Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher - Стендаль страница 67

Название: Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher

Автор: Стендаль

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788026824862

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СКАЧАТЬ Zettel ersetzen zu lassen, die einen brauchbareren Namen trugen. Dieses entscheidende Manöver war von einigen Wählern bemerkt worden, die sich beeilten, dem Baron von Tolly zu gratulieren. Der Biedermann war noch ganz blaß von dieser Staatsaktion. Böse Menschen hatten das Wort Zuchthaus fallen lassen. Herr von La Mole empfing ihn kalt, und der arme Baron empfahl sich wieder.

      »Er hat es eilig. Wer weiß, zu welcher Zaubersoiree er geht!« witzelte Graf Chalvet, und alles lachte.

      Unter etlichen stummen Würdenträgern und zumeist anrüchigen, aber durchweg geistreichen Intriganten, die heute abend die Säle des Hauses La Mole füllten (man munkelte, der Marquis bekäme ein Ministerium), machte der kleine Tanbeau seine ersten Versuche. Wenn es seinen Bemerkungen auch noch an Feinheit gebrach, so bot er seinen Zuhörern dafür wuchtige Worte.

      »Warum verurteilt man den Kerl nicht zu zehn Jahren Gefängnis?« sagte er im Augenblick, als sich Julian der Gruppe näherte. »In das tiefste Verlies müßten solche Reptile eingesperrt werden. Man sollte sie im Dunkeln krepieren lassen; sonst quillt ihr Gift über, und sie werden gemeingefährlich. Was hat es für einen Zweck, ihn zu tausend Talern Geldstrafe zu verurteilen? Er ist arm. Um so besser. Aber seine Partei wird für ihn zahlen. Viel dienlicher wären fünfhundert Franken Geldstrafe und zehn Jahre Zuchthaus!«

      »Du mein Gott, wer ist denn das Scheusal, von dem da die Rede ist?« dachte Julian, verwundert über den heftigen Ton und die ruckweisen Bewegungen seines Kollegen. Das schmale magere verzerrte Gesicht, das der Neffe des Akademikers hatte, sah in diesem Augenblicke geradezu widerlich aus. Julian merkte bald, daß es sich um den größten Dichter der Zeit handelte, um Beranger. »Bestie, du!« rief er halblaut, und Tränen des Edelmuts traten ihm in die Augen. »Warte nur, du Halunke! Dein heutiges Gerede will ich dir heimzahlen! Das sind also die Sturmtrupps der Partei, zu deren Führern der Marquis zählt! Und der berühmte Mann, den er verleumdet! Wie viel Orden und Sinekuren hätte er einheimsen können, wenn er sich verkauft hätte. Nicht gerade dem niedrigen Ministerium des Herrn von Nerval, aber irgendeinem in der Reihe der leidlich anständigen Minister.«

      Der Abbé Pirard winkte Julian von weitem. Herr von La Mole hatte eben ein paar Worte mit ihm geredet. Als Julian, der in diesem Augenblick mit niedergeschlagenen Augen der Jeremiade eines Bischofs zuhörte, endlich von ihm loskam und sich seinem Freunde widmen konnte, fand er ihn von dem abscheulichen kleinen Tanbeau mit Beschlag belegt. Dies kleine Scheusal haßte Pirard als den Quell von Julians guter Karriere und machte ihm nun den Hof.

      »Wann wird der Tod uns von dieser Pestbeule befreien?« In derlei Ausdrücken von biblischer Kraftfülle wetterte der kleine Literat gerade wider den ehrenwerten Lord Holland. Seine Stärke beruhte darin, daß er in der Lebensgeschichte seiner Zeitgenossen vorzüglich Bescheid wußte. Soeben hatte er alle Persönlichkeiten, die unter dem unlängst in England zur Regierung gekommenen Wilhelm IV. zu einigem Einfluß gelangen konnten, einer flüchtigen Musterung unterzogen.

      Der Abbé ging in den angrenzenden Salon, und Julian folgte ihm.

      »Der Marquis liebt die Literaten nicht. Ich sage Ihnen dies ausdrücklich. Es ist seine einzige Abneigung. Wenn Sie sich auf Latein oder Griechisch verstehen, wenn Sie in der persischen, ägyptischen und indischen Geschichte bewandert sind, so wird er Sie ob Ihrer Gelehrsamkeit schätzen und fördern. Aber schreiben Sie nie eine Seite Französisch, und besonders nicht über schwierige Dinge, die über Ihre gesellschaftliche Stellung hinausgehen. Dann sind Sie ihm ein Federfuchser, ein Ekel … Wie? Sie wohnen im Hause eines Grandseigneurs und kennen den Ausspruch des Herzogs von Castries über Dalembert und Rousseau nicht? ›So einer will über alles urteilen und hat keine tausend Taler Rente! ‹«

      »Es gibt keine Geheimnisse!« dachte Julian, »hier ebensowenig wie im Seminar.« Er besaß acht oder zehn Seiten eines Herzensergusses, eine Art Nachruf auf den alten Stabsarzt, der ihn, wie er glaubte, zum Manne gemacht hatte. »Und dies kleine Heft«, sagte Julian sich, »ist immer eingeschlossen gewesen.« Er ging auf sein Zimmer, verbrannte das Manuskript und kehrte in den Salon zurück. Die geistreichen Halunken hatten ihn inzwischen verlassen; nur die Leute mit Orden waren noch da.

