Retromania. Simon Reynolds
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Название: Retromania

Автор: Simon Reynolds

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9783955756086

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СКАЧАТЬ als ein »gut verkäufliches Konzept«, aber bisher haben sich die Versuche – glamouröse Remakes von Nummer 6, Detektiv Rockford, Drei Engel für Charlie, Polizeibericht, The Twilight Zone, Auf der Flucht, Kojak, Die Sieben-Millionen-Dollar-Frau, Hawaii Fünf-Null, Beverly Hills 90210, Dallas und beliebte Britcoms wie Der Aufpasser, Reggie Perrin und The Likely Lads –, gemessen an den Einschaltquoten, nicht besonders gut »verkauft« (tatsächlich werden diese Remakes in Amerika noch häufig vor dem Ende einer Staffel abgesetzt). Trotzdem versuchen sie es immer weiter: Es scheint eine unwiderstehliche Versuchung zu sein, das Altbewährte neu aufzubereiten, den Kultstatus des Originals immer weiter zu melken.

      Dann gibt es da noch die Mode. Hier ist das Durchstöbern des Kleiderschranks seit längerer Zeit wesentlich für die Industrie, aber auch die Wiederverwertung alter Ideen hat im letzten Jahrzehnt ihren wahnwitzigen Höhepunkt erreicht. Designer wie Marc Jacobs und Anna Sui wühlten sich durch die Stile vergangener Epochen, sobald diese vorbei waren. Der Markt für Vintage-Klamotten boomte (»vintage« meint mittlerweile schon die 80er, denn heute ist die Nachfrage nach Designern dieser Zeit wie Azzedine Alaia groß) und gleichzeitig fand eine »Antikisierung« von Möbeln und Artefakten aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts statt, da die Magazine für Innendesign und Architektur wie wild auf die modernen Möbel dieser Zeit abfuhren.

      Das sind nur einige der sichtbarsten Schauplätze der Retromanie. Es gibt natürlich noch Retro-Spielzeuge (die Trends umfassen alles vom View-Master bis zur Blythe-Puppe aus den frühen 70ern) und Retro-Spiele (das Spielen und Sammeln von alten Computer-, Video- und Arcade-Spielen aus den 80ern). Es gibt Retro-Essen (die Sandwich-Kette Pret A Manger bietet »Retro Prawn on Artisan« an, eine aufgemotzte Version des in den 70ern beliebten Krabbencocktails) und es gibt genauso Retro-Inneneinrichtungen, Retro-Süßigkeiten, Retro-Klingeltöne, Retro-Reisen und Retro-Architektur. Es gibt sogar ab und an Werbung in Retro-Manier, wie etwa die für Heinz Baked Beans, die unzählige Schnipsel aus alten britischen Werbespots der 60er, 70er und 80er vermischt, gekrönt von dem unverwüstlichen Slogan »Beanz Meanz Heinz«. Am verrücktesten ist die Nachfrage nach Retro-Pornos: Sammler, die sich auf Erotik- und Sex-Magazine aus bestimmten Epochen spezialisieren; Websites mit Kategorien wie »Retro Face-Sitting«, »Retro Big Tits« und »Vintage Hairy« (gemeint sind Pornos vor der Brazilian-Waxing-Ära). Telefonsexwerbung im Kabelfernsehen wird hin und wieder von schwarz-weißen Pornos und Nacktfilmen aus den 50ern (oder früher) unterbrochen, die einen zu der Vorstellung verleiten, dass die lasziven Darstellerinnen mittlerweile entweder in Einrichtungen für betreutes Wohnen oder – schluck – bei den Würmern hausen.

      Obwohl man überall auf Spuren von Retro trifft, nimmt es gerade in der Popmusik überhand. Und dort fühlt es sich besonders falsch an. Bei Pop ging es doch um die Verheißung der Gegenwart, oder? Pop wird immer noch als die Sphäre der Jugend betrachtet, und von jungen Menschen erwartet man nicht, dass sie in Nostalgie verfallen; sie leben noch nicht lange genug, um in einer Fülle wertvoller Erinnerungen zu schwelgen. Gleichermaßen bedeutet der Aufruf des Pop, »Be here now«, sowohl »Lebe, als gäbe es kein Morgen« als auch »Schüttel die Fesseln des Gestern ab«. Die Verbindung der Popmusik mit dem Neuen und dem Hier und Jetzt erklärt ihre beispiellose Fähigkeit, die Atmosphäre einer bestimmten Ära herauszudestillieren. In Historienfilmen und Fernsehsendungen beschwört nichts den Geist einer Epoche besser herauf als Popsongs aus der betreffenden Zeit. Mit Ausnahme der Mode vielleicht, dem anderen Feld der Popkultur, das völlig von Retro durchdrungen ist. In beiden Fällen ist es genau diese Aktualität, die Qualität des Gegenwärtigen, die dafür sorgt, dass Musik und Mode einerseits so schnell veralten aber andererseits, wenn sie nach einer angemessenen Pause schließlich wiederbelebt werden, so sehr dafür geeignet sind, den Geist einer Epoche zurückzuholen.

