Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher - Стендаль страница 74

Название: Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher

Автор: Стендаль

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788026824862

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СКАЧАТЬ Frau, just wie ein Mann, der eine von Notaren zustande gebrachte Konvenienzheirat eingegangen ist und eine idealschöne Frau findet.

      Croisenois blickte Mathilde, da er nicht zu ihr gelangen konnte, lachend an, während sie ihre großen Türkisaugen auf ihm und dem neben ihm stehenden Paare ruhen ließ. »Was gibt es Faderes«, dachte sie, »als diese ganze Gruppe. Da ist Croisenois, der mich heiraten möchte; er ist sanft, höflich und hat die nämlichen tadellosen Manieren wie Rouvroy. Wenn diese Herren nicht so langweilig wären, so wären sie höchst liebenswert. Croisenois würde mit genau derselben beschränkten und zufriedenen Miene auf dem Balle an mir hängen. Ein Jahr nach der Heirat sind meine Equipage, meine Pferde, meine Toiletten, mein Schloß vor der Stadt so elegant wie nur möglich, sind der Inbegriff dessen, was eine Emporgekommene, die Gräfin von Roiville zum Beispiel, vor Neid platzen läßt. Und dann … ?«

      Mathilde langweilte sich in der Aussicht auf ihre Zukunft. Endlich hatte sich der Marquis von Croisenois bis zu ihr durch die Menge gearbeitet und sprach sie an. Aber sie träumte und hörte ihn nicht. Der Klang seiner Stimme verlor sich für sie im Stimmengewirr des Balles. Mechanisch folgte sie Julian mit den Augen. Er hatte sich ehrerbietig, aber stolz und unzufrieden zurückgezogen. In einer Ecke, fern der wirbelnden Menge, erblickte sie den Grafen Altamira. Wie bereits erzählt, war er in seiner Heimat zum Tode verurteilt. Eine seiner Urgroßmütter hatte unter Ludwig XIV. einen Fürsten Conti geheiratet. Dieser Umstand schützte ihn einigermaßen vor den Nachstellungen der Jesuiten.

      »Ich sehe, nur ein Todesurteil zeichnet einen Mann wirklich aus«, dachte Mathilde. »Das ist das einzige, was sich nicht kaufen läßt. Übrigens eine gute Bemerkung, die ich mir da eben sage! Schade, daß sie mir nicht in einem Augenblick einfiel, wo ich damit hätte glänzen können!« Mathilde hatte zu viel Geschmack, um ein zurechtgemachtes Bonmot in ihre Plauderei einzuflechten, aber sie war zu eitel, um über ihren Einfall nicht entzückt zu sein. Ihre sichtlich gelangweilten Züge nahmen plötzlich einen glücklichen Ausdruck an. Der Marquis von Croisenois, der immer noch redete, wähnte darin den Erfolg seiner Worte zu erkennen und ließ den Strom seiner Worte noch mehr fluten.

      »Was könnte ein Böswilliger an meiner Bemerkung aussetzen?« dachte Mathilde. »Ich würde dem Krittler sagen: der Titel Baron oder Vicomte läßt sich kaufen. Orden sind leicht zu haben. Mein Bruder hat eben einen bekommen. Was hat er geleistet? Avancieren ist Zeitfrage. Zehn Dienstjahre oder den Kriegsminister zum Verwandten – und man ist Eskadronchef wie Norbert, Ein großes Vermögen … Das ist noch das Schwierigste und folglich auch das Verdienstvollste. Drollig! Die Bücher sagen gerade das Gegenteil. Das heißt; es kann einer auch Millionär werden, wenn er ein Fräulein Rothschild heiratet. Wirklich, mein Witz ist tiefsinnig. Ein Todesurteil ist das einzige, worum sich noch keiner beworben hat.«

      »Kennen Sie den Grafen Altamira?« fragte sie Herrn von Croisenois.

      Sie machte einen so geistesabwesenden Eindruck, und diese Frage stand dermaßen außer Beziehung zu dem, was der arme Marquis seit fünf Minuten vortrug, daß seine Liebenswürdigkeit in Verblüffung umschlug. Er war doch ein kluger Mann und galt für einen solchen.

      »Mathilde hat ihre Eigenheiten«, dachte er. »Das ist unbequem, aber sie sichert ihrem Ehemanne die schönste gesellschaftliche Stellung! Ich weiß nicht, wie es der Marquis von La Mole anfängt: er hat Beziehungen zu den Führern aller Parteien. Er ist ein Mann, der nicht untergehen kann. Überdies kann Mathildens Eigenart für Genie gelten. Bei hoher Geburt und großem Vermögen ist Genie nichts Lächerliches. Dann ist es ein hoher Vorzug! Zudem verfügt sie, wenn sie will, über eine Mischung von Geist, Charakter und Schlagfertigkeit, die ihre Liebenswürdigkeit ideal macht…«

      Da es schwer ist, zweierlei auf einmal zu tun, antwortete der Marquis mit leerem Gesichtsausdruck, als ob er eine Lektion hersagte: »Wer kennt den armen Altamira nicht?«

      Und er erzählte ihr die Geschichte seiner verfehlten, lächerlichen, unsinnigen Verschwörung.

