Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher - Стендаль страница 152

Название: Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher

Автор: Стендаль

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788026824862

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СКАЧАТЬ werde das Menschenmögliche für Sie tun«, erwiderte der Kanonikus herzlich. »Ich stehe Ihnen ganz zu Diensten. Ich will sogar Unvorsichtigkeiten begehen«, fügte er hinzu. »Sagen Sie mir, was ich zu tun habe in dem Augenblick, da dieses ärmliche Zimmer wieder leer ist von der himmlischen Erscheinung, die in der Geschichte meines Daseins ein großes Erlebnis bedeutet!«

      »Sie müssen zum Baron Binder gehen und ihm sagen, daß Sie Fabrizzio von der Wiege an liebten, daß Sie zur Zeit seiner Geburt in unserem Hause verkehrt hätten. Bitten Sie ihn, er möge aus Freundschaft für Sie alle seine Spione in Bewegung setzen, um klarzustellen, ob Fabrizzio vor seiner Abreise nach der Schweiz irgendwie in Verbindung mit einem jener Liberalen gestanden hat, die er überwachen läßt. Wenn der Baron nur im geringsten gut bedient wird, so muß er sehen, daß es sich hier lediglich um eine echte Jugendeselei handelt. Wie Sie wissen, hatte ich in meiner schönen Wohnung im Palazzo Dugnani Stiche von den siegreichen Schlachten Napoleons. An den Unterschriften dieser Stiche hat mein Neffe das Lesen gelernt. Von seinem fünften Jahre an wurden ihm von meinem armen Mann jene Siege erklärt. Wir setzten ihm den Helm meines Mannes auf, und der Junge schlepte seinen langen Säbel. Dann, eines schönen Tages, erfährt er, daß der Abgott meines Mannes, daß der Kaiser nach Frankreich zurückgekehrt ist. Er will zu ihm in seiner jugendlichen Unbesonnenheit, aber es gelingt ihm nicht. Fragen Sie Ihren Baron, mit welcher Strafe diese Torheit gesühnt werden soll!«

      »Ich habe etwas vergessen«, rief der Kanonikus. »Sie werden sehen, daß ich der Verzeihung, die Sie mir gewähren, nicht unwürdig bin. Hier,« sagte er, unter seinen Akten auf dem Schreibtisch suchend, »sehen Sie, ist die Denunziation jenes niederträchtigen Heuchlers, unterzeichnet mit Ascanio Valserra del Dongo. Damit hat die ganze Geschichte angefangen. Ich habe das Aktenstück gestern abend im Polizeiamt an mich genommen und bin in die Scala gegangen, in der Hoffnung, irgendeinem Freund Ihrer Loge zu begegnen, durch den ich es Ihnen hätte zustellen können. Eine Abschrift dieses Schreibens befindet sich schon längst in Wien. Da haben Sie den Feind, den wir bekämpfen müssen!«

      Der Kanonikus las die Anzeige zusammen mit der Gräfin durch, und man kam überein, daß ihr im Laufe des Tages durch eine sichere Person eine Abschrift davon zugehen sollte. Voller Freude kehrte die Gräfin in den Palazzo del Dongo zurück.

      »Unmöglich kann man mehr galantuomo sein als dieser ehemalige Bösewicht«, berichtete sie der Marchesa. »Wir werden heute abend in der Scala, wenn die Theateruhr drei Viertel elf zeigt, jedermann aus unserer Loge hinausschicken, die Lichter auslöschen und die Tür schließen. Um elf Uhr will der Kanonikus persönlich kommen und uns mitteilen, was er hat tun können. Auf diese Weise ist die Geschichte am wenigsten gefährlich für ihn.«

      Der Kanonikus war kein Dummkopf. Er hütete sich, das Stelldichein zu versäumen, und benahm sich dabei so vollendet liebenswürdig und wirklich offenherzig, wie man das nur in einem Lande findet, wo die Eitelkeit nicht der Gefühle höchstes ist. Daß er die Gräfin ihrem Manne, dem General Piettanera, verraten, hatte ihn beständig gepeinigt, und hier bot sich ein Mittel, es wieder gut zu machen.

      Er war von seiner Leidenschaft noch keineswegs geheilt; am Vormittag, als die Gräfin ihn verlassen, hatte er sich voll Bitternis gesagt: ›Sie hat mit ihrem Neffen ein Liebesverhältnis. Wie käme diese stolze Frau sonst in mein Haus? Beim Tode des armen Pietranera hat sie voller Abscheu meine Dienste zurückgewiesen, so höflich ich sie ihr durch den damaligen Oberst Scotti, einen früheren Verehrer von ihr, anbieten ließ. Die schöne Pietranera und mit fünfzehnhundert Franken auskommen!‹ sagte der Kanonikus, erregt auf und ab gehend. ›Und dann im Schloß Grianta mit einem abscheulichen Griesgram, diesem Marchese del Dongo, zusammen hausen! Jetzt wird mir alles klar! Warum auch nicht? Dieser junge Fabrizzio ist voll Geist und Anmut, groß, wohlgebaut, immer heiter, und mehr noch,‹ fuhr er bitter fort, ›in seinen Augen liegt süße Wollust. Er hat ein Correggio-Gesicht. Und der Unterschied im Alter ist nicht zu groß. Fabrizzio ist nach dem Einmarsch der Franzosen geboren, um 1798, wenn ich mich nicht irre. Die Gräfin mag sieben-oder achtundzwanzig sein. Hübscher, anbetungswürdiger zu sein, ist unmöglich. In diesem schönheitsreichen Lande kommt ihr keine gleich; die Marini, die Gherardi, die Ruga, die Arese, die Pietragrua, keine; sie überragt alle diese Frauen. Sie lebten in glücklicher Verborgenheit am schönen Comer See, als der junge Mann zu Napoleon wollte. Es gibt doch noch große Seelen in Italien, man mag sie noch so unterdrücken! Teures Vaterland!‹

