DER ZEHNTE HEILIGE. Daphne Niko
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Название: DER ZEHNTE HEILIGE

Автор: Daphne Niko

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Sarah Weston Abenteuer

isbn: 9783958350663

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СКАЧАТЬ er – schwach an der Lebendigkeit hängend – in Hairans Zelt erwacht war. Alles davor war ein Geheimnis, dessen Schleier noch gelüftet werden musste.

      Er starrte ins Feuer und versuchte sich zu konzentrieren. Was ihm in den Sinn kam, war dasselbe konfuse Durcheinander: Gesichter ohne Namen, unbekannte Orte, Bilder, die gleich der Flut seiner Träume heranströmten und wieder verebbten. Die schrille Stimme einer a cappella singenden Frau unterbrach seine wirren Gedanken. Sie war eine vortreffliche Sängerin; ihre Stimme hob und senkte sich, hallte in ihrer Kehle wider und floss traumverloren im Raum zwischen Realität und Illusion dahin. Alle waren regungslos, im Bann der Chanteuse, als wäre außer ihrem Lied nichts von Bedeutung.

      Gabriel war von der Verehrung der Anmut überrascht, die diese Menschen, welche er als Philister abgetan hatte, zur Schau stellten. Eine Welle der Scham rollte über ihn hinweg.

      Die Hymne des Singvogels war der Auftakt für einen ganzen Abend voller Tanz und Gesang. Die Musiker spielten mit einer Leidenschaft, die üblicherweise großen Ereignissen vorbehalten war, solchen wie dem Übergang zum Frühling oder einer Geburt von Mensch oder Tier. Die Instrumente klagten unter unaufhörlichem Klopfen, Zupfen und Blasen.

      Die Frauen knieten sich vor die Männer und gossen Wein aus Ziegenlederblasen in kleine Tonbecher. Taneva, die Älteste des Weibsvolks, verbeugte sich vor Gabriel und goss Wein in seinen Becher. Die alte Frau sah ihn mit den liebevollen Augen einer Mutter an und lächelte so breit, dass sie die vier Zähne enthüllte, die sich wie Stalaktiten an ihr purpurnes Zahnfleisch klammerten.

      Gabriel hatte keine Ahnung, wer sie war, oder dass sie ihn aus dem ewigen Sand ausgegraben hatte. Er trank. Die Flüssigkeit schmeckte wie Essig, sauer und scharf, doch er hatte großen Durst und so schluckte er sie hinunter. Er bemerkte nicht, dass er beobachtet wurde, bis die jungen Männer um ihn herum anerkennend johlten, als er den Becher umstülpte. Der Nachgeschmack schüttelte ihn.

      Zwei der jungen Männer zogen Gabriel auf die Füße und – trotz seines Protests – auf die Mitte des Kreises zu. Zum fröhlichen Rhythmus eines bukolischen Flötenliedes stampften die Männer, wiegten sich hin und her und winkten mit den Armen gen Himmel, während sie eine unverständliche Kadenz skandierten. Als sich ausgelassenes Gelächter und gutmütige Rufe aus der Menge erhoben, stießen sie ihn an, damit auch er sich bewegte. Er hatte keine andere Wahl, als sich zu amüsieren und die anderen sich über ihn amüsieren zu lassen. Er tat sein Bestes, um die Bewegungen der anderen Männer zu imitieren, doch es mangelte ihm an der rechten Anmut, um einen Tanz zu einer unbekannten Weise zu improvisieren. Es hatte ohnehin keine große Bedeutung für ihn oder sonst jemanden. Der Gedanke dahinter war es, sich am Augenblick zu erfreuen. Schließlich ließ er seine Hemmungen fallen und erlaubte es der Musik, seine Füße zu führen, während er versonnen die fremdartige und wunderschöne Szenerie um sich herum betrachtete.

      Die Kinder schliefen beim Feuer. Die Sterne – so viele Sterne – bebten wie Tänzer auf einem Drahtseil über einem schwarzen Abgrund. Gabriel tanzte, bis der Rauch des schwindenden Feuers in seinen Augen brannte; dies war sein Zeichen, aufzuhören.

      ***

      Als Gabriel am nächsten Tag erwachte, erschien ihm die Wüste wie eine Sauna. Die trockene Hitze, vermischt mit dem Rauch des Kochfeuers, drang unsanft in seine Luftwege ein. Er öffnete die Zeltklappe und realisierte, dass er länger geschlafen hatte, als er es vorgehabt hatte. Die Männer waren gegangen und die Frauen bei der Arbeit; die jüngeren kochten und die älteren, schwächeren, waren in ihre Webereien und Stickarbeiten vertieft.

