Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль
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Название: Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher

Автор: Стендаль

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788026824862

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СКАЧАТЬ Klatscherei! Das ist Brotneid zwischen kleinen Leuten«, behauptete Graf Caylus.

      »Herr Descoulis wird dermaleinst eine geschichtliche Größe sein«, fügte Croisenois hinzu. »Er hat zusammen mit dem Abbé de Pradt und den Herren von Talleyrand und Pozzo di Borgo die Restauration inszeniert.«

      »Der Mann hat Millionen in den Händen gehabt«, sagte Norbert, »und ich begreife nicht, warum er hierherkommt, um die zuweilen abscheulichen Bemerkungen meines Vaters einzustecken. ›Wie oft haben Sie Ihre Freunde verraten, lieber Descoulis? ‹ hat er ihm neulich über den ganzen Tisch zugerufen.«

      »War er denn wirklich ein Verräter?« fragte Fräulein von La Mole. »Ach, wer wäre kein Verräter!«

      »Was sehe ich da?« sagte Graf Caylus zu Norbert. »Bei Ihnen verkehrt Sainclair, der berüchtigte Liberale? Zum Teufel, was tut der hier? Ich muß mich an ihn heranmachen, mit ihm reden, ihn zum Sprechen bringen. Man sagt, er wäre ein Genie …«

      »Ich bin nur neugierig, wie ihn deine Mutter empfangen wird«, sagte der Marquis von Croisenois zu Norbert. »Er hat so überspannte, hochherzige, selbständige Ideen …«

      »Aufgepaßt!« unterbrach ihn Fräulein von La Mole. »Dort beugt sich der selbständige Herr von Descoulis bis zur Erde und drückt ihm die Hand. Es sieht beinahe aus, als wolle er sie küssen.«

      »Offenbar ist der Descoulis oben besser angeschrieben, als wir glauben«, meinte Croisenois.

      »Sainclair kommt hierher, weil er Akademiker werden will«, behauptete Norbert. »Sehen Sie nur, Croisenois, wie er vor dem Baron L*** katzbuckelt!«

      »Es wäre doch viel bequemer, wenn er gleich vor ihm niederkniete«, scherzte Herr von Luz.

      »Mein lieber Sorel«, bemerkte Norbert zu Julian, »Sie sind ein gescheiter Kerl, aber Sie kommen aus den Bergen. Verfallen Sie nie darauf, jemanden so zu grüßen, wie es der große Dichter da tut, und wäre es der liebe Gott höchstselbst.«

      »Ah, da kommt ein Phänomen von Geist und Witz: Herr Baron von Stock«, höhnte Fräulein von La Mole, wobei sie die Stimme des anmeldenden Lakaien ein wenig nachahmte.

      »Ich glaube, selbst die Diener machen sich über ihn lustig. Was ist das auch für ein Name: Baron von Stock!« spöttelte Herr von Caylus.

      »Was tut der Name? hat er uns neulich erklärt«, fuhr Mathilde fort. »Stellen Sie sich vor, wie der Herzog von Bouillon zum ersten Male gemeldet wurde! Die Welt gewöhnt sich an alles!«

      Julian verließ den Kreis des blauen Sofas. Er hatte noch zu wenig Sinn für die entzückenden Feinheiten einer mokanten Unterhaltung, um sich über derartige Spöttereien amüsieren zu können. Er verlangte, daß ein Scherz seinen vernünftigen Kern habe. Aus dem Geplauder dieser jungen Leute hörte er nichts heraus als die Absicht, alles in den Staub zu ziehen. Das empörte ihn. In seiner provinzlerhaften, gleichsam englischen Prüderie ging er sogar so weit, Neid darin zu erblicken, worin er sich sicherlich täuschte.

      »Graf Norbert«, dachte er, »den ich beobachtet habe, wie er eine Meldung von zwanzig Zeilen an seinen Oberst dreimal aufgesetzt hat, der könnte froh sein, wenn er in seinem Leben eine einzige Seite so geschrieben hätte wie Sainclair.«

      Da keiner auf ihn in seiner Bedeutungslosigkeit achtete, konnte sich Julian einer Gruppe nach der andern nähern. Er blieb in der Nähe des Barons von Stock und wollte ihn sprechen hören. Der geistreiche Mann hatte eine nervöse Miene, und Julian sah ihn erst ruhiger werden, als er vier oder fünf anzügliche Redensarten gemacht hatte. Es schien Julian, als ob diese Art Geist viel Raum beanspruche. Es war dem Baron unmöglich, in Aphorismen zu sprechen. Er brauchte immer ein paar sechszeilige Sätze, um etwas Glänzendes zu sagen.

