»Harro, ich konnte doch nur ohne dein Vorwissen gehen, und kann man das schreiben? Das ist doch unmöglich! Und Vater ahnte gleich, daß du mit mir unzufrieden sein würdest.«
Harro lachte sein schlimmstes, überlegenstes Lachen.
»So, ahnte ihm das. Schön von ihm. Sage, willst du um noch so guter Gründe willen mich wieder heimlich verlassen?« »Nie wieder!« verspricht die Rose, die schlimme Rose, und wird es doch wieder tun!
»Und nun besehen wir uns das Chaos, das du drüben angerichtet haben wirst.«
»Aber es ist ja gar keines mehr da.«
Harro wird ganz blaß, so Schlimmes ahnt ihm, – die Putzweiber! »Ich hätte gedacht, du werdest wenigstens einen Blick auf ihr verruchtes Treiben werfen, das hätte dir gezeigt, zu was allem diese Weiber fähig sind!«
Und Harro wandert, auf das Allerschlimmste gefaßt, hinter ihr drein. Eine kalte Wintersonne erfüllt den Raum, da stehen die wohlgeordneten Mappen, die Vorhänge von den Regalen sind zurückgezogen, daß man die Modelle und Schnitzereien sehen kann, der große Tisch trägt seine Stöße von Entwürfen, reinlich geschichtet. Neben der Schnitzbank steht ein Kasten, der die verschiedenen Materialien enthält, Silber, Perlmutterplättchen, Wachsklumpen. Einen ängstlichen Griff tut er in seine Modellsammlung, nein, die Sachen sind nicht mit der Wurzelbürste behandelt worden.
Ein tiefer Seufzer der Erleichterung! Dann fällt sein Blick auf die aufgeklebten Zettel, die in Rosmaries Handschrift das Inhaltsverzeichnis enthalten. Rosmarie steht hinter ihm mit bänglich gekrauster Stirn. Es ist ihr zumute wie bei dem einzigen Examen ihres Lebens.
»Rosmarie, das hätte ich mir nicht träumen lassen! Angefangen und ausgeführt! Ich erwartete einen Hilfeschrei!«
»O Harro,« sagt die hoffnungslose Schülerin ihrer Tante, »nun habe ich doch auch etwas für dich gearbeitet. Sie sagen im Hause, du seist einmal, wie du die Reliefs in der Tantenstube eingefügt habest, auf Spänen und Holzwolle, die da herumlagen, eingeschlafen, und am Morgen hätten sie dich so gefunden.«
»Wer schwatzt so unnötig?«
»Märt. Und ich weiß es schon lange, aber erst heute ist es in mir lebendig geworden. Und jetzt kommt mir mein Hochmut höchst lächerlich vor. Und du sollst nicht denken, daß ich sehr vergnügt bei den Mappen gewesen sei,« sagt sie aufrichtig. »Du bist ein großer Künstler und hast in dem Hause viel Knechtsarbeit getan.« Harro nimmt ihren Kopf zwischen seine Hände, daß sie ganz versinken in das köstliche Goldhaar.
»Närrchen du! Und im allerletzten, verborgensten Grund habe ich doch gehofft, du werdest die Arbeit tun, Rosmarie. Und ich träumte: Wenn sie es wirklich tut, werde ich ihr ein Krönchen schmieden in meinem Herzen. O du Prinzessin als Gänsemagd! Unter den Gänsen darfst du dir ohne zu großen Aufwand an Phantasie die Putzweiber vorstellen, die du hütest. Und nun komm und begrüße meinen Freund Hans Friedrich, der sich entsetzlich vor dir fürchtet. Und o Himmel, er hat allen Grund! Warum hast du dich eigentlich so überwältigend schön gemacht?«
Aber die Rose verrät nicht, warum. Sie gehen ins Frühstückszimmer, da ist für drei gedeckt, aber kein Hans Friedrich zu sehen.
»Nun, hat er denn keinen Hunger? Wir kamen sehr spät an und gingen von Kupferberg herüber, weil wir dich nicht mehr stören wollten. Und ich will nach ihm sehen, er versprach mir nicht sicher, ob ich ihn heute in seinem Bette finden würde.«
Harro eilte hinauf und fand seinen Freund nervös auf und ab gehend. Ein feiner dunkler Künstlerkopf mit wallender, wohl gepflegter Mähne saß auf sehr verkrümmten Schultern. Trotzdem lag eine gewisse leichte Eleganz in seinen Bewegungen, namentlich in seinen überaus charakteristischen und nervösen Händen mit schmalen Gelenken und Fingern, die ein Glied mehr zu besitzen schienen.