      Bezogen auf den Mainstream-Pop handelte es sich bei vielen der in den 2000ern kommerziell erfolgreichsten Trends um die Wiederverwertung von Bekanntem: das Wiederaufflammen des Garage-Punk durch The White Stripes, The Hives, The Vines, Jet; der Vintage-Soul von Amy Winehouse, Duffy, Adele und anderen jungen britischen Frauen, die wie schwarze amerikanische Sängerinnen der 60er daherkommen; Frauen, die vom Synthie-Pop der 80er beeinflusst sind, wie La Roux, Little Boots und Lady Gaga. Aber seine wahre Herrschaft als bestimmende Geisteshaltung und kreatives Paradigma hat Retro im Land der Hipster, den Intellektuellen des Pop, errichtet. Es sind genau diejenigen, von denen man erwartet, dass sie als Künstler das Unerwartete und Wegweisende produzieren oder es als jene Konsumenten unterstützen, die am meisten auf die Vergangenheit fixiert scheinen. Demographisch betrachtet ist es genau die Gruppe, die auf dem neuesten Stand ist, aber anstatt sich als Pioniere oder Erneuerer hervorzutun, haben sie die Seiten gewechselt und sind zu Kuratoren und Archivaren geworden. Aus der Avantgarde ist eine Arrière-garde geworden.

      Auf einmal war die ganze Musikhistorie verfügbar, und dies übte natürlich eine große Anziehungskraft aus. Das Gefühl, etwas zu erleben, konnte leicht erlangt werden (tatsächlich sogar leichter), indem man sich in die immense Vergangenheit zurückbegab, statt nach vorne zu gehen. Es handelte sich dabei immer noch um einen Forschungsdrang, der aber die Gestalt der Archäologie annahm.

      Dieses Phänomen setzte bereits in den 80ern ein, doch im letzten Jahrzehnt ist es richtig eskaliert. Die jungen Musiker, die in den letzten zehn Jahren zur künstlerischen Reife gelangten, wurden in einer Umgebung groß, in der die musikalische Vergangenheit in einem beispiellosen und überwältigenden Maße verfügbar war. Das Resultat ist ein anderer Ansatz des Musik-Machens, der zu einem sorgfältig arrangierten Mosaik aus Verweisen, Andeutungen und Klanggeflechten führt, dem Produkt eines ausgesuchten und oftmals überraschenden Geschmacks, der die Zeiten und die Weltmeere überbrückt. Ich habe diese Herangehensweise »Plattensammler-Rock« genannt, aber heute muss man dazu überhaupt keine Platten mehr sammeln, nur MP3s anhäufen oder wahllos durch YouTube cruisen. Die gesamte Musik und alle Bilder, die man sich früher für Geld und unter körperlicher Anstrengung besorgen musste, sind jetzt kostenlos verfügbar und immer nur ein paar Mausklicks entfernt.

      Es ist nicht so, als wäre in der Musiklandschaft der 2000er gar nichts passiert. Es herrschte ein wahnsinniges Gewimmel von Mikro-Trends, Subgenres und neu zusammengesetzten Stilen. Aber die bedeutsamsten Umwälzungen betrafen die Methode unseres Konsums und die seiner Verbreitung – das führte dazu, dass die Retromanie überhand nahm. Wir wurden zu Opfern unserer Fähigkeit, große Mengen kultureller Daten zu speichern, zu ordnen, jederzeit darauf zugreifen zu können und sie zu teilen. Es gab bisher nicht nur keine Gesellschaft, die derart von den kulturellen Artefakten ihrer unmittelbaren Vergangenheit besessen war, es gab auch keine Gesellschaft, der es möglich war, so einfach und unbegrenzt auf ihre unmittelbare Vergangenheit zuzugreifen.

      Allerdings geht es in Retromania nicht einfach nur darum, Retro als Ausdruck einer kulturellen Regression oder als Dekadenz anzuklagen. Wie auch? Ich bin ja selbst mitschuldig. Ebenso wie ich als Journalist über »das schöne neue Grenzgebiet« der Musik, nämlich Rave und Elektro, geschrieben habe, und ebenso wie ich auf Buchlänge Bewegungen wie Post-Punk, bei denen es immer um das Zukünftige ging, gefeiert habe, so bin ich auch mit Begeisterung an der Verbreitung der Retro-Kultur beteiligt: als Historiker, als Rezensent von Wiederveröffentlichungen, als »Talking Head« in Dokus und als Verfasser von Booklets. Aber ich bin nicht nur beruflich involviert. Als Fan von Musik bin ich genauso der Retrospektion verfallen wie alle anderen auch: Ich durchforste Second-Hand-Plattenläden, grüble über Rockbüchern, bleibe bei VH1 Classic und YouTube hängen und schaue mir Rockdokus an. Ich sehne mich nach der Zukunft, die unentschuldigt fehlt, aber ich erliege auch der Verlockung der Vergangenheit.

      Als ich für dieses Buch recherchierte, war ich beim Durchsehen meiner alten Artikel überrascht, wie sehr Themen, die mit Retro zu tun haben, bereits über lange Zeit im Fokus standen. Inmitten des begeisterten Geplappers vom »Next Big Thing« in der Musik, tauchte dessen Gegenpol auf – die seltsame Bürde des Rock, seine stetig schwerer werdende Vergangenheit zu schultern. Retro verfolgte mich, diese geisterhafte Umkehrung der »Zukunft«, über die ich mich sonst ausgelassen habe und wofür ich viel bekannter bin. Im Rückblick fällt mir auf, dass ich oft unbewusst meinen ganzen Glauben und Optimismus СКАЧАТЬ