Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher - Стендаль страница 154

Название: Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher

Автор: Стендаль

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788026824862

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СКАЧАТЬ sein Justizminister, ein elender Kerl, hatte ihn dazu verleitet.

      Seit dieser verhängnisvollen Stunde ist das Leben des Fürsten von Grund aus verändert. Der sonderbarste Argwohn peinigt ihn. Er ist noch keine fünfzig, aber die Angst hat ihn so arg ausgemergelt, wenn man sich dieses Ausdrucks bedienen darf, daß sein Gesicht das Aussehen eines Achtzigjährigen annimmt, wenn er von Jakobinern und Pariser Revolutionsideen spricht. Er fürchtet sich wie ein kleines Kind vor dem Zauberer aus dem Märchen. Dieser Furcht seines Gebieters verdankt sein Günstling Rassi, der Großfiskal (Oberrichter), seinen Einfluß, und sobald er den irgendwie gefährdet wähnt, entdeckt er schleunigst eine neue Verschwörung der schlimmsten und abenteuerlichsten Art. Dreißig Unvorsichtige haben sich zusammengetan und auf ein Exemplar des ›Constitutionnel‹ abonniert; sogleich erklärt Rassi sie für Verschwörer und läßt sie in die berüchtigte Zitadelle von Parma, den Schrecken der ganzen Lombardei, einkerkern. Da sie sehr hoch gelegen ist, angeblich hundertundachtzig Fuß, so sieht man sie schon aus weiter Ferne über der ungeheueren Ebene. Das Äußere dieses Gefängnisses und die gräßlichen Dinge, die man sich von ihm erzählt, machen es zur gefürchteten Tyrannin der lombardischen Ebene, die sich von Mailand bis Bologna ausdehnt.

      »Sie werden es kaum glauben,« erzählte ein anderer Reisender der Gräfin, »Ernst IV. zittert nachts im dritten Stock seines Palastes, obwohl dieser von achtzig Posten bewacht wird, die alle Viertelstunden laut brüllen müssen. Sämtliche Türen sind zehnfach verschlossen, und die angrenzenden Zimmer über und unter den seinen sind wegen seiner Jakobinerangst voller Soldaten. Wenn das Parkett knarrt, so greift er nach seinen Pistolen, im Wahn, ein Liberaler stecke unter seinem Bett. Sogleich werden alle Klingeln im Schloß in Bewegung gesetzt, und ein Adjutant weckt eiligst den Grafen Mosca. Im Schloß angelangt, hütet sich der Polizeiminister, die Verschwörung zu leugnen, im Gegenteil. Allein mit dem Fürsten und bis an die Zähne bewaffnet, durchsucht er alle Winkel der Gemächer, sieht unter die Betten, mit einem Wort, er unterzieht sich einer Menge lächerlicher Handlungen, die eines alten Weibes würdig wären. Alle diese Sicherheitsmaßregeln wären dem Fürsten in den schönen Zeiten, als er im Kriege war und nur den Massenmord auf dem Gewissen hatte, selber demütigend erschienen. Als kluger Mann schämt er sich dieser Vorkehrungen; sie dünken ihn lächerlich, selbst im Augenblick, da er ihnen verfallen ist; und die unbegrenzte Macht des Grafen liegt darin, daß er seine ganze Gewandtheit aufbietet, damit der Fürst in seiner Gegenwart niemals zu erröten braucht. Mosca besteht in seiner Eigenschaft als Polizeiminister selbst darauf, unter alle Möbel und, wie man in Parma sagt, sogar in die Geigenkästen hineinzugucken. Dann ist es der Fürst, der sich dem widersetzt und seinen Minister wegen seiner übertriebenen Genauigkeit auslacht. »Das muß sein!« antwortet der Graf Mosca. »Hoheit wollen an die Spottgedichte denken, mit denen uns die Jakobiner überschütten würden, wenn wir Serenissimus ermorden ließen. Wir schützen nicht nur Allerhöchstdero Leben, wir schützen unsere Ehre!« Aber der Fürst ist offenbar nur halb überzeugt, denn sobald irgendwer in der Stadt sich untersteht zu sagen, man habe gestern im Schloß eine schlaflose Nacht verbracht, läßt der Oberrichter Rassi das Schandmaul in die Zitadelle sperren, und ist der Verbrecher einmal in dieser höheren Wohnung, in guter Luft, wie man in Parma zu sagen pflegt, so müßte ein Wunder geschehen, wenn man sich je des Eingelochten wieder erinnerte. Weil der Fürst Soldat ist und sich in Spanien soundsovielmal mit der Pistole in der Hand bei Überfällen durchgeschlagen hat, schätzt er Mosca mehr als Rassi, der geschmeidiger und gewöhnlicher ist. Die unglücklichen Gefangenen in der Zitadelle werden in strenger Abgeschlossenheit gehalten, und man erfindet auf ihre Unkosten Mordsgeschichten. Die Liberalen behaupten, auf Rassis Weisung hätten die Gefängniswärter und Beichtväter Befehl, ihnen einzureden, daß ungefähr jeden Monat einer von ihnen hingerichtet werde. An solchen Tagen erhalten die Gefangenen die Erlaubnis, die Plattform des mächtigen Turmes zu betreten, die hundertundachtzig Fuß über der Ebene liegt, und von da zuzuschauen, wie ein Zug dahinwallt, bei dem ein Spitzel die Rolle eines zur Richtstätte schreitenden armen Sünders spielt.«

      Solche und andere Geschichten von derselben Art und nicht geringerer Glaubwürdigkeit machten auf die Gräfin Pietranera lebhaften Eindruck. Tags darauf bat sie den Grafen Mosca um nähere Angaben und machte ihre Scherze darüber. Sie fand ihn unterhaltsam und verzieh ihm, daß er im Grund und ohne es selber zu wissen, ein Ungeheuer war.