»Komm herunter, Hans, wir frühstücken.«
»Lieber Harro, du hast jedenfalls hundert dienstbare Sklaven in deinem Goldhaus, kann das nicht hier oben geschehen? Mit ganz leerem Magen ›Durchlaucht‹ zu sagen, ist eine Aufgabe, der ich mich nicht gewachsen fühle.«
»Dann laß es bleiben und sage: Guten Morgen, Frau Rosmarie. Sie wird das sehr originell und künstlermäßig finden.«
»Für einen frechen Jahrmarktmusiker wird sie mich halten.«
Harro lachte schallend. »Ich will dir einen Rat geben. Du machst's, wie wir es als ausgelassene Fähnriche zuweilen an alten Exzellenzen versuchten. Du beugst dich über ihre Hand und murmelst: Weiße Bohnen, blaue Bohnen! – Wie kannst du es verantworten, mich so lange hungern zu lassen?«
Hans Friedrich ergibt sich in sein Schicksal, und sie gehen die Treppe hinunter. Harro in entsetzlicher Eile. ^
»So halte doch, Harro, wir wollen doch nicht im Dauerlaufe ankommen.«
Harro dreht sich um:
»So, Hänschen, und nun: Halte dein Herz, o Wanderer, fest in gewaltigen Händen! Ich habe dich gewarnt.«
Eine Flut von Sonnenschein im Eßzimmer, und der Musiker sieht sich einer hohen, jungen Königin gegenüber, die ihm eine schmale Hand entgegenstreckt und mit weichster Stimme sagt: »Seien Sie herzlich willkommen, Herr Friedrich!«
Herr Friedrich kann nach ein paar Minuten konstatieren, daß alle Warnungen nichts gefruchtet haben und ihm sein armes Herz schon entglitten ist.
Er hat eine Erinnerung daran, daß er unheimlich starken Kaffee trinkt und viel zu viel davon, denn er muß doch den Genuß, sich von der jungen Königin die Tasse füllen zu lassen, wiederholen. Der Hausherr erzählt die gemeinsamen Taten, und Rosmarie fragt schüchtern, ob er glaube, daß das Chorwerk noch zu entziffern sei.
Hans Friedrich muß mit den ersten deutlichen Worten antworten. Ja, er hofft, er glaubt, das heißt, er zweifelt nicht. Ob es ausführbar sei, das sei wieder eine andere Sache. Aber ein Stück, das wird sich schon ermöglichen lassen.
»Wie wird mich das freuen!« ruft die junge Königin. Und an Hans Friedrichs Eifer wird es nicht fehlen. Und nun gehen sie ins Musikzimmer zu dem schönen Flügel, der bisher stumm geblieben ist, aber Harro will eine Berührung nicht dulden.
»Der Abend ist die Musikstunde... Da bin ich am offensten. Hans Friedrich steckt ohnedies morgens immer zu Hause. Er lebt eigentlich erst am Abend auf, aber dann zu gründlich. Ich habe mir vorgenommen, ihn hier etwas zu lüften, durch seine Hände kann man hindurchsehen. Rosmarie, ich schlage vor, ihr macht einen Gang durch die Reiherhalde oder den verlorenen Grund. Hast du übrigens schon den Wald an einem Wintermorgen gesehen, Hans? Rosmarie, du hast nie einen eingefleischteren Stubenhocker gekannt.«
Hans Friedrich kann sich mit dem besten Willen nicht erinnern, je an einem Wintermorgen im Wald gewesen zu sein.
»Ich kann euch nicht begleiten, ich muß etwas bei meinem Bilde nachsehen, und dabei kann ich niemand brauchen.«
Und Hans Friedrich und die junge Königin gehen unter den hohen Schwarztannen, die auf leicht bereiftem Moospolster stehen, das so köstlich weiche Wülste um die Wurzeln bildet, durch die anregende Luft, die das Blut so köstlich frisch macht und solch prickelndes Gefühl der Lebensfreude auf den Flügeln trägt. Hans Friedrich will es vorkommen, СКАЧАТЬ