      Das Weben erschien Gabriel wie eine komplizierte Angelegenheit und er staunte über die Geschicklichkeit der Frauen, während sie die Rohwolle mit aus Palmblättern hergestellten Karden auskämmten und sie in einem hypnotischen Rhythmus spannen. Sie trennten die Fäden ausschließlich per Hand von den Wollbüscheln. Ihre Finger bewegten sich so schnell und akribisch, als ob sie auf einem komplizierten Instrument musizierten. Die Garnknäuel wurden in Töpfen gefärbt, in denen Gebräue aus satten Erdfarben sprudelten – Indigoblau aus den Schalen von Meeresschnecken, Braun aus der Tonerde der Schluchten, Gelb aus Safran, Rot aus dem purpurnen Bergwurm – und dann zum Trocknen auf Gitter aus sich kreuzenden Ästen gehängt. Die Weberinnen legten einfache, aus Stöcken und Seilen gebaute Gurtwebgeräte an und sangen, während sie arbeiteten: einfache Lieder über die Sterne, die Fülle der Oase, die Einsamkeit der Wüste. Es war ein aus Notwendigkeit geborenes Ritual, denn die Frauen stellten diese Textilien aus Zweckmäßigkeit und für Wärme her; dennoch lag eine immense Anmut darin.

      Das Weben war eine Möglichkeit, um Emotionen auszudrücken, und diese waren im fertigen Stück offenkundig. Wenn eine Frau gerade einen Ehemann genommen hatte und guter Laune war, zeigte ihr Tuch abstrakte Figuren, die sich zum Himmel hinstreckten. Früchtetragende Bäume symbolisierten Fruchtbarkeit und Leben. Hatte eine Frau kürzlich den Verlust eines Kindes erlitten, dann zeigte ihr Gewebe finstere Sterne und Schnörkel, die den Geisterhimmel repräsentierten. Gabriel sah auf seine eigene Decke hinab und studierte die Zeichen zum ersten Mal. Sie ergaben ein kunstvolles Muster aus in konzentrischen Kreisen angeordneten Spiralen und Blüten, was er als den Wechsel der Jahreszeiten in der Wüste interpretierte.

      Hinter ihm erklang eine Stimme. Gabriel drehte sich um und sah sich einem Jungen gegenüber, der kaum älter als sechzehn sein konnte. Er war von zierlicher Statur, nicht viel größer als einen Meter fünfzig. Seine Hände und Füße waren so klein wie die eines jungen Kindes. Dennoch schien er nicht davon eingeschüchtert, dass Gabriel ihn überragte. Mit geradem Rücken und gereckter Brust verschaffte er seiner Präsenz Geltung. Er spitzte seine fleischigen Lippen, als prüfe er den seltsamen Mann vor sich.

      «Ich verstehe dich nicht, mein Freund», antwortete Gabriel.

      Der lausbubenhafte Junge legte eine Hand auf seine Brust und wiederholte langsam: «Daaa’ud.»

      «Da’ud. Es freut mich, dich kennenzulernen.»

      Der Junge zeigte auf Gabriel. «Abyan.» Er sagte noch etwas anderes und begann davonzulaufen, drehte sich dann aber um und bedeutete ihm, zu folgen.

      Der Sand unter Gabriels nackten Füßen fühlte sich wie Brotkrumen an. Er war ungewöhnlich grobkörnig in diesem Teil der Wüste, wo Basaltzungen aus dem Sand und dem Geröll ragten und dem Land ein prähistorisches Aussehen verliehen. Dies war nur eines der vielen Gesichter der Wüste.

      Von Tag zu Tag und Woche zu Woche wechselte das Gelände von ausgedehnten Trockengebieten zu unregelmäßigen Steinfeldern zu Gestrüppebenen zu fruchtbaren Oasen. Jene Vielseitigkeit war es, die es dem Nomaden erlaubte, fortzubestehen, und sein Überleben hing davon ab, dass er die Besonderheiten eines jeden Geländes genauso gut kannte wie den Schritt seines eigenen Kamels. Für Gabriel aber war alles entmutigend fremd und unvorhersehbar.

      Gabriel fragte sich, wohin der junge Mann ihn führte. Die Zelte der Beduinen waren mittlerweile weit außer Sicht und die beiden schlängelten sich durch ein Basaltlabyrinth. Diese Steine, von der grausamen Sonne der Jahrtausende zu einem kreidigen Grau ausgeblichen, hatten sicherlich alles gesehen: Vulkanausbrüche, Kontinentalverschiebungen, Eiszeiten, Meteoriteneinschläge. Jetzt waren sie Grabsteine auf einem sandigen Friedhof, die stummen Wächter eines weltumfassenden Geheimnisses, deren versteinerte Masse alle Weisheit der Zeitalter enthielt.

      Da’ud sagte etwas zu ihm. Dann verschwand er hinter einem Monolithen und tauchte in einen Hohlraum an der Unterseite des gewaltigen Felsens ein.

      Gabriel kroch hinter ihm hinein. Es war dunkel und kühl, eine willkommene Atempause von der mörderischen Hitze. Die Luft roch nach Asche. Mithilfe einiger Stöcke und trockenen Gestrüpps, welche jemand in der Höhle zurückgelassen hatte, machte sich Da’ud daran, ein Feuer zu entzünden. Ein Zufluchtsort.

      Hätte er СКАЧАТЬ