      Eine Tafel ward vollständig gedeckt hereingetragen. Man setzte sich. Zugegen waren unter anderen sieben oder acht sehr adlige, sehr fromme und sehr gezierte Damen im Alter von dreißig bis fünfunddreißig Jahren. Die Marschallin von Fervaques, eine glänzende Erscheinung, kam noch und entschuldigte sich wegen ihres späten Kommens. Es war nach Mitternacht. Sie nahm neben der Marquise Platz. Julian war tief bewegt. Sie hatte dieselben Augen und ganz den Blick wie Frau von Rênal.

      Der Kreis um Fräulein von La Mole war noch ziemlich groß. Sie und ihre Freunde vertrieben sich die Zeit mit Witzen über den bedauernswerten Grafen Thaler, den einzigen Sohn eines berüchtigten Juden, der zu allbekanntem Reichtum gekommen war, indem er den Königen Geld lieh, damit sie die Völker in Kriege stürzen konnten. Als der Jude starb, hinterließ er seinem Sohn neben einem nur zu bekannten Namen eine Monatsrente von hunderttausend Talern. Diese heiklen Lebensumstände hätten entweder einen schlichten Charakter oder große Willenskraft erheischt. Aber unglücklicherweise war der Graf ein Alltagsmensch mit allerhand Prätentionen, die ihm seine Schmeichler eingeredet hatten.

      Graf Caylus behauptete, man hätte ihn auf die Absicht gebracht, sich um Fräulein von La Mole zu bewerben! (Es sei bemerkt, daß sich um sie schon der Marquis von Croisenois, künftiger Herzog mit hunderttausend Franken Rente, bemühte.)

      »Ach, beschuldigen Sie ihn doch nicht, Absichten zu haben!« bemerkte Norbert mitleidig.

      Was dem armen Grafen Thaler wohl am meisten fehlte, das war in der Tat die Fähigkeit, etwas zu wollen. Somit wäre er würdig gewesen, auf einem Throne zu sitzen. Indem er von jedermann Rat annahm, hatte er niemals den Mut, irgend etwas durchzuführen.

      Allein sein Gesichtsausdruck reiche hin, sie immerfort vergnügt zu machen, meinte Fräulein Mathilde. Es lag ein sonderbares Gemisch von Erwartung und Enttäuschung darin, aber von Zeit zu Zeit konnte man deutliche Spuren seines Dünkels aus dem scharfen Ton heraushören, den der reichste Mann Frankreichs sich leisten konnte, zumal er erst sechsunddreißig Jahre alt und sonst keine unüble Erscheinung war.

      »Er ist schüchtern-frech«, meinte Croisenois. Graf Caylus, Norbert und zwei, drei andre junge Dandys verulkten ihn nach Herzenslust, ohne daß er es merkte, und ekelten ihn schließlich weg, als es ein Uhr schlug.

      »Lassen Sie Ihre berühmten Araber bei dem Wetter vor der Tür warten?« fragte Norbert.

      »Nein, heute holt mich ein neues Gespann ab, das nicht so teuer ist«, antwortete Herr von Thaler. »Das Sattelpferd kostet mich fünftausend Franken. Das Handpferd ist nur zweitausend wert. Natürlich benutze ich diese Pferde nur bei Nacht. Sie traben aber genauso wie meine Araber.«

      Norberts Bemerkung erinnerte den semitischen Grafen daran, daß ein Gentleman wie er Pferdefreund sein müsse und daß man seine Tiere im Regen nicht so lange stehenlassen dürfe. Daraufhin brach Thaler auf. Unter Spötteleien über ihn gingen die andern Herren einen Augenblick später.

      »So war es mir vergönnt«, dachte Julian, als er sie auf der Treppe lachen hörte, »mein Gegenstück zu sehen. Ich habe keine hundert Taler Zinsen im Jahre und stand eben neben einem Manne, der in jeder Stunde soviel zu verzehren hat. Und doch machte man sich über ihn lustig! Das kuriert einen vom Neid.«

      35. Kapitel

      Nach mehrmonatiger Probezeit hatte Julian vom Intendanten des Hauses soeben die dritte Vierteljahrsrate seines Gehalts empfangen. Es stand jetzt folgendermaßen um ihn. Herr von La Mole hatte ihn zur Verwaltung seiner Güter in der Bretagne und Normandie herangezogen, so daß er häufig Reisen dorthin machen mußte. Auch war ihm die Führung des Briefwechsels in dem berühmten Prozeß mit dem Abbé von Frilair anvertraut. Pirard hatte ihn hierüber genau unterrichtet.

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