      Eines Tages sagte der Graf, als er in seinen Gasthof heimkam: »Die Gräfin Pietranera ist nicht nur eine reizende Frau, sie bringt es sogar zuwege, daß ich an den Abenden, da ich in ihrer Loge bin, gewisse Dinge von Parma vergesse, deren Erinnerung mir einen Stich ins Herz versetzt.« Der Minister hatte trotz seiner leichten Art und seinen glänzenden Umgangsformen keine französische Seele; er konnte seine Sorgen nicht vergessen. Wenn sein Pfühl einen Dorn barg, mußte er ihm die Spitze abbrechen, und wenn er sich dabei noch so weh tat. Ich bitte um Entschuldigung für diese Wendung aus dem Italienischen.

      Der Tag nach jener Entdeckung kam dem Grafen, obwohl er in Mailand allerlei Geschäfte hatte, endlos lang vor. An keinem Ort hielt er es lange aus; kein Wagen fuhr ihm schnell genug. Gegen sechs Uhr nahm er sich ein Reitpferd und ritt über den Korso, in der schwachen Hoffnung, der Pietranera zu begegnen. Da er sie dort nicht erblickte, fiel ihm ein, daß die Scala um acht Uhr geöffnet wurde. Er ging hin, fand aber in dem Riesensaal keine zehn Personen. Er schämte sich gewissermaßen, daß er da war. ›Ist es möglich,‹ sagte er sich, ›daß ich mit meinen fünfundvierzig Jahren Torheiten begehe, über die ein junger Leutnant errötet? Zum Glück ahnt sie kein Mensch.‹ Er machte, daß er wieder hinauskam, und versuchte, sich die Zeit damit zu vertreiben, daß er durch die hübschen Straßen schlenderte, die das Theater umgeben. Es gibt in ihnen zahlreiche Kaffeehäuser, die um diese Stunde von Menschen wimmeln; vor jedem dieser Lokale sitzt eine Menge Neugieriger auf Stühlen mitten auf der Straße, schlürft Sorbetti und bekrittelt die Vorübergehenden. Der Graf fiel auf, zumal er das Vergnügen hatte, erkannt und angesprochen zu werden. Drei oder vier Aufdringliche von der Sorte, die man nicht los wird, benutzten die Gelegenheit, sich bei dem allmächtigen Minister Gehör zu verschaffen. Zwei andere überreichten ihm Bittschriften. Ein dritter begnügte sich damit, ihm langatmige politische Ratschläge zu geben.

      ›Mit viel Geist‹, sagte er sich, ›kann man nicht schlafen und mit viel Macht nicht ungestört spazieren gehen.‹ Er kehrte wieder in die Scala zurück und kam auf den Einfall, eine Loge im dritten Rang zu nehmen. Von dort aus konnte er unbeobachtet die Loge im zweiten Rang überblicken, in der er die Gräfin zu sehen hoffte. Zwei volle Stunden des Harrens kamen dem Verliebten nicht zu lang vor. Sicher, nicht gesehen zu werden, überließ er sich voller Behagen so recht seiner Torheit. ›Zeigt sich das Alter nicht vor allem daran, daß man solcher köstlicher Kindereien nicht mehr fähig ist?‹

      Endlich erschien die Gräfin. Mit Entzücken betrachtete er sie durch sein Opernglas. ›Jung, glänzend, behend wie ein Vogel‹, sagte er sich. ›Sie ist keine fünfundzwanzig alt. Dabei ist ihre Schönheit ihr geringster Reiz. Wo wäre eine gleich aufrichtige Seele zu finden, die niemals mit Vorbedacht handelt, die sich ganz der Eingebung des Augenblicks hingibt, die nur danach trachtet, immer von etwas Neuem begeistert zu werden? Ich begreife die Narreteien des Grafen Nani.‹

      Der Graf dachte so sehr daran, das Glück zu erobern, das er vor seinen Augen sah, daß er treffende Gründe fand, ein Tor zu sein. Er fand weniger gute, als er darauf sein Alter in Betracht zog und die Sorgen, die sein Leben manchmal recht trübselig machten. ›Ein schlauer Mensch, dem nur die Angst den Verstand benimmt, gewährt mir eine hohe Stellung und viel Geld, solange ich sein Minister bin; aber wenn er mich morgen entläßt, dann sitze ich alt und arm da, bin also der verächtlichste Tropf der Welt. Ein schöner Liebhaber für solch eine Frau!‹ Derlei Gedanken waren zu düster. Er dachte immer wieder an die Pietranera. Er konnte den Blick nicht von ihr wenden, und um besser von ihr zu träumen, ging er nicht in ihre Loge hinunter. »Sie hat sich mit Nani nur darum eingelassen, sagt man mir, um dem Schafskopf, dem Limercati, einen Possen zu spielen, weil er nichts davon wissen wollte, dem Mörder ihres Mannes mit dem Degen oder dem Dolch in der Hand auf den Leib zu rücken. Ich würde mich ein dutzendmal für sie schlagen!« rief der Graf begeistert aus. Alle Augenblicke sah er nach der Theateruhr, die den Zuschauern durch matt erleuchtete Ziffern auf dunklem Grund von fünf СКАЧАТЬ