Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
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Читать онлайн книгу Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри страница 38

СКАЧАТЬ an, da fing ich an zu schreien. Es hingen ihr die Hände herunter und es war ein Schmerz dabei, daß sie da unten sein mußte, ein furchtbarer Schmerz. Da kam die Babette und holte mich und sagte, ich hätte geträumt, und es war die grüne Wand wieder da.

      Einmal sah ich Sie auf dem Lindenstamm mit dem Schönsten, als es Mittag war und so heiß und still, und die Linde blühte. Manchmal ist Sie wohl in der Nacht bei mir gewesen, ich muß stark an Sie denken. Einmal war Sie böse mit mir. Als ich auf den Steinplatten lag. Da stand Sie einmal unten an meinem Bett, und da sah ich, daß Sie breite rote Streifen an ihren Armen hat. Die roten Streifen aber nicht, wie wir sie alle haben. Sie sehen nicht aus wie bei uns, mir und Papa. Es waren tiefe Ringe wie Narben.

      Nun muß ich von Schloß Schweigen erzählen. Dahin ging ich mit Papa und Mama. Eigentlich sollte ich mit Harro gehen, und er hatte es mir versprochen. Sonst hält er immer seine Versprechungen, aber das hat er nicht gehalten. Vor dem Schloß Schweigen ist ein Brunnen, daraus müssen wir trinken, weil es der Feenbrunnen ist. Und weil Sie daraus getrunken hat. ›Gisela, Gisela,‹ rauscht das Brünnlein. Ach war ich erstaunt, als ich Ihren Namen hörte! Ihre Nähe fühlte ich, und nun kannte das Brünnlein Sie und wußte Ihren Namen. Papa trank daraus und ich aus dem gleichen Becher, und immer murmelt das Wasser ›Gisela, Gisela, Gisela‹. Da ging ich mit Papa in die große Pforte hinein. Da saß der Schönste auf dem Treppenplatze, wo es hinauf geht, unter dem kleinen Fenster, und hielt seine Geige vor sich und ließ die Beine hängen. Ich sah ihn an, aber er kannte mich nicht. Dann ging ich die Treppe hinauf und die Stufen knarrten, als wollten sie etwas sagen und könnten nicht. Als ich in die Zimmer hineinkam, da wußte ich, daß ich schon oft dagewesen war. Schon oft. Als noch die blauen Männlein über den Türen auf dem Gebälk saßen und an Stricken von der Decke hingen. Ganz leise mußte ich gehen, und es war mir schrecklich, daß Mama so laut war und sagte: ›Es riecht nach Geistern.‹ In den Stuben wußten viele Dinge von Ihr. Nicht alle. Aber der Spiegel in dem dunkeln Rahmen hatte Ihr Gesicht gesehen und wiedergegeben und vielleicht verzerrt er darum alle Gesichter jetzt, weil ihm keines mehr gefällt. Ich sollte Tee trinken, aber ich konnte nicht essen, es schlug mir das Herz. Da ging ich durch die Stuben – da war eine Tür offen, da sah ich Sie. Ich zitterte, daß ich mich an der Tür halten mußte. Es hing ein blaues Männlein von der Decke und hielt den Finger an die Lippen, als wollte es sagen: Schweige! Davon heißt ja das Schloß. Da stand ein großes Himmelbett, daran hingen die schönsten Vorhänge von sanft blauer Seide, die waren mit bunten Blumen bestickt. Auf dem Bette lag Sie und hatte eine gelbe seidene Decke über sich. Ihre langen goldenen Haare lagen auf den Kissen und fielen auf den Bettrand hinunter. Ihre Hände waren ganz weiß und fein wie die Blüten vom Waldklee und auch mit blauen Linien. An dem Handgelenk lief der rote Streifen, und man sah wohl, es waren schreckliche Narben. Sie lag ganz weiß und still da und Ihre Augen waren zu und Sie war wie ein Grabmal von Marmor und Gold. Ich dachte, Sie ist tot, da ist Sie gestorben. Sie war nicht allein. Es war da eine kleine freundliche alte Frau mit einem Spitzenhäubchen, das in die Stirne ging. Ein alter Herr mit weißem Haar, mit einer roten Narbe über der Stirne. Der alte Herr sah aus wie ein Herr Stiftsprediger, er hatte auch den weißen Kragen an und schwarze Strümpfe und Schnallenschuhe. Da gingen der Gisela wieder die Augen auf, und ich sah, daß Sie nicht tot war. Sie hob den Kopf ein klein wenig und sah nach dem Männlein hinauf und lächelte, als wenn Sie und es etwas miteinander hätten. Wenn man gesehen hat, wie Sie lächelte und zu dem hölzernen Männlein aufsah, das vergißt man im Leben nicht. Sie sah mich an und kannte mich nicht, wie mich auch der Schönste nicht gekannt hatte. Da schlug der Wind die Türe zu, und wie Papa die Türe wieder aufmachte, da war alles ganz verändert. Kein Männlein hing von der Decke, nur das Bett war noch da und der Spiegel, in dem sich der alte Herr Stiftsprediger gespiegelt hatte. Die Vorhänge waren grau geworden, die schönen Blumen verblichen. Die gelbseidene Decke war an den Rändern gefranst und die Wände nicht mehr weiß und braun.

