Telefónica. Ilsa Barea-Kulcsar
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Название: Telefónica

Автор: Ilsa Barea-Kulcsar

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783990650219

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       II.

      Es war eine feuchte, frostige Nacht ohne Mond und Sterne. Der Nebel des Abends hatte sich gehoben, aber die Luft blieb von ihm durchtränkt und gefärbt.

      Im Zimmer des Kommandanten der Telefónica brannte kein Licht, denn das Fenster stand offen. Agustín Sánchez beugte sich über die Brüstung und versuchte, in die Gran Vía hinunterzublicken. Die breite Straßenschlucht war von einem so undurchdringlichen Dunkel erfüllt, daß er sich daran wie an einem festen Körper anzulehnen glaubte.

      Von der nächstliegenden Front kamen in kurzen Abständen die Peitschenknalle der Gewehre. Munitionsverschwendung, Nervosität, dachte er. Die Nachrichten klangen böse, sie waren sehr unbestimmt. Er hätte nicht telephonieren, sondern selbst ins Kriegsministerium fahren sollen. Heute war ein relativ stiller Tag, er konnte also nicht erwarten, daß der General hierherkäme. Und er würde die Nacht durcharbeiten und seine kurzen Schlafpausen einschalten müssen, ohne genau zu wissen, wie es stand und wie weit der Feind nähergerückt war. Es war eigentlich ganz günstig, daß er keine Zeit zum Schlafen hatte; denn die Ungewißheit ließ immer den Pessimismus in ihm hochkommen, und ihn hätte im Bett der Alpdruck gequält. Wenn er das Schlimmste wußte und sah, daß es nicht so schlimm war wie seine geheimen Ängste, stieg in ihm eine fast fröhliche Tapferkeit hoch, die die anderen dann nicht recht verstanden und für besonderen Mut ansahen. Vielleicht ging es ihm heute auch so, wäre er nur zum Generalstab gefahren und wüßte nun, warum es so still an der Front war, statt daran herumzurätseln.

      Und doch, selbst wenn er über einige wirklich freie Stunden verfügt hätte, selbst wenn er nicht der Gefangene dieses Dienstes gewesen wäre, er hätte das Gebäude der Telefónica nicht verlassen mögen. Hier waren ihm die Stiegen selbst in der Dunkelheit vertraut. Hier wäre er schon längst um die Ecke gebracht worden, hätte einer der vielen hundert Arbeiter und Angestellten im Hause die Gelegenheit ausnutzen wollen: also – hier war er sicher. Hier war die Arbeit, die ihm die Vernunft rettete. Draußen sprangen ihn die Angst und die Wut an, seine Stadt war ihm fremd, die Menschen unverständlich geworden.

      Es ist alles ein Wahnsinn, dachte er, und wahrscheinlich gehen wir alle zugrunde. Aber die anderen auch. Wozu arbeite ich wie ein Narr, warum nehme ich nicht meinen Revolver und schieße ein paar Schweine nieder, bevor alles zu Ende ist? Meine alte feige Angst vor dem Blutvergießen. Was für ein Verbrechen ist das Ganze und wie schön könnte doch alles sein.

      Ach, Dreck und Scheiße, da mache ich mir Gedanken, damit ich mir zuhören kann, aber es ist doch alles anders und viel schwerer, ich verstehe nichts mehr ganz, da muß man doch auf seine Gedanken aufpassen. Ich bin nur so müde. Die vom Arbeiterrat werden mir noch zu schaffen geben. Ja und nein, was soll ich eigentlich mit ihnen tun, sie haben vielleicht recht. Aber immer diese Anarchisten und Kommunisten. Haben sie keine anderen Sorgen? Ich hab’ sie. Ich weiß zu gut, wo die neue Batterie steht, die sich auf uns eingeschossen hat.

      Das war ein schönes Schrapnell. Wie eine Rose.

      Die Paquita wird doch hoffentlich nicht gemerkt haben, daß ich für eine halbe Stunde frei bin. Sie soll nicht heraufkommen. Es steht nicht dafür. Ich mag nicht. Ich hab’ Arbeit.

      Die Kleine im Keller bei den Flüchtlingen aus Carabanchel hat gute Brüste; wie die Spitzen stehen – sie ist sicher läufig. Aber ich mag nicht. Ich weiß überhaupt nicht, was mit mir ist. Ich möchte mit einer schlafen gehen, aber mein Gehirn will nicht und so hab’ ich dann keine Lust. Das ist alles nicht so wichtig. Aber vier Wochen. So lange war ich niemals ohne Frau seit damals, als ich die Lungenentzündung hatte. Die Paquita ist ein Luder, sie macht mir’s absichtlich schwer. Und seit heute die Pepita im Haus – ich hätte nicht erlauben sollen, daß sie in die Telefónica kommt. Es ist bei ihr die reine Hysterie. Aber was hätte ich tun sollen?

      Heute schießen sie unregelmäßig. Viele Schrapnells, das heißt, daß sie sich einschießen. Das dort war besser gezielt – wenn sie uns treffen wollen.

