Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
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Читать онлайн книгу Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри страница 112

СКАЧАТЬ doch der Herr Hofrat käme, er hätte hier schlafen müssen, denkt er. Harro sieht auf seine Uhr und fängt an, in die Nacht hinaus zu horchen. Aber das ist ja Unsinn, sie sind eben erst dort fortgefahren.

      Und nun ist Rosmaries schönes Gesicht wieder ruhig. Ja sie lächelt ein wenig: »Nun ist's vorüber, Harro!«

      »Eine Ruhepause, Durchlaucht!«

      Rosmarie sieht scheu an der weißen Gestalt hinauf. Es ist ihr, als trüge die ihre Qualen mit sich und ließe die auf sie los. Ach, und die Pause ist nur kurz, und da ist wieder das Traumweib. Rosmarie sieht sie deutlich, wenn sie nur ein wenig die Augen schließt. Harro beißt die Zähne zusammen, und eine halbe Stunde später hat er keinen trockenen Faden mehr am Leibe. Und dem Wagen von Brauneck muß ein Unglück geschehen sein, daß er nicht kommt. Der Berlinerin traut er gar nichts mehr zu. Sie steht so unbewegt da. Und kann es denn sein, daß alle Uhren einmütig stehen geblieben sind?

      »Märt, renne auf die Halde hinüber und sieh, ob du noch keine Lichter vom Wagen siehst!«

      Märt sieht seinem Herrn in das verstörte Gesicht, und sein Unterkiefer beginnt zu zittern, die großen knochigen Hände schlagen wie Perpendikel zusammen. Dann läuft er davon, als ob das Leben an seiner Schnelligkeit hinge. Über die Halde braust der Märzenwind und heult und faucht aus der Reiherklinge herauf. Märt starrt in die Nacht, daß ihm die Augen flimmern. »Unser Vater im Himmel,« stammelt er. »O Gott, Zu gut ist's ihnen gegangen, wie die Engel im Himmel droben haben sie gelebt. Wenn jetzt nur ein kleines Unglück käme... So soll's nicht gehen in der Welt. – Wie zwei Tauben im Nest und alles noch dazu, was der Weltbrief ausweist. Aber nur, daß die Frau sterben nicht müßt. Ein kleines Unglück. Vater im Himmel, nur nicht das!«

      Endlich blitzt es auf der fernen dunkeln Berglinie auf. Einen Augenblick wartet er noch, bis er sich überzeugt hat, daß es zwei Lichter sind, dann rennt er zurück. Sein Herr steht barhäuptig im Schloßhof mit aufgerissener Weste, und durch den totenstillen Hof kommt ein Laut wie ein zusammengepreßtes Stöhnen. Und Harros eiserne Hände greifen nach Märts Arm und drücken ihn zusammen, bis der Laut im Brunnen verhallt. Dann hörte man Räder durch die stille Nacht.

      Endlich! Harro reißt den Schlag auf:

      »Herr Hofrat!«

      »Eilt es so, Herr Graf?«

      Gott, was ist der Mann langsam, bis er sich aus dem Wagen geschält hat.

      »Ich meine, Durchlaucht gehen ins Atelier,« befiehlt der Hofrat mit der größten Ruhe.

      Harro steht in seiner goldblitzenden Empfangshalle. Wie ihm das Gleißen und Glänzen heute weh tut. Auch all die Farben sollten den Atem anhalten und sich mit Grau bedecken. Und wie lange der Doktor braucht. Harro sieht sich genötigt, mit der Uhr in der Hand zu warten, denn schon wieder hat eine Minute sich zur Stunde gedehnt.

      Nun kommt der Herr Hofrat heraus und findet alles in bester Ordnung. Die Kollegin eine sehr tüchtige Person. Und es wird wohl noch einige Stunden gehen. Sagte das nicht die Berlinerin vor wie langer Zeit? »Gehen Sie jetzt hinein, Herr Graf, Ihre Durchlaucht hat jetzt Mut gefaßt, hat es sich zu einfach vorgestellt. Ja, mit dem Verschweigen! Es ist auch nicht immer das beste. Und ich weiß noch, wie man Ihre Durchlaucht behandeln muß.«

      Und der Hofrat knöpft ihm die Weste zu und bietet ihm ein Glas Champagner an und geht ins Atelier zu dem Fürsten hinüber. Harro wendet sich, da sieht er sein Spiegelbild. Nein, so darf sie ihn nicht sehen, jedes einzelne Haar sieht verzweifelt aus. Er stürzt schnell ein Glas Champagner hinunter, dann versucht er sein Bild im Spiegel noch einmal. Darauf geht er hinein.

