Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский
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Название: Gesammelte Werke von Dostojewski

Автор: Федор Достоевский

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027204205

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СКАЧАТЬ Sie war ein großes, plumpes, schüchternes und bescheidenes Mädchen, fast schwachsinnig, fünfunddreißig Jahre alt; sie lebte bei ihrer Schwester in richtiger Sklaverei, arbeitete für sie Tag und Nacht, zitterte vor ihr und ließ es sich sogar gefallen, daß diese sie schlug. Sie stand überlegend mit einem Bündel in der Hand vor dem Händler und seiner Frau und hörte ihnen aufmerksam zu. Die beiden setzten ihr etwas mit besonderem Eifer auseinander. Als Raskolnikow auf einmal Lisaweta erblickte, überkam ihn ein seltsames Gefühl, eine Art tiefen Staunens, obgleich an dieser Begegnung eigentlich nichts Erstaunliches war.

      »Sie sollten mit den Leuten selber mal reden und sich danach entscheiden, Lisaweta Iwanowna«, sagte der Händler laut. »Kommen Sie morgen zu uns, so gegen sieben Uhr. Die andern werden auch herkommen.«

      »Morgen?« antwortete Lisaweta gedehnt und zögernd, als ob sie sich nicht entschließen könne.

      »Sie haben viel zuviel Angst vor Aljona Iwanowna!« schwadronierte die Frau des Händlers, ein resolutes Weib. »Wenn man Sie so ansieht – ganz wie ein kleines Kind. Und dabei ist sie nicht einmal Ihre richtige Schwester, sondern nur Ihre Stiefschwester, und was hat sie sich für eine Herrschaft über Sie angemaßt!«

      »Ich möchte Ihnen raten«, unterbrach sie der Mann, »sagen Sie Ihrer Schwester diesmal doch nichts davon; sondern kommen Sie zu uns, ohne sie erst zu fragen. Es ist ein vorteilhaftes Geschäft. Nachher wird es Ihre Schwester selbst finden.«

      »Dann soll ich also herkommen?«

      »Morgen um sieben; und von denen werden auch welche hier sein. Dann können Sie persönlich die Sache ins reine bringen.«

      »Tee wollen wir auch machen«, fügte die Frau hinzu.

      »Nun gut, ich werde kommen«, erwiderte Lisaweta, immer noch überlegend, und schickte sich langsam an fortzugehen.

      Raskolnikow war nun schon an ihnen vorbei und hörte nichts mehr. Er war sachte und unauffällig vorbeigegangen, bemüht, kein Wort von dem Gespräche sich entgehen zu lassen. Sein anfängliches Staunen ging allmählich in Schrecken über, und Kälte lief ihm über den Rücken. Er hatte erfahren, plötzlich und ganz unerwartet erfahren, daß morgen, genau um sieben Uhr abends, Lisaweta, die Schwester der Alten und deren einzige Wohnungsgenossin, nicht zu Hause sein werde und daß also die Alte genau um sieben Uhr abends allein zu Hause war.

      Bis zu seiner Wohnung hatte er nur noch wenige Schritte zu gehen. Er kam nach Hause wie ein zum Tode Verurteilter. Er überlegte nichts und war auch völlig außerstande, etwas zu überlegen; aber in seinem ganzen innersten Wesen fühlte er plötzlich, daß er jetzt keine Freiheit der Überlegung, keinen eigenen Willen mehr besitze und daß auf einmal alles endgültig entschieden sei.

      Gewiß: wenn er auch jahrelang auf einen günstigen Zufall hätte warten wollen, so wäre doch nicht mit Sicherheit auf eine bessere Chance für das Gelingen seines Planes zu rechnen gewesen, als diese war, die sich ihm soeben auf einmal darbot. Jedenfalls würde es schwer sein, einen Tag vorher zuverlässig, mit größter Genauigkeit und geringstem Risiko, ohne gefährliche Befragungen und Nachforschungen, in Erfahrung zu bringen, daß am andern Tage um soundso viel Uhr das und das alte Weib, auf das man einen Anschlag plant, mutterseelenallein zu Hause sein wird.

      VI

      In späterer Zeit erfuhr Raskolnikow zufällig, weshalb der Händler und seine Frau eigentlich Lisaweta zu sich eingeladen hatten. Der Anlaß war ein ganz gewöhnlicher gewesen, der nicht das geringste Absonderliche an sich hatte. Eine von außen zugezogene verarmte Familie wollte ihre Sachen verkaufen, Kleidungsstücke und dergleichen, lauter Frauensachen. Da es unvorteilhaft war, diesen Verkauf auf dem Markte zu bewerkstelligen, so suchten sie eine Zwischenhändlerin. Lisaweta aber gab sich mit dergleichen Geschäften ab: sie übernahm Kommissionen, machte Gänge in Geschäftsangelegenheiten und hatte eine recht bedeutende Praxis, weil sie sehr ehrlich war und immer gleich den äußersten Preis bot; wenn sie einen Preis genannt hatte, dann blieb es auch dabei. Sie redete überhaupt nur wenig und war, wie bereits gesagt, schüchtern und schreckhaft.

