Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher - Стендаль страница 153

Название: Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher

Автор: Стендаль

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788026824862

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СКАЧАТЬ wollen freimütig gestehen, daß die Eifersucht des Kanonikus Borda nicht ganz grundlos war. Nach seiner Heimkehr aus Frankreich erschien Fabrizzio der Gräfin Pietranera wie ein schöner Fremdling, den sie früher einmal gut gekannt hatte. Hätte er Liebesworte gesprochen, dann hätte sie ihn wiedergeliebt, zumal sie für sein Verhalten und für seine Art eine leidenschaftliche, ja grenzenlose Bewunderung hegte. Aber Fabrizzio umarmte sie in so ungemein harmloser Dankbarkeit und unbefangener Zuneigung, daß sie sich vor sich selber geschämt hätte, wenn sie hinter dieser geradezu kindlichen Freundschaft ein anderes Gefühl gesucht hätte. ›Im Grunde‹, sagte sich die Gräfin, ›mögen mich etliche Freunde, die mich vor sechs Jahren am Hofe des Fürsten Eugen gekannt haben, noch hübsch und sogar noch jung finden, doch für ihn bin ich die achtbare Tante und ohne jegliche Schonung meiner Eigenliebe muß ich es wohl sagen – ein Frau von Jahren.‹ Die Gräfin täuschte sich in der Beurteilung des Alters, das sie erreicht hatte, aber nicht in der Weise alltäglicher Frauen. ›In seinen Jahren‹, fügte sie hinzu, ›sieht man die Spuren der Zeit übertriebener, als sie wirklich sind; ein Mann von reiferer Lebenserfahrung hingegen…‹

      Die Gräfin war in ihrem Salon auf und ab gegangen, dann blieb sie vor einem Spiegel stehen und lächelte. Man muß wissen, daß das Herz der Gräfin Pietranera seit ein paar Monaten durch eine seltsame Persönlichkeit ernstlich bestürmt wurde. Kurze Zeit nach Fabrizzios Abreise nach Frankreich war die Gräfin in tiefe Schwermut verfallen. Ohne daß sie es sich recht gestand, hatte sie sich viel mit ihm zu beschäftigen begonnen. Alles, was sie tat, erschien ihr reizlos und, wenn man so sagen darf, ohne Saft und Kraft. Sie glaubte, Napoleon, der seine italienischen Untertanen an sich fesseln wollte, werde Fabrizzio in seine persönliche Umgebung nehmen.

      »Er ist für mich verloren!« rief sie weinend. »Nie werde ich ihn wiedersehen! Er wird mir Briefe schreiben, aber was bin ich ihm in zehn Jahren?«

      In dieser Gemütsverfassung unternahm sie eine Reise nach Mailand; sie hoffte, dort genauere Nachrichten über Napoleon und, wer weiß, vielleicht auch auf Umwegen über Fabrizzio zu erhalten. Ihre tatenlustige Seele war des eintönigen Daseins, das sie auf dem Lande führte, bereits überdrüssig. ›Das ist tödliche Langweile, aber kein Leben!‹ sagte sie sich. Tag für Tag sah sie dieselben gepuderten Köpfe, den Bruder, den Neffen Ascanio und deren Kammerdiener! Was waren die Spaziergänge am See ohne Fabrizzio? Ihr einziger Trost lag in ihrer innigen Freundschaft mit der Marchesa. Aber seit einiger Zeit begann ihr diese Freundschaft zur Mutter Fabrizzios, die älter als sie war und vom Leben nichts mehr erwartete, nicht mehr so viel Freude zu machen.

      Seit Fabrizzios Abreise war die Gräfin Pietranera in dieser sonderbaren Stimmung. Von der Zukunft erhoffte sie nicht viel; ihr Herz bedurfte des Trostes und neuer Anregung. Nach Mailand zurückgekehrt, fand sie ein leidenschaftliches Vergnügen an der neueren Oper; stundenlang schloß sie sich einsam in die Loge des Generals Scotti, ihres alten Freundes, ein. Die Menschen, deren Gesellschaft sie aufsuchte, um Nachrichten über Napoleon und seine Armee zu erfahren, kamen ihr gewöhnlich und grob vor. Zu Hause improvisierte sie dann auf ihrem Klavier bis drei Uhr morgens.

      Eines Abends wurde ihr in der Loge einer ihrer Freundinnen, wo sie Neuigkeiten aus Frankreich einholen wollte, der Graf Mosca, Minister von Parma, vorgestellt, ein Weltmann, der über Frankreich und Napoleon in einer Weise plauderte, die ihrem Herzen neuen Stoff zu Hoffnungen und Befürchtungen gab. Am Abend darauf suchte sie diese Loge wieder auf. Der geistvolle Mann war ebenfalls da, und während der ganzen Vorstellung unterhielt sie sich mit ihm auf das beste. Seit Fabrizzios Weggang hatte sie noch keinen Abend so angenehm verlebt.

