Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
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Читать онлайн книгу Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри страница 39

СКАЧАТЬ Weg zum Schloß hinunter. Die Mädchen haben wohl zum Teil einen andern Weg, aber ihre Bank begleitet sie immer bis zur Schloßbrücke. Weiter trauen sie sich nicht, denn da gehen schon die Schokoladefarbenen. Zuerst sprechen sie nichts miteinander. Rosmarie wagt nicht anzufangen und die andern auch nicht. Aber einmal ist Postmeisters Eugenie so freundlich und zeigt Rosmarie in der Stunde eine Bibelstelle, die in ihrer Bibel absolut nicht zu finden war. Und nun ist das Eis gebrochen. Auf dem Heimwege sprechen schon alle durcheinander wie die jungen Vögel. Die Zöpfe fliegen und die Röckchen, und die Zungen stehen keinen Augenblick still. Rosmarie sagt am wenigsten, aber sie lächelt zu dem, was die andern sagen, und hört so eifrig zu, als habe sie im Leben nie Interessanteres gehört, als daß Apothekers Julie den schlechtesten Aufsatz gemacht habe, und daß es bei Notars ein kleines Kind gebe. Ein Kinderwagen stehe schon im Hausflur, ganz weiß mit vergoldeten Knöpfen.

      Und eine ganz Kühne will wissen, ob es wahr sei, daß Rosmarie zum Frühstück immer Schokolade mit Schlagsahne und gefüllte Krapfen bekomme und jeden Tag alles frisch von Kopf bis zu Fuß anziehe. Zu der Schlagsahne will sich nun Rosmarie nicht bekennen, aber sie sagt errötend:

      »Man kann doch nur frische Wäsche tragen.«

      Rosmarie bemüht sich, ebenso mit den Zöpfen zu schlenkern und die Bücher hin und her zu schwingen wie die andern Mädchen. Wenn sie aber einen Spruch aufsagen soll, so grinsen die Buben und kichern die Mädchen. Es klingt so kurios. Als wollte sie zu singen anheben, und so hoch! komisch ist's. Rosmarie strengt sich sehr an, um den schulmäßigen Leierton, mit dem die andern aufsagen, herauszubringen. Als es ihr aber zum erstenmal gelungen ist, einen Spruch schier wie Postmeisters Eugenie herzusagen, da runzelt der Herr Stiftsprediger die Stirne und sagt:

      »Rosmarie, wo sind Ihre Gedanken? Sagen Sie erst wieder einen Spruch auf, wenn Sie auch etwas dabei denken wollen.«

      Rosmarie setzt sich glührot nieder, mit Mühe hält sie die Tränen zurück. Herrn Stiftsprediger zu erzürnen ist ihr furchtbar. Sie muß sich so bitterlich schämen, daß sie am Schluß nur nach ihrem Mantel greift, ihre Mütze vergißt und allen voranläuft in ihr bergendes Schloß. Und dreimal übergeht sie beim Aufsagen der Herr Stiftsprediger: welchen Schmerz er ihr damit bereitet, kann er freilich nicht wissen. Ihr Lehrer bekommt einen Platz in ihrem Herzen gar nicht so sehr weit unter Harro. Dem Thorsteiner wird es langweilig, immer nur von der Kirchenstube zu hören. Frau von Hardenstein bekommt den ganzen Unterricht zu Hause noch einmal erzählt, fast Wort für Wort, mit jedem Stirnrunzeln und Innehalten und wann Herr Stiftsprediger Rosmarie bei einer Stelle besonders angesehen hat. An Ostern ist leider der schöne Unterricht zu Ende. Apothekers Julie und Postmeisters Eugenie werden konfirmiert und Rosmarie wird im nächsten Jahr auf die erste Bank vorrücken. Wenn Rosmarie nicht eine Prinzessin wäre, so dürfte sie gewiß auch den Ofen schüren, meint die zweite Bank. Und dann ist alles, wie es vorher war. Rosmarie geht nicht mehr mit den Mädchen in Reihen über die Straße. Die grüßen sie scheu, und wenn sie mit Frau von Hardenstein bei ihnen stehen bleibt, so wissen sie nicht viel zu sagen.

