Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский страница 131

Название: Gesammelte Werke von Dostojewski

Автор: Федор Достоевский

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027204205

isbn:

СКАЧАТЬ belästigen.

      V

      ›In der Tat, vor kurzer Zeit hatte ich wirklich noch vor, Rasumichin um Arbeit zu bitten. Er sollte mir Privatstunden oder sonst etwas verschaffen‹, überlegte Raskolnikow; ›aber womit kann er mir jetzt helfen? Angenommen, er verschafft mir Stunden, angenommen sogar, er teilt mit mir seine letzte Kopeke, wenn er noch eine hat, so daß ich sogar imstande bin, mir Stiefel zu kaufen und meinen Anzug ausbessern zu lassen, um zu den Privatstunden gehen zu können,… hm. Aber was dann weiter? Was kann ich mit so ein paar Groschen anfangen? Entspricht das etwa meinem jetzigen Bedürfnisse? Es ist rein lächerlich, daß ich jetzt zu Rasumichin gehen wollte.‹

      Die Frage, warum er jetzt zu Rasumichin gehen wollte, regte ihn in Wirklichkeit mehr auf, als er selbst glaubte; voll Unruhe suchte er irgendwelchen für ihn unheilverkündenden tieferen Sinn in diesem anscheinend ganz gewöhnlichen Vorhaben.

      ›Wollte ich denn die ganze Angelegenheit einzig und allein durch Rasumichins Beihilfe in Ordnung bringen, und glaubte ich, bei Rasumichin Rettung aus aller Not zu finden?‹ fragte er sich verwundert.

      Er sann nach und rieb sich die Stirn, und – seltsam! – ganz unvermutet, plötzlich und fast von selbst kam ihm nach langer Überlegung ein sonderbarer Gedanke.

      ›Hm… zu Rasumichin‹, sagte er im Tone einer endgültigen Entscheidung vor sich hin und fühlte sich auf einmal völlig ruhig, ›zu Rasumichin werde ich gehen, bestimmt, … aber nicht jetzt gleich. Ich will zu ihm hingehen am Tage nach der betreffenden Sache, wenn die bereits erledigt ist und mein ganzes Leben einen neuen Anfang nimmt.‹

      Und auf einmal kam er zur Besinnung.

      »Nach der betreffenden Sache!« rief er und sprang von der Bank auf. »Aber wird die denn stattfinden? Wird sie wirklich stattfinden?«

      Er verließ die Bank und ging weiter, er lief beinahe. Er war schon im Begriff, umzukehren und nach Hause zu gehen; aber hiergegen stieg ihm ein furchtbarer Ekel auf: dort, in jenem gräßlichen, schrankartigen Kämmerchen, war schon seit mehr als einem Monat dieser ganze Plan in seinem Gehirne herangereift – und er ging immer geradeaus weiter.

      Sein nervöses Zittern ging in ein fieberhaftes über; er empfand sogar ein Frösteln; bei dieser Hitze fror ihn! Mit großer Anstrengung begann er, fast ohne sich dessen bewußt zu sein, einem inneren Zwange gehorchend, alle Gegenstände, an denen er vorbeikam, zu betrachten, als suche er sich gewaltsam zu zerstreuen; aber das gelang ihm nur schlecht, und er geriet alle Augenblicke von neuem in seine Grübeleien. Wenn er aber dann wieder zusammenfuhr, den Kopf hob und um sich blickte, so hatte er sofort vergessen, woran er eben gedacht hatte, und sogar, wo er ging. Auf diese Weise durchquerte er die ganze Wassilij-Insel, gelangte dann an die Kleine Newa, überschritt die Brücke und wandte sich den Ostrowa, den »Inseln«, zu. Das grüne Laub und die frische Luft taten anfangs seinen müden Augen wohl, die an den Straßenstaub, den Dunst des Kalks und die gewaltigen, beengenden und erdrückenden Häuser gewöhnt waren. Hier gab es keine dumpfe Luft, keinen üblen Geruch, keine Kneipen. Aber bald gingen auch diese angenehmen Empfindungen in krankhafte, aufregende über. Manchmal blieb er vor einer ganz im Grünen liegenden Villa stehen, blickte durch den Zaun und sah von weitem auf den Balkonen und Terrassen elegant gekleidete Frauen und in den Gärten herumlaufende Kinder. Besonders fesselten seine Aufmerksamkeit die Blumen; diese betrachtete er am längsten. Es begegneten ihm auch glänzende Karossen, Reiter und Reiterinnen; er verfolgte sie voll Interesse mit den Blicken, hatte sie aber vergessen, noch ehe sie seinen Augen entschwunden waren. Einmal blieb er stehen und überzählte sein Geld; er hatte noch etwa dreißig Kopeken übrig: ›Zwanzig dem Schutzmann, drei an Nastasja für den Brief; also habe ich bei Marmeladows gestern siebenundvierzig bis fünfzig Kopeken hingelegt‹, dachte er, indem er zu irgendwelchem Zwecke nachrechnete; aber gleich darauf hatte er schon vergessen, warum er das Geld überhaupt aus der Tasche geholt hatte. Er erinnerte sich wieder daran, als er an einer Garküche vorbeikam, und fühlte, daß er Hunger hatte. Er ging hinein, trank ein Glas Schnaps und ließ sich einen Pirog mit irgendwelchem Füllsel darin geben; zu Ende aß er ihn erst, während er schon wieder weiterging. Er hatte sehr lange keinen Branntwein genossen und so spürte er denn jetzt sofort die Wirkung, wiewohl er nur ein Glas getrunken hatte. Die Beine wurden ihm auf einmal schwer, und er empfand ein starkes Bedürfnis nach Schlaf. Er machte sich auf den Heimweg; aber als er schon bis zur Petrowskij-Insel gekommen war, blieb er vollständig erschöpft stehen, bog vom Wege seitwärts ab, ging in ein Gebüsch, ließ sich auf das Gras sinken und schlief in demselben Augenblicke ein.