      Sehr oft muß ich denken, wie kam Sie, die doch eine Königin war, in die Halle mit den Säulen, und wer hat Ihr das Zeichen auf ihre feinen Arme gemacht? Warum saß der Schönste auf der Treppe und ließ die Beine hängen und war nicht bei Ihr? Wie kam Sie nach Schweigen? Warum habe ich Sie so oft in einem silbernen Kleid gesehen in Brauneck, das rauscht und flirrt und im Mondschein an ihr herunterfließt wie Wasser mit kleinen Wellen?« – – – Der Fürst schob das rote Heft von sich und schaute auf. Über ihm hing der schöne Sommerjüngling und wies mit seiner Sichel herunter auf den letzten fliehenden Streifen Mondschein auf dem Boden. An seinem Arme klirrte das goldene Armband, das ihm die junge Fürstin geschenkt.

      »Lächerlicher kindischer Plunder,« murmelte er vor sich hin. – »Soll man die Sklavenkette auch noch sehen!« Er drückte auf das Schloß, das ging nur schwer, daß er mit seinen stählernen Reiterhänden daran zerren mußte. Es wich ein Glied, er konnte es abstreifen. Er öffnete eine kleine Kassette und warf das Armband achtlos hinein. An seinem kräftigen und doch feinen Gelenk, das so schön zu den schmalen festen Händen paßte, erschien, durch das Zerren in ein dunkles Rot getaucht, das alte Zeichen. Sollte das wirklich das Denkmal eines alten Unrechts, fast einer alten Schande sein! Es hatte immer als seltsam treubewahrtes Spiel der Natur gegolten, wie etwa die hängende Unterlippe der Habsburger. Keine Überlieferung war ihm zu Ohren gekommen, die versucht hatte, das alte Zeichen zu deuten.

      »Ich muß morgen doch mit dem Thorsteiner sprechen. – Das blaue Männlein hat er mir doch aufgefunden. Ich muß ihn fragen, was er von diesen Dingen hält. Ob es wohl ererbte Erinnerungen gibt? Ich kann die Kleine und ihren Freund wohl ruhig den Winter über beisammen lassen. Es ist ja viel besser im Grunde für sie als Berlin und Charlotte, die sich gar nichts aus ihr macht!

      O Wunderliches! Ich möchte dich immer mehr gewinnen. Ich danke dir für dein Geheimnis.«

      Und er sah auf zu dem geheimnisvoll lächelnden Seelchen, um dessen Hände fein wie ein Hauch der rote Streifen lief, wie um die seinigen ...

      Dreizehntes Kapitel.

       Die Kirchenstube

       Inhaltsverzeichnis

      Es ist ein schöner und stiller Winter in Brauneck. Rosmarie läuft Schlittschuh auf dem Fluß, wo es sicher ist, und geht mit Eifer in ihren Konfirmationsunterricht. Sie läßt ihre Haare nicht mehr offen hängen, sie werden schon zu lang dazu. Sie bekommt zwei breite Zöpfe geflochten, die mit einem Band vereinigt sind, und ein dunkelblaues Schulkleid mit Mantel und Kappe. Frau von Hardenstein begleitet sie bis an den Eingang der Kirchenstube, die hoch und dunkelgetäfert ist und in der die langen schwarzen, mit weißer Schrift bemalten Tafeln hängen. Die Namen der längst verstorbenen Hofprediger, Speziale und Stiftsprediger stehen darauf, alle mit weißen Kreuzen hinter den Namen. In Brauneck war einst ein Chorherrenstift gewesen, das die alten Braunecker Herren begründet hatten. Der jetzige Prinzessinnenbau, ein schönes, steinernes Giebelhaus, war das Stift gewesen. Nun lebte von allem nur noch der alte Titel fort. Der erste Name ist aus dem Jahre 1588.

      Alte Holzkästen, roh, unangestrichen, stehen da, und es wäre sehr interessant, in sie hineinsehen zu dürfen. Auf dem Pulte, der auch von rohem Tannenholze ist, steht ein großes altes geschnitztes Kruzifix, überall an den Wänden, dem Pulte, sind ungezählte Tintenflecke und -Spritzer. Rosmarie wunderte sich im stillen, warum es wohl hier Tinte geregnet habe. Sie sitzt mit den Mädchen auf der hinteren Bank, die Knaben sitzen vorne. Rosmarie liebt bald die alte Kirchenstube aufs innigste. Es ist eine ganz besondere Luft da. Ein kleines braunes Kachelöfchen mit Löwenfüßen muß mit buchenen Klötzen gefüttert werden. Dann brummelt es vor sich hin und hat ein feuriges Äuglein und streckt plötzlich eine lange goldene Zunge heraus. Die beste Schülerin, die Erste, wie sie genannt wird, hat das Ehrenamt, den Ofen zu füttern. Es wäre Rosmaries höchster Ehrgeiz, einmal mit diesem Amt betraut zu werden. Aber mit einem Seufzer der Beschämung gesteht sie sich, daß sie dies hohe Ziel auch wohl bis zum nächsten Jahre nicht erreichen wird. Die andern Kinder, namentlich die Mädchen, wissen so viel.

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