»Das möchte ich nun freilich nicht, daß sie damit geplagt würde, aber ich meine, die Erhaltung eines gesunden und schönen Körpers sei immerhin einige unangenehme Augenblicke wert.«
»Ach, Sie übertreiben! Wenn man Sie hört, könnte man meinen, wir seien alle krank und häßlich. Aber streiten wir nicht mehr. – Ich muß mich jetzt an den Gedanken gewöhnen, daß wir Sie nun nicht mehr so schön in der Nähe haben werden. Wie schnell sind die Jahre dahingegangen ...« seufzte sie.
»Für mich auch. – Bis ich nun lerne, mich wieder in einen Höhlendachs zurückzuverwandeln.«
»Harro, Sie wollen uns doch die Freundschaft nicht kündigen? Wir sehen Sie vielleicht nicht mehr in der gleichen, ach, so gemütlichen Weise, aber darum ...«
»Sehen Sie, Frau Mutter, wie Sie anfangen zu nuancieren ... Ich bin aber nicht der Mann der Nuancen, wenigstens in meinem freundschaftlichen Verkehr nicht. Erinnern Sie sich, was Sie zu mir unter demselben Säulenschatten sagten: Man wird Ihnen eines Tages zu verstehen geben usw. Nun, ich erwarte diesen Wink nicht. Ich verschwinde schon vorher. Es wäre mir entsetzlich, wenn mir der Fürst einen berechtigten Vorwurf machen könnte. Rosmarie ist noch ein Kind, das können Sie an ihren direkten Fragen sehen ... sie ist nur lang gewachsen. Es kommen die Jahre, wo sie zu leben beginnt, bis jetzt hat sie nur geträumt. Ich glaube nicht, daß sie mich vergessen wird: bin ich aber in diesen Jahren aus ihrem Gesichtskreis getreten, so werde ich in ihrer Erinnerung zu den guten alten Onkels gesellt werden, die sind ungefährlich.«
»Harro, wenn Sie recht hätten. – Freilich ist Rosmarie noch ein Kind, aber ihre Liebe zu Ihnen –«
»Warum sollte ein liebes Kind den guten alten Onkel nicht lieb haben? Liebe Frau Mutter, hätte die Rosmarie ihr Wachstum vernünftig eingeteilt und hätte sie sich nicht in den Kopf gesetzt, plötzlich emporzuschießen wie eine Hopfenranke, so wären uns diese Gedanken gar nicht gekommen. Aber da sie nun ein so langes Kind ist ...«
»O Harro, Sie haben mir das Herz schwer gemacht. Sie haben ja recht. Aber meine arme Rosmarie!« – – –
Rosmarie soll nun eingesegnet werden. Es ist schon längst kein Zweifel mehr, wer die Erste ist. Auch wenn die Rosmarie keine Prinzessin wäre, das gibt sogar die Bubenbank zu. Der Herr Stiftsprediger hat eine eigene Art, ihren Namen aufzurufen und sie anzusehen, wenn sie spricht. Sie ahmt auch nicht mehr den Schulton nach, sie hat immer noch ihre hohe Kinderstimme, aber es lacht keines mehr über sie, obgleich sie nach Ansicht der Mädchenbank zuweilen die seltsamsten Sachen sagt. Der Herr Stiftsprediger scheint es aber nie sonderbar zu finden, sondern er nickt ihr zu:
»Das ist also Ihre Auffassung, Rosmarie.«
Doktors Elisabeth, die das Lehrerinnenexamen machen will und einen brennenden Ehrgeiz hat, sagt zu der kleinen dicken Berta Schlicht neben ihr: »Die Rosmarie hat immer eine ›Auffassung‹. Das kommt, weil sie vom Schloß ist: wenn ich oder du etwas sagen, dann ist's keine Auffassung, dann ist's falsch.«
Aber die kleine Dicke schüttelt den Kopf: »So ist der Herr Stiftsprediger nicht. Das ist dem einerlei, ob sie auch vom Schloß ist, aber weil es der Rosmarie immer so arg ernst ist, deshalb heißt's eine Auffassung.«
Frau von Hardenstein schaut manchmal mit fragenden Augen nach dem Kinde, wenn es über seinen Büchern so versunken dasitzt.
