DER ZEHNTE HEILIGE. Daphne Niko
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Название: DER ZEHNTE HEILIGE

Автор: Daphne Niko

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Sarah Weston Abenteuer

isbn: 9783958350663

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      «Dies ist das Symbol einer alten religiösen Bruderschaft. Seine Mitglieder werden vor nichts Halt machen, um das Ihre zu beschützen.»

      Sie sah ihm in die Augen.

      Matakala schloss den Laptop. «In dieser Gegend bekommen die Menschen nur eine Warnung. Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich sie nicht verschenken.»

      Fünf

      Die Tage kommen und gehen, die Winter weichen den Frühlingen, und Hungersnöte fordern die Leben der Schwachen, doch das Stammesleben dauert fort, wie es das immer getan hat, ernstlich und ohne Umschweife. Es ist die Art der Nomaden, alles so hinzunehmen, wie es kommt. Es gibt keine Erwartung besserer Zeiten, keine Sehnsucht nach dem Unerwiderten, keine Verzweiflung über Verlust. Die alltägliche Existenz ist auch ohne solche Erschwernisse hart genug. Egoismus ist ein Luxus, den sich die Nomaden nicht leisten können; nicht, solange es Ziegen zu melken gibt, Schafe zu scheren, Kamele zu satteln, Brot zu backen, Kinder zu füttern, Decken zu weben, Nachthimmel zu deuten, Jahreszeiten zu bestimmen, Musik am Lagerfeuer zu spielen.

      Die Tage vergehen zumeist ohne Ereignisse, zumindest ohne solche, die die geheiligte Routine stören würden. Die Männer und Jungen verbringen jede Tageslichtstunde damit, das Vieh ans Wasser und zu Gras zu führen und sich satt fressen zu lassen, und sie wissen nicht, was der nächste Tag bringt. In der Wüste ist Weideland rar, doch der Beduine weiß den Sand zu bereisen, um verirrte Flecken von Leben zu finden, oder vollendete Oasen, wo Flüsse fließen, Ebenen fruchtbar sind und Palmen Datteln tragen. Sie verweilen nicht lange, gerade lange genug, um die Kräfte der Tiere zu stärken und ihre eigenen Vorräte aufzufüllen. Das Gesetz dieses unwirtlichen Landes ist ungeschrieben, wird aber respektiert: Jeder vorbeiziehende Stamm zehrt maßvoll und ermöglicht es dann den Ressourcen, sich für die Nachkommenden wieder zu regenerieren. So wird es seit Jahrhunderten getan und niemand stellt es infrage. Gier ist ein ernster Verstoß hierzulande. Der Sheikh eines jeden Stammes, der das Gesetz bricht, wird von den Beraubten gejagt und verschiedentlich gedemütigt, geplündert oder geschlagen, abhängig vom Ausmaß seines Verstoßes.

      Die Frauen haben ihre eigenen Verpflichtungen. Im Morgengrauen sammeln sie das tägliche Wasser zum Kochen, Trinken und Waschen. Am Morgen bereiten sie das Essen für ihren Goum – die Familie eines Beduinen – zu und lassen es in bedeckten Schüsseln stehen, bis die Männer aus den Ebenen kommen. Abhängig von der Großzügigkeit des Tages kann die Mahlzeit etwas so Aufwändiges sein wie ein Hammeleintopf, wenn ein Schaf geschlachtet wird, oder etwas so Einfaches wie eine wässrige Brühe aus Hülsenfrüchten, die mit Klumpen klebrigen Maismehls oder in einem Sandofen gebackenen Brotes aufgenommen wird. An einem guten Tag bringen die Männer im Fluss gefangene Fische mit und die Frauen reiben diese mit zerstoßenen Nelken ab und kochen sie über einer offenen Flamme.

      Nach der Mittagsruhe, in welcher jeder schläft, um der gnadenlosen Hitze zu entfliehen, kehren die Männer zum Weideland zurück und die Frauen finden sich in Runden zusammen, um zu tratschen, zu kichern und zu singen, während sie die Mitgiften ihrer Töchter weben. Weberei und Stickerei sind im genetischen Code beduinischer Frauen verankert, so sehr sogar, dass es für stolze Väter üblich ist kundzutun, dass ihre Töchter mit Nadel und Faden in der Hand geboren wurden. Händler bieten ausgefallene Perlen, Säcke voller Pfeffer, Gewürze und Amulette aus Elfenbein zum Tausch für die Webereien an, doch die Beduinenfrauen lehnen ab – nicht, weil sie sich nicht von ihren Meisterwerken trennen können, sondern weil sie einem nützlichen Zweck dienen, wie zum Beispiel dem, die Unterkünfte der Männer von denen der Frauen abzutrennen, oder die Kinder in eisigen Winternächten warmzuhalten.