      ›Nein,‹ fuhr dieses vor Eifersucht flammende Herz fort, ›anders läßt sich ihr entsagungsvolles Stilleben auf dem Lande unmöglich erklären. Tag für Tag, Mahlzeit für Mahlzeit das scheußliche Gesicht des Marchese del Dongo und dazu die niederträchtige Heuchlerfratze des Marchesino Ascanio, die noch schlimmer ist als die des Alten! Trotz alledem, ich will ihr offen und ehrlich dienen! Zum mindesten habe ich das Vergnügen, sie nicht mehr nur durch mein Opernglas zu sehen.‹

      In der Scala legte der Kanonikus den Damen die Sachlage klar und deutlich auseinander. Im Grunde war Binder gar nicht ungünstig gesinnt. Es war ihm recht lieb, daß sich Fabrizzio aus dem Staube gemacht hatte, ehe der Haftbefehl aus Wien eingegangen war. Aber er konnte nichts Entscheidendes in der Sache tun; wie in allen anderen Angelegenheiten wartete er auf Befehle von oben. Täglich schickte er genaue Abschriften aller Ermittlungen nach Wien; im übrigen wartete er ab.

      Er verlangte aber: erstens, daß Fabrizzio in seiner Verbannung in Romagnano alle Tage in die Messe gehe, daß er einen geistvollen, monarchisch gesinnten Beichtvater nähme und ihm nur ganz harmlose Dinge beichte; zweitens, daß er mit niemandem verkehre, der als aufgeklärter Mensch galt, und immer nur mit Abscheu von revolutionären Dingen wie von etwas streng Verpöntem spräche; drittens, daß er sich in keinem Kaffeehaus blicken ließe und nie andere Zeitungen als die Amtsblätter von Turin und Mailand läse, im allgemeinen eine Abneigung gegen jede Lektüre zur Schau trüge, insbesondere nichts läse, was nach 1720 gedruckt sei, die Romane von Walter Scott allenfalls ausgenommen.

      Diesen Bedingungen fügte der Kanonikus ein wenig boshaft als vierte hinzu, er müsse vor allen Dingen irgendeiner hübschen Dame des Landes, selbstverständlich aus der vornehmen Gesellschaft, offenkundig den Hof machen. Damit werde er beweisen, daß er nicht den finsteren, unzufriedenen Geist eines angehenden Verschwörers habe.

      Vor dem Zubettgehen schrieben die Gräfin und die Marchesa zwei endlose Briefe an Fabrizzio, in denen sie ihm in reizendster Besorgnis die Ratschläge, die Borda gegeben hatte, darlegten.

      Fabrizzio hatte ganz und gar keine Neigung zu Verschwörungen. Er liebte Napoleon, hielt sich in seiner Eigenschaft als Edelmann für ein bevorzugtes Wesen und fand das Bürgertum lächerlich. Seit seiner Schulzeit hatte er nie ein Buch in die Hand genommen, und auch da hatte er keine anderen Bücher gelesen als solche, die von Jesuiten zurechtgestutzt waren. Er nahm seinen Wohnsitz in einem prächtigen Landschloß unweit Romagnanos, einem Meisterwerk des berühmten Baukünstlers San Micheli. Da es seit dreißig Jahren unbewohnt war, regnete es in alle Zimmer hinein, und kein Fenster schloß ordentlich. Er beschlagnahmte die Pferde des Verwalters und ritt sie früh wie abends. Er war wortkarg und nachdenklich. Der Rat, sich eine Geliebte aus der staatsgetreuen Gesellschaft zu wählen, erschien ihm spaßig, aber er befolgte ihn buchstäblich. Zum Beichtvater nahm er einen ränkesüchtigen jungen Priester, der Bischof werden wollte (wie der Beichtvater vom Spielberg: Für den General (1812 Marschall) Gouvion-Saint-Cyr (1764-1830) hat Stendhal eine Vorliebe. Er nennt ihn öfters in seinen Büchern. Vergleiche auch seine Erwähnung im Briefe an Balzac.). Mitunter legte er drei Meilen zu Fuß zurück und hüllte sich in ein Geheimnis, das er undurchdringbar wähnte, um den ›Constitutionnel‹ zu lesen, den er erhaben fand. ›Das ist ebenso schön wie Alfieri und Dante!‹ rief er oftmals aus. Darin hatte Fabrizzio eine Ähnlichkeit mit den jungen Franzosen, die sich viel angelegentlicher mit ihren Pferden und ihren Zeitungen beschäftigen als mit einer ihnen treuen Geliebten. Jedoch war in seiner unverdorbenen und starken Seele noch kein Raum zur Nachäfferei der anderen, und er gewann keine Freunde in der Gesellschaft des Städtchens Romagnano. Seine Schlichtheit galt für Hochmut; man wußte mit diesem Sonderling nichts anzufangen. »Er ist mißvergnügt, weil er nicht der Erstgeborene СКАЧАТЬ