      Der Mann, der sie zu unterhalten verstand, der Graf Mosca della Rovere Sorezana, war damals Kriegs-, Polizei-und Finanzminister jenes berüchtigten Fürsten von Parma, Ernsts IV., berüchtigt wegen seiner Strenge, die von den Liberalen von Mailand als Grausamkeit bezeichnet wurde. Mosca mochte vierzig bis fünfundvierzig Jahre zählen. Er hatte ausgeprägte Züge, war aber nicht im geringsten wichtigtuerisch, sondern schlicht und heiter. Man war sofort von ihm eingenommen. Er wäre noch recht annehmbar gewesen, wenn er nicht einer Laune seines Fürsten zuliebe das Haar gepudert getragen hätte, gleichsam als Beweis treuer politischer Gesinnung. Da man in Italien wenig fürchtet, die Eitelkeit zu verletzen, so gelangt man sehr schnell zu einem vertraulichen Ton und zu persönlichen Bemerkungen. Der Fehler an dieser Art des Verkehrs ist der, daß man auf immer bricht, wenn man etwas übel genommen hat.

      »Warum tragen Sie eigentlich das Haar gepudert, Graf?« fragte die Pietranera, als sie sich zum dritten Male sahen. »Puder! Ein Mann wie Sie, liebenswürdig, noch jung, der den Feldzug in Spanien mitgemacht hat, auf unserer Seite!«

      »Ja, das kommt daher, daß ich in Spanien nichts gestohlen habe und doch leben muß! Ich war vernarrt in den Ruhm. Ein Lob des französischen Generals Gouvion-Saint-Cyr, unseres Oberbefehlshabers, war mir damals alles. Beim Sturze Napoleons stellte es sich heraus, daß ich in seinen Diensten mein Vermögen aufgezehrt hatte, während mein Vater, der mich schon als General sah, mir in Parma bereits einen Palast gebaut hatte. So hatte ich im Jahre 1813 als ganzen Besitz ein halbfertiges Riesenhaus und eine Pension…«

      »Eine Pension, dreitausendfünfhundert Franken, wie mein Mann!«

      »Der Graf Pietranera war Divisionskommandeur. Meine Pension als armseliger Schwadronschef beträgt nur achthundert Franken und wird mir übrigens erst ausgezahlt, seitdem ich Finanzminister bin.«

      Da sonst niemand in der Loge war als ihre Besitzerin, eine Dame mit ausgesprochen liberalen Ansichten, so spann sich das Gespräch in gleicher Freimütigkeit weiter. Der Graf Mosca erzählte auf Befragen von seiner Lebensweise in Parma.

      »In Spanien unter Saint-Cyr stellte ich mich in den Kugelregen für das Kreuz der Ehrenlegion und ein wenig Ruhmesglanz. Jetzt ziehe ich mich wie ein Hanswurst an, um ein behagliches Leben zu führen und ein paar tausend Franken zu erhäschen. Ich hatte mich nun einmal in diese Art Schachspiel eingelassen, ärgerte mich über die Unverschämtheit meiner Vorgesetzten und nahm mir vor, hochzukommen. Ich habe es erreicht. Aber meine glücklichsten Tage sind immer die, die ich von Zeit zu Zeit in Mailand verbringe. Hier, meine ich, schlägt noch das Herz euerer Italien-Armee!«

      Die Offenheit, die disinvoltura, mit der dieser Minister eines allgemein gefürchteten Fürsten plauderte, reizte die Neugier der Gräfin. Seinem Titel gemäß hatte sie einen kleinlichen Wichtigmacher in ihm erwartet; sie fand einen Mann, der sich der Würde seiner Stellung schämte. Mosca hatte versprochen, ihr alle Neuigkeiten über Frankreich, die er auftreiben könne, zu bringen. Das war in Mailand einen Monat vor der Schlacht von Waterloo eine große Indiskretion. Es handelte sich um das Sein oder Nichtsein Italiens; alle Welt war im Fieber der Angst oder der Hoffnung. Mitten in diesem allgemeinen Wirrwarr zog die Gräfin Erkundigungen über den Mann ein, der so leichtsinnig über eine vielbeneidete Stellung sprach, die obendrein seine einzige Hilfsquelle war.

      Man hinterbrachte der Gräfin Pietranera seltsame, spannende und widerspruchsvolle Dinge. Der Graf Mosca della Rovere Sorezana, berichtete man ihr, stehe auf dem Punkte, Premierminister und erster Günstling von Ernesto Ranuccio IV. zu werden, dem Autokraten von Parma, einem der reichsten Fürsten Europas. Der Graf hätte diesen höchsten Posten längst erreicht, wenn er sich standesbewußter benommen hätte. Öfters habe ihm der Fürst über diesen Punkt höchstselbst den Text gelesen. »Was kümmert Eure Hoheit meine Lebensart,« solle er freimütig geantwortet haben, »wenn ich Allerhöchstdero Angelegenheiten gut erledige?« Das Glück dieses Günstlings, fügte man hinzu, sei nicht ohne Dornen. Er habe sich die Gunst eines Landesherrn zu erhalten, der zweifellos klug und geistreich sei, seit seiner Thronbesteigung aber sichtlich den Kopf verloren habe und ein wahrhaft weibisches Mißtrauen hege.

      Ernst IV. war nur im Kriege ein Held. Auf den Schlachtfeldern hatte man ihn als braven General ein dutzendmal die Kolonnen zum Sturm führen sehen, doch als er nach dem Tod seines Vaters Ernst III. in seine Lande heimkehrte, wo ihm unglücklicherweise unumschränkte Herrschergewalt zuteil geworden, begann er gegen die Liberalen und die Freiheit wie toll vorzugehen. СКАЧАТЬ