Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль
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Название: Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher

Автор: Стендаль

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788026824862

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СКАЧАТЬ führen sollte. Diese Maßnahme klärte den Marquis über den Stand seiner eigenen Angelegenheiten derart auf, daß er sich das Vergnügen machen konnte, zwei oder drei neue Spekulationen zu unternehmen, ohne dabei einen Vermittler nötig zu haben, der ihn nur betrog.

      »Nehmen Sie dreitausend Franken für sich«, sagte er eines Tages zu seinem jungen Sekretär.

      »Exzellenz, man könnte mich verdächtigen!«

      »Was soll das heißen?« fragte der Marquis mißlaunig.

      »Daß ich Eure Exzellenz ganz gehorsamst bitte, gütigst die dreitausend Franken eigenhändig als an mich geschenkt hier in dieses Buch eintragen zu wollen. Übrigens ist Abbé Pirard der eigentliche Veranlasser dieses neuen Rechnungswesens.«

      Der Marquis erfüllte Julians Begehr sichtlich gelangweilt.

      Abends, wenn Julian im blauen Rock erschien, war niemals von Geschäften die Rede. Die Gunstbeweise des Marquis waren so schmeichelhaft für Julians stets leidende Eigenliebe, daß er bald gegen seinen Willen eine gewisse Zuneigung für den liebenswürdigen alten Herrn empfand. Julian war nicht gefühlvoll, wie man so sagt, aber er war auch kein Unmensch. Hatte doch seit dem Tode des alten Stabsarztes niemand so gütig mit ihm gesprochen. Zu seinem Erstaunen bemerkte er, daß der Marquis seine Eigenliebe aus Höflichkeit schonte, was der alte Feldscher niemals getan hatte. Auch erkannte er, daß der Stabsarzt stolzer auf sein schlichtes Kriegskreuz gewesen war als der Marquis auf sein breites blaues Ordensband. Leicht erklärlich: der Vater des Marquis war ein Grandseigneur.

      Eines Tages, nach dem geschäftlichen Vormittagsvortrag im schwarzen Anzug, unterhielt Julian den Marquis so gut, daß er ihn zwei Stunden lang zurückhielt und ihm durchaus einige Banknoten aufdrängen wollte, die ihm sein Agent von der Börse mitgebracht hatte.

      »Euer Exzellenz, ich hoffe, daß es nicht gegen den tiefen Respekt verstößt, den ich Eurer Exzellenz schulde, wenn ich untertänigst bitte, mir ein Wort zu erlauben.«

      »Ich bitte, Verehrter!«

      »Wollen Eure Exzellenz mir gnädigst erlauben, daß ich dies Geschenk ausschlage. Mir im schwarzen Rock gilt es nicht, und doch würde es zweifellos die Art und Weise beeinträchtigen, die Eure Exzellenz mir im blauen Rock allergütigst zugestanden haben.«

      Damit verbeugte er sich ehrerbietigst und ging hinaus, ohne sich umzusehen.

      Dieser Zug belustigte den Marquis. Er erzählte ihn am Abend dem Abbé Pirard.

      »Ich muß Ihnen endlich etwas gestehen, mein lieber Abbé. Mir ist nämlich Julians Herkunft bekannt. Ich ermächtige Sie, diese vertrauliche Mitteilung nicht geheimzuhalten.« Bei sich dachte La Mole: »Julians Verhalten heute vormittag war das eines Edelmannes. Machen wir ihn zum Edelmanne!«

      Nach einiger Zeit konnte der Marquis endlich wieder ausgehen.

      »Sie müssen auf zwei Monate nach London«, sagte er zu Julian.

      »Die Briefe, die hier eingehen, werden Ihnen mit meinen Bemerkungen versehen, expreß oder mit gewöhnlicher Post nachgesandt. Sie schreiben die Antworten und schicken mir alles zurück, immer Brief und Antwort zusammen. Ich habe mir ausgerechnet, daß der dadurch entstehende Zeitverlust nur fünf Tage betragen kann.«

      Während Julian in der Eilpost die Straße nach Calais dahinfuhr, fiel es ihm auf, daß die Geschäfte, derentwegen er über den Kanal geschickt wurde, eigentlich recht unbedeutend waren.

      Es braucht nicht besonders gesagt zu werden, mit welchem Gefühl von Haß, ja fast Abscheu Julian Englands Boden betrat. Daran war seine wahnsinnige Leidenschaft für Bonaparte schuld. Er sah in jedem Offizier einen Sir Hudson Lowe, in jedem vornehmen Herrn einen Lord Bathurst, den Anstifter der Schändlichkeiten auf Sankt Helena, der zur Belohnung dafür zehn Jahre lang ein Ministerportefeuille innehatte.

