Es ist schon stockfinster, die Frau Försterin hält überselig zwei feine Blättchen in der Hand. – »Ach, schenken Sie uns doch wieder einmal die Ehre, Herr Graf!« Und Harro wandert den finstern weiten Weg wieder zurück, und so todmüde er ist, so spannt er sich doch noch eine Leinwand auf in den großen Rahmen, den ihm Märt gezimmert hat.
Noch im halben Dämmer und mit schmerzendem Kopfe steht er am andern Morgen davor und bewegt den Gedanken. Sage ich's nun dem Seelchen, daß ich ihr blaues Männlein gefunden habe, oder nicht? – Sie kam niemals in die Schreinerstube, die Frau Försterin entsetzte sich über seine Anfrage ... Da müßte sie sich doch schämen vor den Herrschaften: mit dem »wüsten Gruft«. Aber der Fürst soll es sicher erfahren, er wird des Kindes Fragen nicht vergessen haben. Und er beschließt, dem Fürsten es in der Form mitzuteilen: Schloß Schweigen habe ihm die Anregung zu einem neuen Bilde gegeben und er habe dabei eine Schnitzerei entdeckt, die sich auf den Namen des Schlosses beziehe ...
Und das Seelchen! Nein, er darf Frau von Hardenstein nicht in ihre pädagogischen Maximen hineingreifen ... Also erfährt das Seelchen nichts vom blauen Männlein. Und Harro geht auch nicht wieder nach Schweigen und malt sein Bild aus dem einzigen Eindruck heraus.
Und es wird ein stiller Winter, aber der Ruinengraf feiert doch wieder Weihnachten! Der Fürst hat sich zwar nicht gedacht, daß seine kleine Tochter immer noch allein bleiben sollte in Brauneck, nun sie wieder eine Mutter hat; aber kaum ist die Kleine in Berlin installiert, bekommen die Portierskinder in Palais Brauneck Diphtherie, und der schwer erschreckte Fürst flüchtet seine Kleine nach Brauneck. Und warum sollte sie nicht dableiben den Winter über, die Fürstin findet, daß dies alles so vereinfacht!
Zehntes Kapitel.
Orchideen
Die Fürstin ist strahlend von ihrer Kur zurückgekehrt, findet aber bald, daß das Leben auch im Sommer in Brauneck recht eintönig sei. Eine kleine Abwechslung verspricht es ja, daß der Thorsteiner in diesem Herbste ihr Porträt malen soll. Dem Fürsten eilt es wohl nicht sehr damit, aber die Fürstin schmollt und meint – ob man damit warten wolle, bis sie alt und häßlich und nur noch als spukende Ahnfrau zu gebrauchen sei? So hat sich der Fürst gefügt, und der lange Thorsteiner ist gebeten worden. Es liegt ihm aber nicht sehr viel daran, fürstlich brauneckscher Hofmaler zu werden, und er macht allerhand Einwände. Seine Zeit ist beschränkt und Porträts wohl gar nicht seine Stärke. Er fürchte, er verstehe es nicht, ein Repräsentationsbild, wie es das der Fürstin doch sein soll, zu malen. Er könne nur seinen Eindruck wiedergeben und fürchte, er könne nicht stilisieren. Darüber reden die Herren einmal, wie sie nach dem Diner in dem langen Rosengang auf- und abgehen. Es ist schon so düster, daß man nur die roten Punkte der beiden Zigarren sieht, die sich wie freundliche Glühwürmer auf- und abbewegen. »Das ist schon möglich, Graf Thorstein, daß Sie darin recht haben, das sind Künstlerbedenken, von denen ich nicht allzuviel verstehe. Nur das eine kann Sie vielleicht beruhigen, an ein Repräsentationsbild, für den Saal etwa, habe ich gar nicht gedacht. Es ist bei uns nicht Sitte, daß die Frauen gemalt würden, ehe sie den ersten Sohn hatten ... ich hatte auch gerne noch gewartet, aber ce que femme veut – Dieu veut. Sie wissen ja. Nehmen Sie ein Ovalformat, wie das Bild von meiner Schwester im grünen Zimmer.