Retromania. Simon Reynolds
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Название: Retromania

Автор: Simon Reynolds

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9783955756086

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СКАЧАТЬ schlimmsten Fall kann Reynolds’ Retromania dann auch als Bestätigung all jener Box-Set- und Sixties-Fans gelesen werden, von denen Reynolds sich ja absetzen will.

      Judith Butler hält in Haß spricht fest: »Es gibt keine Möglichkeit, nicht zu wiederholen.« Und aus diesem Loop ergeben sich bekanntlich immer wieder Möglichkeiten von »Fehlaneignungen« (aka »produktive Missverständnisse«). Butler ist jedoch nicht so naiv, die Skills (nachstellen, resignifizieren, überschreiben) uneingeschränkt als subversiv zu betrachten. In Körper von Gewicht behandelt sie Forman von Wiederholungen, »die nicht subversiv genannt werden« können, da sie zur »Festigung hegemonialer Normen«, der »Reidealisierung« statt »Destabilisierung« dienen. The-Bands und Neo Soul verschieben nicht das Zitierte, sondern etablieren es (handgespielter, verschwitzter Soul versus Cyber-R&B) erneut als hegemoniale Norm.

      Erinnern wir uns nur an das Joy-Division-Revival im Zusammenhang mit dem Film Control. Joy Division wurden ins klassische Rocknarrativ eingeschrieben. Als New-Wave-Version der Doors konnten sie nun problemlos integriert und das subversive (politische) Programm von Post-Punk (gegen den Punkrock-Machismo, für bastardisierte, queere, multiethnische Bündnisse) entsorgt werden.

      Solche Revivals ohne Nebenwirkungen exekutieren ein revisionistisches wie restauratives »Ende der Geschichte«, um es sich in einem idealtypischen Gestern gemütlich zu machen. »Legalize History« wird hier nur noch als weiteres Box-Set verstanden.

      Deshalb kann die Ideologie der Revivals nicht von den Revivals der Ideologien getrennt werden. Was macht ausgerechnet die 80er als »Me-Age« so faszinierend für das von Reynolds diagnostizierte »Re-Age« der Nullerjahre? Welche Funktion hat das NDW- und Schlager-Pop-Revival der Berliner Republik vor dem Hintergrund einer Re-Nationalisierung durch Pop?

      Nicht zuletzt brachte diese ideologische Retromanie im Schlepptau von The-Bands, Neo Soul und auch einzelnen Post-Dub-Step-Acts all das wieder auf, was in den 80ern aus guten Gründen angegriffen wurde: Wunderkinder, Genies, Talente, Selbstverwirklichung, Realness, live per Hand gespielte Instrumente (Madonna mit E-Gitarre, Laptop-Acts mit echtem Schlagzeug). Darauf konnten sich nun all jene wieder einigen, für die vor allem elektronische Tanzmusik eine »No-go-Area« war.

      Vielleicht provoziert deshalb Reynolds’ Wechsel »vom Hardcore-Kontinuum schnurstracks ins Retro-Kontinuum« (Aram Lintzel in De:Bug) so sehr. Hat nicht die Club- und Bassmusik ein gänzlich anderes Verständnis von Zeit und Raum (im Reggae heißen die Pausen/Breaks »Space«)? Gerade in der Popkultur stoßen wir dabei doch immer auf zwei unterschiedliche Positionen: Entsteht die Zeit aus dem Tun (dem Loop, der Wiederholung, den geringen Verschiebungen), oder entsteht das Tun aus der Zeit (der linearen Abfolge von Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft, den großen Brüchen und Erzählungen)?

      Pop schaute immer schon mit einem Auge in den Rückspiegel und hörte mit einem Ohr in die Vergangenheit. Einerseits um richtig rückwärts einparken, andererseits um überholen zu können. Auch Markus Heidingsfelder spricht in seiner Analyse System Pop (2012) von einer grundsätzlichen »Rückwärtsbewegung«, die Pop charakterisiert: »Das System (Pop) bewegt sich mit dem Rücken zur Zukunft.«

      Problematisch wird das jedoch, wenn die Bewegungen des Einparkens und Überholens immer weniger zu unterscheiden sind. Nur ist das nicht immer so leicht zu differenzieren, kann doch die Frage »Bin ich noch Retro oder schon Future bzw. bin ich noch Future oder schon wieder Retro?« meist nur retrospektiv beantwortet werden.

      Dennoch ist eine Unterscheidung möglich: Ein Sprung zurück in die Zeit ist etwas anderes als ein Gang zurück durch die Zeit. Ein Zeitsprung will zurück zu den »reinen Zeichen«, die jedoch nur um den Preis einer reaktionären Aneignung zu haben sind. Deshalb setzt etwa der Neo Soul alles daran, so zu klingen, als hätte es Hip Hop, House oder Techno nie gegeben, wohingegen sich Reynolds noch sehr genau an eine Zeit erinnert, in der allein die Vermutung, hier würde etwas »like Punk never happened« klingen, ausreichte, um die rote Karte zu zücken.