      »Dieser Mensch doziert. Er plaudert nicht«, sagte jemand hinter ihm. Er drehte sich um und errötete vor Freude, als er den Namen des Grafen Chalvet hörte. Das war der klügste Mann seiner Zeit. Julian hatte seinen Namen mehrfach im Memorial von Sankt Helena und in den von Napoleon dem Ersten diktierten Dokumenten gefunden. Graf Chalvet äußerte sich in knappster Form. Seine Worte waren Blitze, grell, wuchtig und gründlich. Wovon er auch sprach, die Unterhaltung kam sofort in Fluß. Er brachte sie auf Tatsachen. Es war ein Vergnügen, ihm zuzuhören. In politischen Dingen war er übrigens der frechste Zyniker.

      »Ich bin unabhängig«, sagte er zu einem dreifach dekorierten Herrn, über den er sich offenbar lustig machte. »Warum soll ich heute derselben Meinung sein wie vor sechs Wochen? Dann wäre ich ja der Sklave meiner Meinung!«

      Vier ernste junge Leute, die ihn umstanden, zogen dumme Gesichter. Sie liebten die Ironie nicht. Der Graf sah, daß er zu weit gegangen war. Zum Glück bemerkte er Herrn Balland, einen Biedermann und Tartüffe. Er begann sich mit ihm zu unterhalten. Andre traten näher. Man ahnte, daß der arme Balland erledigt werden sollte. Balland hatte aus lauter Moral und Moralität, obgleich er abstoßend häßlich war, nach seinem ersten unerzählbaren Auftreten in der Gesellschaft eine schwerreiche Frau geheiratet, und als diese gestorben, abermals eine schwerreiche Frau, die aber nicht gesellschaftsfähig war. Jetzt erfreute er sich in aller Demut eines Einkommens von sechzigtausend Franken und hatte sogar seine eignen Schmarotzer. Graf Chalvet machte auf dies alles erbarmungslose Anspielungen, und bald hatte sich ein Kreis von etwa dreißig Personen um die beiden gebildet. Jedermann lächelte, selbst die ernsten jungen Herren, die Hoffnung des Jahrhunderts.

      »Warum kommt er in dieses Haus, wo er doch offenbar nur zum Gespött dient?« dachte Julian. Er gesellte sich zum Abbé Pirard, um sich danach zu erkundigen.

      Balland verschwand.

      »Bravo!« sagte Norbert. »Einer von meines Vaters Spionen ist fort! Nur der kleine lahme Napier ist noch da!«

      »Ist das des Rätsels Lösung?« dachte Julian. »Aber wenn dem so ist, warum empfängt ihn der Marquis?«

      Der gestrenge Abbé Pirard stand mürrisch in einer Ecke des Saales und hörte zu, wen die Lakaien anmeldeten.

      »Die wahre Räuberhöhle!« brummte er. »Ich sehe nur verrufene Leute kommen!«

      Der gestrenge Abbé hatte keine Ahnung, aus welchen Elementen sich die gute Gesellschaft zusammensetzt. Aber durch seine Freunde, die Jansenisten, war er aufmerksam gemacht worden auf etliche Typen des Gesindels, das nur durch die große Geschicklichkeit, mit der es allen Parteien dient, oder durch übel erworbenen Reichtum in die Salons eingedrungen ist. Eine Weile antwortete er Julian auf seine eifrigen Fragen mit übervollem Herzen. Dann hielt er plötzlich inne, trostlos, daß er von jedermann immer nur Böses sagen mußte; er rechnete sich das als Sünde an. Für den galligen Jansenisten, der an die Pflicht der christlichen Nächstenliebe glaubte, war das Leben in der großen Welt ein steter Kampf. – »Was dieser Abbé Pirard für ein Gesicht zieht!« sagte Fräulein von La Mole, als Julian wieder an das Sofa trat.

      Er fühlte sich gereizt. Gleichwohl hatte sie recht. Der Pfarrer Pirard war ohne Zweifel der ehrlichste Mann in diesem Salon, aber sein Kupfergesicht sah in diesem Augenblick, wo es von Gewissensskrupeln verzerrt wurde, wirklich abschreckend aus. »Glaube noch einer an Physiognomien!« dachte Julian. »In diesem Moment zeiht sich der Abbé in seinem Zartgefühl einer kleinen Sünde, und sein Gesicht ist finster; während auf der Stirn dieses Napier, den jeder als Halunken kennt, friedsames reines Glück strahlt.« Übrigens hatte der Abbé der sündhaften Welt große Zugeständnisse gemacht. Er hatte sich einen Diener genommen und ging gut gekleidet.

      Julian merkte, daß im Salon etwas Besonderes vorging. Aller Augen richteten sich auf die Tür, und plötzlich trat beinahe Stille ein. Der Lakai meldete den berüchtigten Baron von Tolly, auf den sich anläßlich der Wahlen aller Aufmerksamkeit richtete. Julian trat etwas vor und konnte СКАЧАТЬ