      »Höchst unsinnig!« sagte Mathilde, wie zu sich selber sprechend. »Aber er ist doch ein Tatenmensch. Ich will einen Mann sehen. Bringen Sie ihn mir her!« bat sie den ganz erschrockenen Marquis.

      Graf Altamira war einer der erklärten Bewunderer der hochfahrenden und fast anmaßlichen Miene des Fräuleins von La Mole. In seinen Augen war sie eine der größten Schönheiten von Paris.

      »Wie schön wäre sie auf einem Throne!« sagte er zu Croisenois und ließ sich ohne Zögern zu ihr führen.

      Es fehlt nicht an Leuten in der Gesellschaft, denen nichts für inkorrekter gilt als eine moderne Verschwörung. Das riecht nach Jakobinertum. Und was gibt es Häßlicheres als einen Jakobiner ohne Erfolg?

      Mathilde und Croisenois sahen sich an, beide etwas Spott in den Augen. Gleichwohl hörte sie den Grafen, dem er galt, vergnügt an.

      »Ein Verschwörer auf dem Ball!« dachte sie. »Das ist ein netter Widerspruch.«

      Es kam ihr vor, als habe Altamira mit seinem schwarzen Schnurrbart das Gesicht eines friedlichen Löwen; aber sie merkte bald, daß sein Geist an Einseitigkeit litt: am Kult der Nützlichkeit.

      Außer der Bewegung, die seiner Heimat eine Verfassung schaffen wollte, fand der junge Graf nichts seiner Aufmerksamkeit würdig. Und so verließ er Mathilde, die schönste Dame des Balles, mit Freuden, als er einen peruanischen General eintreten sah. Da er an Europa im Metternichschen Zustande verzweifelte, blieb dem armen Altamira nichts als die Hoffnung, daß die südamerikanischen Staaten, sobald sie stark und mächtig geworden, Europa die Freiheit wiederbringen könnten, zu der ihnen Mirabeau verhelfen hat.

      Ein Schwarm junger Herren hatte sich Mathilden genähert. Es war ihr nicht entgangen, daß sie Altamira nicht bezaubert hatte, und so war sie über seinen Weggang verstimmt. Jetzt, als er mit dem exotischen General sprach, sah sie seine schwarzen Augen leuchten. Da schaute sie sich die jungen Franzosen mit tiefem Ernst an, wie ihn ihr keine Nebenbuhlerin nachahmen konnte. »Wer unter ihnen«, dachte sie, »möchte sich zum Tode verurteilen lassen, selbst wenn sich ihm die beste Gelegenheit dazu darböte?«

      Ihr eigentümlicher Blick schmeichelte solchen, die wenig Geist hatten, und beunruhigte die andern. Sie befürchteten immer irgendeine urplötzliche scharfe Bemerkung, der sie schwerlich gewachsen waren.

      »Hohe Geburt bringt hundert Eigenschaften mit sich, deren Nichtvorhandensein mir unerträglich ist. Ich sehe es an Julian«, dachte Mathilde. »Aber hinwiederum verkümmert sie alle die seelischen Eigenschaften, um derentwillen man zum Tode verurteilt werden kann.«

      In dem Augenblick sagte jemand neben ihr: »Graf Altamira ist der zweite Sohn des Fürsten von San Nazaro-Pimentel. Ein Pimentel versuchte die Rettung Konradins, der 1268 enthauptet worden ist. Die Pimentels sind eine der vornehmsten Familien Neapels.«

      »Schau! schau!« sagte sich Mathilde im stillen. »Ein schöner Beweis für meine Behauptung, hohe Geburt nähme dem Charakter die Energie, ohne die man nicht zum Tode verurteilt werden kann! Offenbar ist es heute abend mein Schicksal, dummes Zeug zu reden… Seien wir Weib und tanzen wir!«

      Sie gab der Werbung des Marquis von Croisenois nach, der sie seit einer Stunde um einen Galopp bat. Um sich über ihr Mißglück in der Philosophie zu trösten, nahm sie sich vor, als Weib unwiderstehlich zu sein. Croisenois war entzückt.

      Aber weder der Tanz noch der Wunsch, einem der hübschesten Kavaliere zu gefallen, konnte Mathilde zerstreuen. Ihr Triumph war vollkommen: sie war die Königin des Balles. Sie wußte es, aber sie blieb kalt.

      »Was für ein schales Leben werde ich mit einem Manne wie Croisenois führen!« sagte sie sich, als er sie eine Stunde später auf ihren Platz zurückgeleitete. »Wo könnte ich nach den sechs Monaten meiner Abwesenheit ein Vergnügen finden«, seufzte sie niedergeschlagen, СКАЧАТЬ