      Ich sollte hinuntergehen und nachsehen, wie es sich die Pepita mit den Kindern eingerichtet hat. Sicher schlecht, wie immer. Aber ich kann da nichts mehr machen. Und ich will nicht, daß sie sich mir wieder an den Hals hängt. Es regt sie noch mehr auf und ich will doch nicht mehr. Die Weiber müßten doch endlich verstehen, daß ich nicht kann und nicht will und daß Krieg ist. Es ist zwar eine Ausrede von mir. Oder nein? Ich weiß nichts mehr, ich verstehe nichts mehr, ich weiß nicht, was mein Leben werden soll. Aber das ist egal, wir werden ja doch alle umkommen.

      »Wir werden alle sterben«, sagte Agustín laut und lachte. Denn vor dem Tod hatte er nie Angst, nur vor dem Schmerz und vor dem Schmutz.

      Er hatte heute vierzehn Stunden intensivster Arbeit hinter sich. Er hatte endlose Arbeit vor sich, nicht viel davon an seinen Stellvertreter übertragbar. Die ganze Militärverwaltung der Telefónica lag in seinen Händen, solange sein Vorgesetzter, der Oberst, in Valencia blieb. Agustín begann eben zu verstehen, wie groß seine Verantwortung war. Diese Telephondrähte waren die einzigen Fäden, die vom belagerten Madrid zur Außenwelt führten. Immer war Sabotage möglich. Im obersten Stock des Hauses hatte der Generalstab seinen zentralen Beobachtungsposten. Immer war Spionage möglich. Sabotage und Spionage: alle Funktionäre in der Telefónica waren von der Furcht vor diesen zwei unbekannten Größen beherrscht.

      Die Telefónica hatte dreizehn Stockwerke und zwei Kellergeschosse. Zutiefst unter der Erde waren die Flüchtlinge aus den Außenbezirken und Umgebungsdörfern Madrids. Im dreizehnten Stock war der Artilleriebeobachtungsposten. Dazwischen, in die Räume von zwölf Stockwerken zusammengepreßt, die Maschinerie des Telephonnetzes für ganz Spanien und zugleich ein Querschnitt durch das Madrid der Belagerung: andere Flüchtlinge; Arbeiter; Polizisten; Milizposten; Erste-Hilfe-Station; Beamte; von jedem Verkehr ängstlich abgesperrt, die Beobachtungsoffiziere des Generalstabes; als Fremdkörper, isoliert, die Funktionäre der amerikanischen Kapitalisten, denen die Telefónica und das Telephonmonopol in Spanien gehörten, derzeit entmachtet durch die Staatskontrolle; das Militärbüro, oberste Verwaltungsinstanz des Gebäudes, in dem nur Agustín saß; eine Ausspeisungshalle; Notbetten in allen möglichen Räumen für die Leute vom Nachtdienst; ein Heer von Telephonisten, die zum Teil im Hause schliefen, um nicht im Granatenregen von und zur Arbeit gehen zu müßen; im vierten Stock die Journalisten der ausländischen Presse; im fünften die Pressezensur, Abteilung des Außenministeriums, und die Horchzensur, Komitee der Telefónica-Beamten; dazwischen Maschinen und wieder Maschinen, kostbar und fast unersetzlich; dann die Gewerkschaftsräume, der Arbeiterrat – Consejo Obrero – und dessen Institutionen; die Plakate der Organisation; die Materialien für die Reparaturen; das technische Leben, das politische Leben, das militärische Leben, Schreibmaschinen und Scherenfernrohre. Und, durch den Bau quer durch, die fünf gewaltigen Fahrstuhlschächte und die enge, bei Panik so gefährliche Wendeltreppe. Das alles war nun der Zielpunkt für die Kanonen und die Fliegerbomben der Faschisten.

      Sie haben recht, wenn sie uns zerstören wollen, dachte Agustín. Wir sind eines der Nervenzentren von Madrid. Das Kleinhirn. Obwohl sich die Herren Journalisten wahrscheinlich als das Großhirn vorkommen. Lächerliche, eitle Bande: man läßt ihnen zu viel Freiheit. Was haben sie auf unsere Kosten Sensationen zu verkaufen? Sie sind alle gleich, diese Ausländer, alles nur Geschäft. Die Zensur taugt nichts. Es ist freilich auch ein widerliches Geschäft. Wie heißt doch der kleine, ölige Zensor mit der Zahnlücke, der paßt dazu. Der Chef ist ein braver, alter Mann, aber er ist zu gut. Die Korrespondenten machen mit ihm, was sie wollen. Ich werde ein wenig eingreifen. Die Abhörzensoren sind Esel. Sie verstehen die Hälfte aller Sachen nicht und kommen mir immer mit Verdacht, wenn die Geschichte harmlos ist. Natürlich übersehen sie alles Gefährliche.

      Ich bin wieder normal, dachte Agustín. Wenn mir nicht die Weibergeschichten den Kopf heiß machen und wenn es mir gelingt, nicht daran zu denken, was das alles bedeutet, werde ich heute Nacht gar nicht schlecht arbeiten.

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