      Die Kollegin steht unbeweglich wie eine Säule da, und Rosmaries gequälte Augen hängen an ihr mit ganz anderem Ausdruck wie zuvor. Und jetzt streckt sie ihre bebenden Hände nach ihm aus.

      »Harro, es ist alles gut so.«

      Und nun verzerrt ihr Gesicht wieder das Entsetzliche und wirft und schüttelt sie mit unsichtbaren Händen und läßt sie erst fallen, wie ihre Kraft erschöpft ist. Zwei, drei Atemzüge gönnt es ihr, und dann fängt das Spiel wieder an. Eine Stunde, zwei, drei Stunden, und dieser Doktor und die Kollegin sagen, es sei gut so. Harro ist einmal hinausgegangen, und Märt hat ihn am Brunnen aufgelesen. Und der geliebte Brunnen ist zu einem Becher geworden, aus dessen nachtschwarzem Grunde alles Weh der Welt klagt, und immer noch ist dem Grausen etwas von Süßigkeit beigemischt. Es ist immer noch ihre Stimme.

      Harro geht zu dem Fürsten ins Atelier und sagt:

      »Wenn ich zum Mörder werde –«

      Der Fürst ergreift ihn am Arm: »Komm zu dir, Harro, wenn die Nacht gut... Gott, daß man keine Gelübde mehr tun kann.«

      Harro lacht auf: »Gütige Mutter Natur!« Und wirft sich auf Rosmaries Stuhl. »Hast du es schon einmal gesehen, Vater?«

      Der Fürst nickt. »Es ist hart. Ein Fluch. Und es trifft sie so schuldlos. Meine arme Rosmarie! Sie war doch zu jung... Harro!«

      »Warum sagst du: war – Vater?« stöhnt Harro und geht wieder hinüber. Da ist eine leichte Veränderung in des Herrn Hofrats Gesicht, wie ein gespanntes Warten, nur die Kollegin bleibt sich gleich. Rosmarie liegt ganz regungslos da, das Gesicht ist verzerrt, fast nicht mehr kenntlich, die feinen Hände geballt. Und nun beginnt es wieder, das war nur ein schwaches Vorspiel bis jetzt gegen diesen Kampf, ihre Stimme ist's auch nicht mehr, es ist ein fremdes, wildes Tier, das da schreit, immer wieder. »Erbarme dich, erbarme dich!« Der Hofrat und die weiße Frau sind plötzlich Leben und Bewegung. Harro sieht mit den Augen eines Verdammten auf den schrecklichen, fremden Geist da vor ihm. Einen Stoß noch, und das ist das Ende. Da gleitet etwas wie eine Hand unsichtbar über die Stirne, die Augen, verschwunden das fremde Zerrbild. Sein Weib liegt vor ihm, ein Licht auf der reinen Stirne, in den großen klaren Augen eine fremde Schönheit.

      Seine Augen hängen an ihrem Antlitz. Ein kleines meckerndes Stimmchen hört er durch ein Brausen hindurch und des Doktors Stimme.

      »Ein Sohn, Herr Graf.«

      »Mein Kind,« flüstert sie, »oh, mein Kind, ich höre mein Kind.«

      Aber Harro sieht nicht nach dem zappelnden Wesen, das ihm der Doktor hinhält, nicht nach dem armen, entblößten und blutigen Leibe, nach dem Antlitz sieht er, als sähe er in den Himmel hinein. Sie lebt ja, und nun lächelt sie schon ein wenig, und ihre Augen verfolgen die Frau, die ihr Kind trägt. Ein grauer Morgenschein ist hereingebrochen, deutlich hört man den Jubelruf der Drossel von der Tanne aus am Bergfried und des Brunnens Antwort.

      Der Doktor packt ihn am Arme.

      »Gehen Sie zu dem Fürsten, Herr Graf, und lassen Sie uns Ihre Durchlaucht noch einen Augenblick. Nein, es geschieht ihr nichts mehr. Meine herzlichsten Glückwünsche. Sehr schnell und glücklich.«

      Aber Harro ist zu schwach, um sich selbst über diese Worte zu entrüsten. Einen Blick wirft er noch auf das rötlich gelbe zappelnde Wesen in seiner linnenen Umhüllung, dann hinüber. Der Fürst erhebt sich sehr hastig, aber Harro hat noch den Eindruck, als ob er auf den Knien gelegen wäre.

      »Ein Sohn,« sagt er und wird zum ersten Male in seinem Leben strack ohnmächtig. Zum Glück währt es nicht lange, und er kann seinen Schwiegervater in eine ihm im Augenblick ganz unerklärliche Freude ausbrechen sehen.

      »Ein Sohn, Harro, ein Sohn! und ganz glücklich gegangen!«

      »Schnell und glücklich.« knirscht Harro.

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