      Bei krankhaften Zuständen zeichnen sich die Träume oft durch ungemeine Lebhaftigkeit, Klarheit und außerordentliche Ähnlichkeit mit der Wirklichkeit aus. Der eigentliche Gegenstand des Traumes ist dabei manchmal ganz ungeheuerlich, die näheren Umstände aber und die ganze Art, wie sich der Hergang abspielt, so wahrscheinlich und mit so feinen, überraschenden, aber künstlerisch zu dem Gesamtbilde durchaus passenden Einzelheiten ausgestattet, daß der Träumende im wachen Zustande, und wenn er ein Dichter wie Puschkin oder Turgenjew wäre, sie nicht ersinnen könnte. Solche krankhaften Träume haften immer lange im Gedächtnis und wirken stark auf den gestörten und schon erregten Organismus des Menschen.

      Raskolnikow hatte einen furchtbaren Traum. Er träumte von seiner Kindheit, wo er noch in seinem Heimatstädtchen lebte. Er ist sieben Jahre alt und geht an einem Feiertage gegen Abend mit seinem Vater vor der Stadt spazieren. Es ist trübes Wetter, ein schwüler Tag; die Örtlichkeit ist genau dieselbe, wie sie sich in seinem Gedächtnisse erhalten hat; sie ist sogar in seinem Gedächtnisse lange nicht so scharf umrissen, wie sie ihm jetzt im Traume erscheint. Das Städtchen steht deutlich vor ihm da, zum Greifen nahe; ringsum auch nicht ein Weidenbaum; irgendwo, in sehr weiter Ferne, ganz am Horizonte, sieht man die dunkle Silhouette eines Wäldchens. Einige Schritte von dem letzten zur Stadt gehörigen Gemüsegarten entfernt steht eine Schenke, eine große Schenke, die auf ihn stets einen unangenehmen Eindruck gemacht, ja, ihm sogar Furcht eingeflößt hatte, wenn er mit seinem Vater auf dem Spaziergange daran vorbeigekommen war. Dort war immer ein großer Haufen von Menschen, die so entsetzlich schrien, lachten, schimpften, so unanständig und heiser sangen und sich so oft prügelten; in der Umgebung dieser Kneipe trieben sich immer betrunkene Kerle mit greulichen Gesichtern umher. Wenn sie ihnen begegneten, drückte er sich dicht an den Vater und zitterte am ganzen Leibe. Bei der Schenke führt ein Fahrweg vorbei, die Verbindungsstraße zum nächsten Dorf, die immer staubig ist, und der Staub auf dieser Straße ist immer ganz schwarz. Der Weg zieht sich in mehrfachen Windungen weiter und biegt nach ungefähr dreihundert Schritten rechts um den städtischen Kirchhof herum. Mitten auf dem Kirchhofe steht eine steinerne Kirche mit grüner Kuppel; in diese Kirche ging er ein paarmal im Jahre mit seinem Vater und seiner Mutter zum Hochamt, wenn für seine Großmutter, die schon vor sehr langer Zeit gestorben war, so daß er sie nicht mehr gekannt hatte, die Totenmesse gehalten wurde. Dann nahmen sie jedesmal Kutja auf einer weißen Schüssel, in einer Serviette, mit; die Kutja war aus Reis, mit Zucker und Rosinen, und die Rosinen waren oben in den Reis in Form eines Kreuzes hineingedrückt. Er hatte diese Kirche gern und auch die alten Heiligenbilder darin, die größtenteils keine Einfassung hatten, und auch den alten Geistlichen, der immer so mit dem Kopfe wackelte. Neben dem Grabhügel seiner Großmutter, auf dem ein Leichenstein lag, war auch das kleine Grab seines jüngeren Bruders, der im Alter von sechs Monaten gestorben war; auch diesen hatte er eigentlich nicht gekannt und konnte sich seiner nicht erinnern. Aber es war ihm gesagt worden, daß er einen kleinen Bruder gehabt habe, und jedesmal, wenn er den Kirchhof besuchte, bekreuzigte er sich fromm und ehrfürchtig über dem kleinen Grabe, verneigte sich gegen dasselbe und küßte es. Und nun träumt ihm: er geht mit dem Vater auf der Landstraße nach dem Kirchhofe, und sie kommen bei der Schenke vorbei; er hat den Vater an der Hand gefaßt und blickt angstvoll nach der Schenke hin. Ein besonderer Umstand fesselt seine Aufmerksamkeit: heute scheint hier ein Volksvergnügen stattzufinden; da drängt sich ein dichter Menschenhaufe, aus geputzten Bürger-und Bauersfrauen, ihren Männern und allerlei Gesindel bestehend. Alle sind betrunken, alle singen Lieder, und vor der Tür der Schenke steht ein Wagen, aber ein seltsamer Wagen. Es ist einer jener großen Wagen, vor СКАЧАТЬ