« Harro verspricht endlich, eine Skizze zu machen und, wenn sie der Fürstin gefalle, aber nur dann, sie auszuführen. Der Toilettenrat, den Harro mit der Fürstin abhält, ist schwierig und langwierig. Das grüne Jagdkleid mit den Lederaufschlägen und dem weichen Hütchen, wie Harro vorschlägt, ist der Fürstin zu einfach. Und dem ganzen Toilettenzauber von Madame Lenormand aus Wiesbaden steht Harro mit einer Verachtung gegenüber, die zu verhehlen er sich gar keine Mühe gibt. Die Fürstin hätte ein anderes Entgegenkommen von diesem noch so jungen und unbeweibten Malerkavalier erwartet, und es reizt sie, ein kleines ungefährliches Sommerspiel mit ihm zu treiben. Er kann ja nicht nur ablehnend sein, dieser Ruinengraf, das sieht man in seinem Verkehr mit der Kleinen, die durch ihn so entsetzlich verwöhnt und anspruchsvoll geworden ist. Und die Sache ist ja so ungefährlich ... und so unterhaltend in der endlosen Monotonie dieses Braunecker Sommeraufenthalts. Die Fürstin ist also gefügig, selbst in den Dingen, in die sie sonst keinen Eingriff duldet. Sie läßt sich ein rotes Damastkleid, das sie herzlich langweilig findet, anpreisen und willigt sogar ein, daß von der Taille der ganze reiche Garniturschmuck von Perlstickereien und Fransen verschwindet. Sie spricht sogar ganz verächtlich von dem Zeug, das alle Linien verzerre und verderbe. Aber zu weiteren Konzessionen – Harro möchte über den Ausschnitt einen schönen alten Venezianerspitzenkragen legen, ist sie nicht zu bewegen, sie weiß doch, welch wunderschönen Hals sie hat, wozu also den verdecken. Spitzenkragen trägt ja doch kein Mensch mehr. »Ich merke, Sie wollen eine Ahnfrau aus mir machen – alles, nur das nicht. Ich will einmal später die Leute nicht eingraulen helfen.«
Im großen Saal, wo die Beleuchtung am besten ist, wird das Atelier hergerichtet. Seelchen hat all diese Vorgänge mit dem brennendsten Interesse begleitet. Harro malen zu sehen, gehört zu ihren höchsten Lebensfreuden. Aber sie merkt bald, daß ihre Gegenwart bei den Sitzungen nicht gewünscht wird, und sie muß sich begnügen, das Bild in seinen Fortschritten allein zu betrachten. Wenn der Gong zum Diner ertönt und Mama in ihrer Pracht davon gerauscht ist und Harro seine Pinsel und Palette verwahrt, kommt sie hereingeschlüpft. Eine Einladung zum Diner nimmt er niemals an ... es nehme ihm zu viel Zeit.
»Nun kommt die hohe Kritik,« begrüßt er sie.
»O Harro, ich habe es kaum erwarten können.« Sie setzt sich auf die Stuhllehne, stützt ihre Ellbogen auf die Knie, die Hände in den goldenen Haarwellen vergraben, ein nachdenklicher kleiner Elf.
»Nun ... schieße los, ich bin auf alles gefaßt.«
»Harro, das Rot leuchtet schön, am schönsten in den Schatten.«
»Nun, ist das Kleid die Hauptsache?«
Seelchen nickt ernsthaft. »Man kann es meinen, Harro.«
»Donnerwetter ... Du wirst doch nicht wieder recht behalten. Du wirst schrecklich, Seelchen, wenn das so weitergeht mit deiner Neunmalklugheit ... das Rot ... es war gar zu schön ...«
Es fällt ihm ein, daß die Fürstin ihn schmollend gefragt hatte, ob sie ihre Kammerfrau in das Kleid stecken solle. Leise pfeifend steht er hinter dem Kind.
»Und was hast du noch zu sagen?«
»Daß es schön ist und ein böses Rot ist. Wenn ich einmal ein Puppentheater habe, will ich die bösen Königinnen so anziehen.«
»Prinzessin,« warnt Frau von Hardenstein, »was sagen Sie? Wenn Sie jemand hörte, böse Farben gibt es nicht.«
Harro pfeift schreckliche Dissonanzen: »Verschieb deine Kritik noch, Seelchen, bis Gesicht und Händen noch mehr ihr Recht geschieht ... ich habe mich in das Rot verliebt, es ist eine wundervolle Farbe, aber ein Toilettenstilleben soll es doch nicht werden.« – –
»Rosmarie, ist Graf Thorstein nicht da und malt? Warum bist du nicht dabei – du willst doch so gerne zusehen.«
»Mama hat es gar nicht gerne.«
»Hat sie dir's gesagt?« »Nein, aber das fühlt man doch. – Papa, ich fürchte, Harros СКАЧАТЬ