      Aber Raskolnikow war in der letzten Zeit abergläubisch geworden. Spuren dieses Aberglaubens blieben bei ihm in der Folgezeit noch lange haften und schienen fast unvertilgbar. Er neigte später immer dazu, in dieser ganzen Angelegenheit etwas Mystisches, Geheimnisvolles, das Walten besonderer Einwirkungen und zusammentreffender Zufälle zu sehen. Es war noch Winter gewesen, da hatte ihm ein Bekannter, der Student Pokorew, vor seiner Abreise nach Charkow gelegentlich im Gespräche die Adresse der alten Aljona Iwanowna mitgeteilt, für den Fall, daß er in die Lage käme, etwas zu versetzen. Lange brauchte er nicht von dieser Adresse Gebrauch zu machen, weil er Privatstunden hatte und sich auf diese Art so leidlich durchschlug. Vor anderthalb Monaten hatte er sich der Adresse erinnert; er besaß zwei Gegenstände, die sich zum Versetzen eigneten: eine alte silberne Uhr, die noch von seinem Vater stammte, und einen kleinen goldenen Ring mit drei roten Steinchen, den ihm seine Schwester beim Abschiede als Andenken geschenkt hatte. Er entschied sich dafür, den Ring hinzutragen; als er die Alte gefunden hatte, empfand er gleich beim ersten Blick, noch ehe er etwas Näheres von ihr wußte, einen unbezwingbaren Widerwillen gegen sie, nahm die zwei »Scheinehen«, die sie ihm gab, und kehrte auf dem Heimwege in ein geringes Restaurant ein. Da bestellte er sich Tee, setzte sich hin und überließ sich einem angestrengten Nachdenken. Ein seltsamer Gedanke arbeitete sich in seinem Kopfe hervor, wie ein Küchlein sich aus der Eierschale herauspickt, und beschäftigte ihn ganz außerordentlich lebhaft.

      An einem andern Tischchen in seiner nächsten Nähe saßen ein Student, den er nicht kannte und den er sich nicht erinnerte jemals gesehen zu haben, sowie ein junger Offizier. Sie hatten Billard gespielt und tranken jetzt Tee. Auf einmal hörte Raskolnikow, daß der Student mit dem Offizier über eine Pfandleiherin Aljona Iwanowna, die Witwe eines Kollegienregistrators, sprach und ihm ihre Adresse mitteilte. Dies allein schon kam dem zuhörenden Raskolnikow merkwürdig vor: eben erst kam er von dort her, und nun wurde hier gerade von ihr geredet. Er sagte sich natürlich selbst, daß es ein zufälliges Zusammentreffen sei, konnte aber trotzdem eine ganz eigenartige Empfindung nicht loswerden. Und nun war’s, als ob es jemand ausdrücklich darauf anlegte, ihm eine Gefälligkeit zu erweisen: der Student begann seinem Bekannten allerlei Einzelheiten von dieser Aljona Iwanowna zu erzählen.

      »Famoses Frauenzimmer«, sagte er. »Von der kriegt man immer Geld. Sie ist reich wie ein Jude; sie kann auf einen Schlag fünftausend Rubel auszahlen, verschmäht aber auch ein Pfand nicht, wenn es nur einen Rubel wert ist. Von uns Studenten sind schon viele bei ihr gewesen. Aber sie ist ein nichtswürdiges Luder …«

      Und nun erzählte er, wie boshaft und schikanös sie sei, und daß das Pfand verfallen sei, wenn man sich mit der Einlösung auch nur um einen einzigen Tag verspäte. Sie gebe nur den vierten Teil des wahren Wertes, nehme fünf, ja sieben Prozent monatlich usw. Der Student kam dabei ins Reden und teilte noch weiter mit, die Alte habe eine Schwester, namens Lisaweta, die sich von ihr, dieser winzigen, garstigen Person, fortwährend schlagen lasse und von ihr in völliger Dienstbarkeit, wie ein kleines Kind, gehalten werde, obwohl Lisaweta von recht stattlicher Größe sei.

      »Ja, die ist auch ein ganz sonderbarer Vogel!« rief der Student lachend.

      Nun fingen sie an, von Lisaweta zu sprechen. Der Student erzählte von ihr mit ganz besonderem Behagen und lachte dabei fortwährend; der Offizier hörte mit großem Interesse zu und bat den Studenten, er möchte diese Lisaweta doch einmal zu ihm schicken; sie solle ihm die Wäsche ausbessern. Raskolnikow ließ sich kein Wort entgehen und erfuhr so mit einem Male alles mögliche: Lisaweta war die jüngere von beiden, eine Stiefschwester der Alten (von andrer Mutter), bereits fünfunddreißig Jahre alt. Sie arbeitete für die Schwester Tag und Nacht, diente im Haushalte als Köchin und Waschfrau, nähte außerdem für Geld, scheuerte in andern Häusern für Lohn und lieferte alles, was sie einnahm, der Schwester ab. Keinen einzigen Auftrag und keine Arbeit wagte sie ohne Erlaubnis der Alten anzunehmen. СКАЧАТЬ