      In London kam er in eine Hochschule des Dandytums. Er lernte etliche junge russische Edelleute kennen und befreundete sich mit ihnen. Sie weihten ihn in die letzten Geheimnisse der Lebenskunst ein.

      »Sie haben geniale Anlagen, mein lieber Sorel«, sagte man ihm. »Sie haben von Natur jenes eiskalte Benehmen, das einem vom ersten Augenblick zuruft: ›Bitte, zehn Schritt vom Leibe! ‹ Mancher erreicht das erst nach mühevoller Selbstschulung.« »Das neunzehnte Jahrhundert haben Sie aber noch nicht recht begriffen«, erklärte ihm Fürst Korasoff. »Tun Sie immer das Gegenteil von dem, was man von Ihnen erwartet! Ich gebe Ihnen mein Wort: Damit kommen Sie heutzutage am weitesten. Seien Sie weder überspannt noch unnatürlich! Sonst erwartet man von Ihnen Narrheiten oder Zierereien, und dann ist das ganze Rezept hinfällig.«

      Julian bedeckte sich eines Tages mit Ruhm im Salon des Herzogs von Fitze-Folke, der ihn zusammen mit dem Fürsten Korasoff zum Diner eingeladen hatte. Man mußte eine Stunde lang warten. Die Art, wie sich Julian inmitten von zwanzig Geduldigen benahm, bildete noch lange das Gespräch der jungen Diplomaten Londons. Seine Miene war unbezahlbar.

      Obwohl ihm seine Freunde, die Dandys, davon abredeten, bestand Julian darauf, den berühmten Philipp Vane zu sehen, den einzigen Philosophen, den England seit Locke gehabt hat. Julian besuchte ihn, als gerade das siebente Jahr seiner Gefangenschaft zu Ende war. »Die Aristokratie läßt in England nicht mit sich spaßen!« dachte er bei sich. »Mehr noch! Vane ist entehrt, verächtlich gemacht…«

      Er fand Vane gesund und munter. Die Wut der Aristokraten hatte ihm den Humor erhalten. Als Julian das Gefängnis wieder verließ, meinte er: »Das ist der einzige fröhliche Mensch, den ich in England gesehen habe!«

      Vane hatte unter anderem zu ihm gesagt: »Das Despotentum hat keine besseren Helfershelfer als den Gottesbegriff…«

      Genug! Er war Zyniker.

      Bei seiner Rückkehr fragte ihn Herr von La Mole: »Welche ergötzliche Charakteristik bringen Sie mir aus England mit?«

      Julian schwieg.

      »Welche Charakteristik bringen Sie mit, gleichviel ob ergötzlich oder nicht?« wiederholte der Marquis lebhaft.

      »Erstens«, begann Julian, »der vernünftigste Engländer ist eine Stunde am Tage verrückt. Er wird vom Dämon des Selbstmordes geplagt, dem eigentlichen Gotte des Landes. Zweitens: Geist und Genie verlieren fünfundzwanzig Prozent ihres Wertes, wenn man sie nach England exportiert. Und drittens: nichts auf der Welt ist so schön, wunderbar und rührend wie die englische Landschaft.«

      »Nun will ich Ihnen einmal was sagen«, erwiderte der Marquis. »Erstens, warum haben Sie auf dem Ball beim russischen Botschafter gesagt, daß es in Frankreich dreimalhunderttausend junge Leute von fünfundzwanzig Jahren gäbe, die leidenschaftlich den Krieg herbeiwünschten? Glauben Sie, daß Monarchen derlei gerne hören?«

      »Man weiß nicht, was man mit unsern großen Diplomaten reden soll«, antwortete Julian. »Sie haben die Manie, ernsthafte Diskussionen zu führen. Wenn man sich nun an die Gemeinplätze der Zeitungen hält, so gilt man für geistlos. Erlaubt man sich aber etwas Wahres und Neues, dann sind sie erstaunt, und am andern Morgen um sieben Uhr lassen sie einem durch den ersten Botschaftssekretär sagen, daß man sich unpassend benommen habe.«

      »Nicht übel!« lachte der Marquis. »Übrigens wette ich, Herr Psycholog, daß Sie nicht erraten haben, weswegen Sie eigentlich in England gewesen sind.«

      »Verzeihen Euer Exzellenz«, erwiderte Julian, »ich bin dort gewesen, um einmal wöchentlich bei Seiner Majestät Botschafter zu dinieren, dem höflichsten Menschen auf Gottes Erdboden…«

      »Sie sind dort gewesen, um sich diesen Orden zu СКАЧАТЬ