      Andererseits braucht es immer ein »Second Coming«, damit etwas wirkungskräftig wird. Sonst bleibt es beim »done and gone« für elitäre Zirkel. Die ersten Platten der Rolling Stones mögen für Bluesfans schlimmste Retromanie gewesen sein, für andere jedoch ein folgenschwerer Erstkontakt mit Muddy Waters, Willie Dixon, Robert Johnson. Ebenso wären ohne Hip Hop viele rocksozialisierte Teens und Twens nicht auf den Geschmack von Soul und Funk gekommen, zwei Genres, um die es Ende der 70er/Anfang der 80er nicht gerade zum Besten stand, über die wenig in den Rocklexika zu finden war.

      Vielleicht sollten wir uns Retro-Schleifen eher als Möbius-Schleifen denken. Analog zu Butler spricht Diederichsen in Eigenblutdoping daher auch vom »nicht Vorhersehbaren« im Loop, vom Kopfanstoßen, Auf-den-Arschfallen, Entgleisen, Ausrutschen: »Es ist dasselbe, mindestens zweimal von mir erlebt.« Und hier finden wir auch den Schlüssel zu dem Rätsel, warum manche Platten besser altern, als andere: »Wer im Immergleichen des Loops etwas Neues erlebt, hat es mit einem viel härteren Neuen zu tun, als wer dies in einer Struktur erlebt, in der das Auftreten des Neuen vorgesehen ist.«

      Wie Klaus Theweleit einmal so schön sagte, sind Schallplatten (oder CDs, MP3s) auch »Gedächtnisspeicher«. Während wir Musik abspielen, schreibt sich gleichsam auch immer etwas in sie hinein (die Bierflecken und Kratzer von der Party, die Erinnerungen an hitzige Diskussionen, die dazu gelesenen Bücher, die peinlichsten Momente der Jugend, die Geisterstimmen, die uns später immer wieder heimsuchen werden, ein »neues«, anderes Denken über Musik). Wir können also gar nicht mehr zurück, es sei denn, wir machen aus dem Gestern eine Schneekugel. Oder, um es mit Elvis zu sagen: »I forgot to remember to forget you.«

       Das Jahrzehnt des »Re«

      Einleitung

      Wir leben in einem Zeitalter des Pop, das völlig verrückt ist nach permanenter Erinnerung. Bands reformieren sich, spielen Reunion-Touren. Es erscheinen Tributalben und Box-Sets, es finden Jubiläums-Festivals und Livekonzerte statt, auf denen komplette Alben, bevorzugt die Klassiker, durchgespielt werden: Mit jedem neuen Jahr, das ins Land geht, scheint die Musik von gestern wichtiger zu werden.

      Kann es sein, dass die größte Gefahr für die Zukunft der Musik … ihre eigene Vergangenheit ist?

      Vielleicht klingt das übertrieben apokalyptisch. Aber das Szenario, das ich mir ausmale, ist weniger eine plötzliche Katastrophe denn vielmehr ein schleichendes Verschwinden. So wird Pop enden: nicht mit einem Knall, sondern in einem Box-Set, dessen vierte CD du niemals abspielen wirst, und mit einer überteuerten Eintrittskarte für ein Pixies- oder Pavement-Konzert, auf dem ein Album eins zu eins neu inszeniert wird, das du bereits in deinem ersten Semester bis zum Gehtnichtmehr gehört hast.

      Es gab einmal eine Zeit, in der der Stoffwechsel des Pop auf Hochtouren lief und während der psychedelischen 60er, der Post-Punk-70er, der Hip-Hop-80er und der Rave-90er das Gefühl erzeugte, direkt in die Zukunft gespült zu werden. Die 2000er fühlten sich anders an. Der Pitchfork-Kritiker Tim Finney verwies auf »die seltsame Langsamkeit, mit der das Jahrzehnt voranschreitet«. Er meinte damit insbesondere die elektronische Dance Music, die in den 90ern die Avantgarde der Popkultur war und die in jeder Saison das Next Big Thing hervorbrachte. Aber Finneys Beobachtung trifft nicht nur auf die Dance Music zu, sondern lässt sich auf die gesamte Popmusik übertragen. Das Gefühl, vorwärts zu kommen, wurde immer schwächer, je weiter das Jahrzehnt voranschritt. Die Zeit selbst wurde scheinbar träger, wie ein Fluss, der sich ruhig dahinschlängelt und tote Flussarme ausbildet.

      Wenn der Pulsschlag des JETZT sich mit jedem Jahr schwächer anfühlte, lag das daran, dass die Gegenwart von Pop in den 2000ern immer mehr von der Vergangenheit verdrängt wurde, sei es durch die Erinnerungen aus dem Archiv СКАЧАТЬ