schwächling wie al-Qabih zu verteidigen, dazu sahen sie keinen Grund. Er fiel dem Stamm zur Last und war eine Schande für seine Familie.

      Arif trat Marwan in den Weg. »Du rührst ihn nicht an.«

      »Richtig, er ist dein Bruder. Hatte ich fast vergessen.« Marwan sah über seine Schulter zu Nuh und Yusuf, und die beiden lachten. Er blickte wieder nach vorn. »Wie konnte mir das entfallen, bei dieser Ähnlichkeit.«

      »Nur ein Feigling vergreift sich an Schwächeren.«

      »Du bist der Mutige von uns beiden, stimmt ja! Du bist zu den Ungläubigen geritten. Wie kommt’s, dass sie dich am Leben gelassen haben? Nicht mal verwundet bist du. Mir fällt da nur eine Erklärung ein.«

      Yusuf und Nuh verschränkten hinter Marwan die Arme. Der schwarzhäutige Nuh spuckte auf den Boden.

      Marwan sagte: »Du warst überhaupt nicht dort. Du hast dir in die Hosen gemacht vor Angst.«

      »Und ob ich dort war«, sagte Arif. »Ich bin in ihren Häusern und in einem ihrer Gärten gewesen. Ich war ganz in der Nähe ihres Verstecks.« Und ich habe ein Mädchen gesehen, dachte er, ein Mondmädchen, wie ihr es nie erblicken werdet.

      »Beweise es!«, forderte Marwan.

      »Komm doch mit beim nächsten Mal, wenn du dich traust.«

      Der Zakariyya zog geringschätzig die Mundwinkel nach unten. »Ich bin der Erbe. Man setzt das Leben des Erben nicht leichtfertig aufs Spiel. Meine Familie braucht mich, ich werde sie eines Tages führen, sie und den ganzen Stamm.« Marwans tiefe Stimme ließ ihn klingen wie einen erfahrenen Krieger. Seine Ohren waren klein und verknorpelt, die Fingernägel abgekaut. Aber keiner konnte es an Kraft mit ihm aufnehmen. Wenn seine Familie weiterhin Ruhm ansammelte und ihre Ehre und Reinheit bewahrte, würde er tatsächlich eines Tages der ranghöchste Mann im Stamm sein.

      »Ich bin genauso der Erbe meiner Familie«, sagte Arif, »und noch führt mein Vater den Stamm an.«

      »Was meinst du, warum er dich überhaupt losziehen lässt? Er weiß, dass du nicht den Mut hast, dich in Gefahr zu begeben. Du prahlst doch nur! Sobald du außer Sichtweite bist, steigst du vom Pferd und setzt dich unter einen Baum. Und wir sollen СКАЧАТЬ