Und nun sollen morgen schon Fürst und Fürstin wiederkommen. Sie wollen vor der Einsegnung noch einige Zeit da sein, obgleich es noch rauh ist und kaum die ersten Schlehenbüsche ihr weißes Kleid angezogen haben. Harros Abreise ist auch schon nah herbeigekommen ... Rosmarie hat noch so viel zu denken über den kommenden großen Tag, daß ihr die traurige Tatsache, daß Harro den ganzen schönen Sommer nicht da sein wird, etwas verdeckt ist. Aber je näher der Tag heranrückt, desto bedrückter und stiller wird Rosmarie.
Ist es Harros Abreise oder greift sie der Unterricht zu sehr an, denkt Frau von Hardenstein. Eines Abends, als sie noch neben Rosmaries Bett sitzt, fragt sie sanft:
»So sagen Sie mir doch, liebes Kind, was Sie bedrückt.«
In Rosmaries Augen steigen Tränen.
»O Frau von Hardenstein, ich habe Kummer.«
»Sprechen Sie sich aus, es wird Ihnen leichter.«
»Ich, – o, ich ... man kann mir nicht helfen ... ich möchte nicht konfirmiert werden.«
Frau von Hardenstein schaut in sprachlosem Staunen auf das bitterlich weinende Kind.
»Aber ich höre doch immer mit solcher Freude, wie Herr Stiftsprediger Ihre innige Anteilnahme an allem bemerkt, und nun wollen Sie nicht konfirmiert werden! Sind Ihnen denn böse Zweifel gekommen ...« »Ich muß Dinge versprechen ... und wollte so gern und kann's doch nicht.«
»Ihr Gelübde macht Ihnen Kummer. – Ich finde auch, man verlangt viel von den jungen Herzen ... Ich werde morgen mit Ihrem gütigen Lehrer sprechen. Er wird herkommen, er hat es mir schon angeboten, und allein mit Ihnen reden ... Sie können sich ihm anvertrauen.«
»Wie kann ich das, – ich kann ihm doch nichts sagen ... Ich will, aber ich kann nicht ...«
Bitterliches Weinen und Schluchzen.
»Warum wollen Sie und können nicht –«
»Oh, wegen Harro.«
»Was hat denn Harro dabei zu tun? Harro sagt manchmal Dinge, die leichtfertig klingen, aber er würde gewiß in nichts Ihren frommen Glauben antasten!«
»Nein, das nicht ... Aber er will nicht tun, was Herr Stiftsprediger denkt, daß alle frommen Männer tun. Er will ganz allein für sich leben, und von Jesus spricht er nie ein Wort. Und wenn er ihn sehr liebte, würde er doch von ihm reden. Er sagt immer: ›Ich verstehe das nicht,‹ und: ›Das mußt du den Herrn Stiftsprediger fragen.‹ – Und wenn er immer nicht will, so zerreißt doch das goldene Band, mit dem Gott sein Herz angebunden hat an seinen Thron.«
»Mein liebes Kind, ich sehe nicht ein, was das mit Ihrer Konfirmation zu tun hat. Das kann sich ja alles ändern, wenn Harro eine liebe fromme Frau hat.«
»Ja, sehen Sie denn nicht, wie ich immer weiter von ihm weggehe –, bis er ganz allein ist! Ich bin bei denen, die auf dem Himmelsweg gehen, und er ist allein draußen ... Und wenn die Himmelstüre zugeht und er ... – ganz allein ... in der Dunkelheit.« Rosmaries zarter Körper zittert vor Weinen und Schluchzen... »Sein goldenes Band zerrissen ... Ich kann es nicht: ich muß bei ihm bleiben.«
»Rosmarie, weinen Sie nicht mehr. Warten Sie bis morgen. Morgen kommt Herr Stiftsprediger zu Ihnen, und Sie reden mit ihm. Aber nicht wahr, ich kann mich darauf verlassen – von Harro reden Sie nichts!«
»Aber Frau von Hardenstein, das wäre ja, als wollte ich Harro verklagen.«
»Nun schlafen Sie, Rosmarie, und hoffen Sie auf morgen.«
Der Herr Stiftsprediger sitzt Rosmarie gegenüber an dem alten runden Tisch, auf dem ein Schlehdornzweig steht, der die Luft mit seinem bittersüßen Duft erfüllt. Auf den Steinplatten des Lindenstamms liegt goldener Sonnenschein. Drüben über den Waldhöhen jagen weiße Wolkenfetzen über einen blauen Himmel. Manchmal fällt auch ein Wolkenschatten herein, dann erlischt das Gold СКАЧАТЬ