      Abende sind in der Wüste etwas Besonderes, eine Zeit für die Goums, um das Überleben eines weiteren Tages in diesem ungastlichen Land voller Gefahren und Entbehrungen und unaufhörlicher Einsamkeit zu feiern. Die Männer und die Alten, Frauen und Kinder nehmen ihren Platz im Kreis um das Feuer herum ein und sprechen mit ihrem Nebenmann über nichts Wesentliches, bis einer der jüngeren Männer die Festlichkeit einleitet, indem er auf eine Trommel aus Ziegenhaut schlägt oder die Saiten der Rebab zupft. Die anderen fallen einzeln ein. Der Flötenspieler bläst in eine Tonpfeife und lässt den fröhlichen, einfachen Singsang des Viehhirten erklingen. Die alten Männer steuern zum Rhythmus bei, indem sie kleine Fässer aus getrockneter Ziegenhaut schütteln, die mit Kernen oder Samen von Datteln gefüllt sind. Die Frauen sind die Sänger der Gruppe. Sie sitzen zusammen und singen von den Jahreszeiten oder den Ereignissen des Tages oder von Liebe. Ihre melancholischen, hohen Stimmen durchbohren die Stille der Nacht, wie einer Tigerin Klauen das Fleisch ihrer Beute reißen.

      ***

      Gabriel wartete, bis die blutrote Tinte getrocknet war, ehe er die Bahn aus Ziegenhaut beiseitelegte, die man ihm als Geschenk dargereicht hatte, als er aus dem Zelt des Heilers herausgetreten war. Sie war ein Symbol neuen Lebens, eine Gabe, die für die Erneuerung des Fleisches stand. Er war viele Monde lang beim Stamm gewesen, zu viele, um sie zu zählen, und hatte den Großteil seiner Zeit in Abgeschiedenheit verbracht, hatte beobachtet und geschrieben. Er wusste nichts über die Wüste, den Himmel oder diese Menschen, die sich Nacht für Nacht ums Feuer drängten, sodass ihre Gesichter in der Schwärze kupferfarben leuchteten. Er führte ein Tagebuch in Englisch, der einzigen Sprache, die er kannte, in der Hoffnung, dass die Aufzeichnungen seiner Eindrücke ihm helfen würden, ein Verständnis für diesen Ort zu entwickeln.

      Das hatte es. Was als Ungeduld und Intoleranz gegenüber einer ihm völlig unbekannten Kultur begonnen hatte, war zu einer Art Mitempfindens geworden. Die Nomaden ließen ihn in Ruhe, behandelten ihn jedoch nie wie einen Außenseiter. Er war jederzeit willkommen, sich zu beteiligen oder nicht, und heute Nacht war das nicht anders.

      Er spürte eine Hand auf seiner Schulter.

      Hairan deutete auf den Feuerkreis, während er sprach.

      Gabriel musste die Sprache nicht kennen, um zu verstehen, dass der alte Mann von ihm wünschte, der Feier beizuwohnen. Er zögerte. «Danke», sagte er und winkte ab. «Ich glaube nicht, dass ich dazu bereit bin. Vielleicht in einer anderen Nacht.»

      Hairan nickte, aber die Kinder konnten mit solchen Höflichkeiten nichts anfangen. Von der Einladung des Stammesführers ermutigt, erhoben sie sich vom Lagerfeuer und versammelten sich um den Fremden. Kichernd beäugten sie seine langen, bleichen Finger, sein fahlblondes Haar, verknotet und drahtig von Trockenheit und Vernachlässigung, und den wilden rötlichen Bart, der die milchig weiße Haut seines Gesichts von den Wangenknochen abwärts bedeckte und ihm die schroffe Gestalt eines alten Mannes verlieh. Während die Jungen sich um Gabriel herum hinknieten und seine Gewänder anhoben, um zu sehen, welche ungewöhnlichen Merkmale darunter lauerten, flüsterten sie einander ihre Neugier zu. Einer nahm Gabriels Hand und zog ihn zur Gruppe. Die anderen Kinder schlossen sich an und drückten ihre Begeisterung durch Gelächter aus, sodass er letztlich keine andere Wahl hatte, als die Gastfreundschaft seiner Gastgeber anzunehmen.

      Die Kinder führten Gabriel zu den jungen Männern des Stammes, und während er verlegen zur Begrüßung nickte, nahm er seinen Platz zwischen ihnen ein. Er wickelte seine Wolldecke um seinen Körper, um die Kühle abzuwehren, und bemühte sich darum, mit dem Hintergrund zu verschmelzen. Es war unmöglich. Jeder war sich seiner Gegenwart bewusst. Er wusste, dass er diesen Menschen ebenso fremd war, wie sie ihm. Sie alle starrten, nicht in drohender Manier, sondern ihn studierend, als ob dem Subjekt anhaltend ausgesetzt zu sein, ihnen seine Natur zu verstehen helfe.

      Gabriel vermied es, ihnen in die Augen zu sehen, und starrte stattdessen in den Bauch des Feuers. Die Beduinen fühlten sich möglicherweise nicht von ihm bedroht, aber er war sich nicht sicher, ob er genauso von ihnen empfand.

      Was hatte ihn in die Mitte dieser Menschen verschlagen? Er kämpfte darum, sich an sein bisheriges Leben zu erinnern, vermochte es aber nicht. СКАЧАТЬ