      Papa kommt und später Mama, und die bringt eine Masse schöner Toiletten mit und eine französische Kammerfrau. Und einen ganzen Vetternschwarm. Kein Mensch kann mehr Vettern haben als Mama. Harro läßt sich gar nicht mehr blicken, so wenig freuen ihn die Vettern. Die auf die Jagd gehenden, die Klavier spielenden, die Scheiben schießenden, die mit dem Kodak herumlaufenden und knipsenden Vettern, sie freuen ihn alle gleich wenig. Zum Glück bleibt wenigstens der Lindenstamm, Rosmaries eigenstes Reich, vetternfrei. Papa hat Falten auf der Stirne und müde Augen. Aber als Mama in Bayreuth ist, werden doch ein paar Feste gefeiert, der Lilientag und eine wunderbare Ausgrabung seltsamer Altertümer auf der Römerwiese. Und zum erstenmal festet Papa mit, und zu Rosmaries größtem Erstaunen gehört er zu den Menschen, die Feste feiern können. – Wenn man ihn allein hat! –

      Im Herbst gehen Fürst und Fürstin nach Tirol auf die Gemsenjagd, und Harro ist auch eingeladen mitzugehen. Und er möchte sehr gern, kann aber die Einladung nicht annehmen, weil ein Hamburger Herr Fresken für seinen Saal bei ihm bestellt hat und er dorthin reisen muß. Und dann wird es wieder sehr still in Brauneck. Der Fürst hat gehofft, seine Tochter wenigstens bis Weihnachten bei sich haben zu dürfen, aber diese junge Dame hat plötzlich angefangen zu wachsen. In zwei Monaten ist sie eine Handbreit gewachsen, als der Fürst von Tirol wiederkommt, entsteht allgemeines Entsetzen. Mama will sich ausschütten vor Lachen. Rosmarie wird eine Riesendame, eine Riesendame mit Entenfüßen, wenn das so weiter geht.

      Der Herr Hofrat wird konsultiert und meint, es könne sein, daß sie nun ihre Höhe erreicht habe, verlangt aber Vorsicht und größte Schonung, weil das Herz doch nicht ebenso schnell mitwachse. Rosmarie bleibt also in Brauneck und kehrt sich leider nicht an Herrn Hofrats Ausspruch, sondern wächst ruhig weiter. Und nun beginnt der Unterricht wieder. Wer den Ofen füttern darf, gegen diese einst so brennende Frage ist Rosmarie äußerst kühl geworden. Sie erzählt auch nicht mehr den ganzen Unterricht mit jedem Stirnrunzeln und Aufseufzen des Herrn Stiftspredigers wieder, sie ist ganz still darüber.

      Harro ist wieder von Hamburg zurück und sehr beglückt über seinen Auftrag. »Das hebt den Bau bis zum ersten Stockwerk aus dem Boden, Seelchen.«

      Rosmarie macht eine kleine frostige Miene, die man noch nie an ihr gesehen hat. »Ich freue mich gar nicht, wenn du dem Hamburger die Wände malst. Wie darf der sagen: malen Sie mir meine Wände! – Du hast selbst bald Wände, die du malen kannst.«

      »Wo sind, bitte gefälligst, die Wände, die ich malen kann? Und haben vielleicht Euer Durchlaucht von einem gewissen Michel Angelo gehört, der auch Wände für Wochenlohn und freie Station gemalt haben soll?«

      Rosmarie wird dunkelrot. –

      »Ich mag doch den Hamburger nicht. Wenn es Bilder wären, – aber Wände, die kann man ihm nicht mehr nehmen.«

      »Wer wollte das? Dieser Hamburger ist ein feiner und großartiger Mensch. Der Festsaal, den ich malen soll, liegt über der Elbe, und man sieht die Schiffe durch die weiten Bogenfenster vorbeiziehen. Und er läßt mir jede Freiheit, nur möchte er meine Skizzen zuvor sehen. Wenn er das erste nicht gewährte, möchte ich nicht für ihn arbeiten: wenn er das zweite nicht verlangte, auch nicht.«

      »Wie lange wirst du in Hamburg sein?«

      »Wohl den ganzen nächsten Sommer. An Ostern gehe ich nach Paris, ich brauche einige Modellstudien.«

      »Ja, warum dorthin? Warum mußt du deine Modellstudien in Paris machen?«

      »Das muß ich, hier gibt es keine Modelle.«

      »Sind die Leute in Paris so viel schöner?«

      »Hier gibt sich niemand zum Modellstehen her, und wer hat denn von den Menschenkindern hier noch einen unverkrüppelten Körper?«

      »Harro, warum verkrüppelt man sich denn?«

      »Weil es für schön gilt.« »Harro, ist dieses Gesprächsthema so sehr passend?« warf Frau von Hardenstein ein. »Wichtig wäre es schon, Frau Mutter, aber möglicherweise unpassend. Übrigens bescheide ich mich, ich bin nur gefragt worden.«

      Aber Rosmarie ist ebenso hartnäckig wie früher.

      »Bin ich auch schon verkrüppelt?«

      »Du nicht, nein.«

      »Dann will ich es auch nicht werden.«

      Frau von Hardenstein erhob sich: »Harro, ich meine, wir gehen definitiv auf ein anderes Thema über; bitte, begleiten Sie mich ins Säulenheim, ich möchte Ihnen etwas zeigen, was mir meine Kinder geschickt haben. Rosmarie, ich glaube, Sie haben noch zu lernen.«

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