Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль
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Название: Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher

Автор: Стендаль

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788026824862

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СКАЧАТЬ er sich, »ist mein Roman nun zu Ende. Ich habe meine Sache vorzüglich gemacht. Ich habe es fertiggebracht, vom hochmütigsten aller Wesen geliebt zu werden. Der Marquis kann ohne sie nicht leben, und Mathilde nicht ohne mich.«

      65. Kapitel

      Seine Seele flog in die Weite. Kaum erwiderte er Mathildens Liebkosungen. Still und versonnen saß er da. Niemals aber war er ihr so anbetungswürdig, so groß und genial erschienen. Nur bangte ihr, sein Stolz könne durch irgendwelchen Mißklang verletzt werden. Sie hatte Angst vor einem Zwischenfall, der mit einem Schlage alles wieder veränderte.

      Fast alle Vormittage sah sie den Pfarrer Pirard ins Haus kommen. Sollte Julian durch ihn nicht über die Absichten ihres Vaters einigermaßen unterrichtet sein? Konnte ihm der Marquis schließlich nicht selber geschrieben haben? Wie sollte sich Mathilde Julians ernste Miene nach einem so großen Glücke sonst erklären? Sie wagte nicht zu fragen.

      Sie wagte es nicht! Sie, Mathilde von La Mole!

      Von Stund an war ihre Liebe zu Julian, ihr ganzes Gefühlsleben durchzittert von etwas Vagem, Bangem, Grauenhaftem. Die Leidenschaft, deren eine inmitten der Überkultur einer Weltstadt groß gewordene kühle Seele überhaupt fähig ist, hatte ihren Höhepunkt erreicht.

      Am andern Morgen in der Frühe fand sich Julian im Pirardschen Pfarrhause ein. Alsbald fuhr eine in der nächsten Posthalterei gemietete alte wackelige Postkutsche in den Hof ein.

      »Es ist zum letzten Male, daß Sie in solch einem Wagen fahren. Das schickt sich nicht mehr für Sie«, bemerkte der Abbé mürrisch. »Hier sind zwanzigtausend Franken, die Ihnen Herr von La Mole zur Verfügung stellt, unter der Bedingung, daß Sie diese Summe im Laufe eines Jahres ausgeben, ohne sich dabei allzu lächerlich zu machen…«

      Eine so hohe Summe in der Hand eines jungen Mannes dünkte den Pfarrer eine ungeheuerliche Verführung zur Sünde.

      »Ich habe den Marquis endlich dazu gebracht«, fuhr Pirard fort, »sich mit dem Abbé von Frilair, dem Erzjesuiten, zu versöhnen. Er ist uns zu mächtig. Eine stillschweigende Bedingung dieses Vergleichs wird die Anerkennung Ihrer adligen Herkunft durch diesen Mann sein, der in Besançon regiert.«

      Julian konnte seine innige Freude nicht verbergen. Jetzt war er anerkannt! Er fiel dem Pfarrer um den Hals.

      »Pfui!« rief Pirard und stieß ihn von sich. »Was soll diese weltliche Eitelkeit?« Geschäftlichen Tones fuhr er fort: »Es ist der Wunsch des Herrn Marquis, daß Herr von La Vernaye es für angebracht erachtet, seinem Pflegevater, dem Herrn Sägemüller Sorel zu Verrières, ein Geschenk zu machen. Besser aber werde ich dies statt Ihrer tun. Ich werde Herrn Sorel und seinen beiden Söhnen jedem ein Jahresgeld von fünfhundert Franken aussetzen, das gezahlt werden soll, solange ich mit ihnen zufrieden bin.«

      Julian hatte seinen kühlen Hochmut wiedergewonnen. Er sprach seinen Dank aus, aber in allgemein gehaltenen Worten, die zu nichts verpflichteten. Bei sich dachte er: »Ob ich nicht doch der natürliche Sohn eines der großen Herren bin, die der schreckliche Napoleon in unsre Berge verbannt hat?« Allmählich kam ihm diese Vermutung immer weniger unmöglich vor. »Ein Beweis dafür wäre schließlich auch mein Haß gegen meinen Vater. Dann wäre ich kein Ungeheuer mehr!«

      Einige Tage nach diesem Selbstgespräch exerzierte das 15. Husarenregiment, eines der glänzendsten der französischen Armee, auf dem Exerzierplatz von Straßburg. Der Chevalier von La Vernaye ritt das schönste Pferd im ganzen Elsaß. Es hatte ihn sechstausend Franken gekostet. Er war als Oberleutnant eingestellt, ohne je mehr als auf dem Papier Leutnant in einem andern Regiment gewesen zu sein, von dem er keine Ahnung hatte.

      Sein blasiertes Aussehen, seine ernsten, fast bösen Augen und seine unwandelbare Kaltblütigkeit sicherten ihm vom ersten Tage an Respekt und Ansehen. Dazu kamen seine vollendete gemessene Höflichkeit und seine ohne Prahlerei zutage tretende Fertigkeit im Schießen und Fechten. Von vornherein verstummte jede Widerrede. Nach ein paar Tagen hatte er die öffentliche Meinung des Regiments auf seiner Seite. Ein Witzbold unter den älteren Offizieren bemerkte: »Dem jungen Manne fehlt nichts, nur die Jugend!«

      Von Straßburg aus schrieb Julian an Chélan, den hochbetagten Pfarrer von Verrières, unter anderm:

      »Gewiß haben Sie zu Ihrer Freude vernommen, daß sich meine Familie veranlaßt gesehen hat, mich wohlhabend zu machen. Anbei sind fünfhundert Franken, die ich Sie bitte, unauffällig und ohne Nennung meines Namens unter die Armen zu verteilen, zu denen ich ehedem selber gehörte. Gewiß helfen Sie andern noch immer so gern wie einst mir.«

      Julian war trunken vor Ehrgeiz, nicht vor Eitelkeit. Allerdings verwendete er auf sein Äußeres große Sorgfalt. Seine Pferde, seine Uniformen, die Livree seiner Diener, alles das war derart tadellos, daß sich damit kein englischer Lord hätte zu schämen brauchen.

      Kaum war er Offizier – freilich nur durch Protektion –, als er sich bereits ausrechnete, daß er mit seinen dreiundzwanzig Jahren eigentlich mehr sein müßte als bloß Oberleutnant, wenn er wie alle großen Heerführer mit dreißig Jahren General sein wollte. Er dachte an nichts andres als an eine glänzende Karriere und an seinen Sohn.

      Aus diesem Überschwange zügellosen Ehrgeizes wurde er eines Morgens durch einen jungen Diener des Hauses von La Mole herausgerissen. Er brachte einen Brief von Mathilde:

      »Alles verloren! Komme so rasch als möglich her. Laß alles im Stich. Desertiere, wenn es sein muß. Sobald Du da bist, erwarte mich in einer Droschke an der kleinen Gartentür. Vielleicht kann ich Dich mit in den Garten nehmen. Wir haben viel zu besprechen. Es ist alles verloren, ich fürchte, unwiderruflich. Aber verlaß Dich auf mich! Ich bleibe Dir treu auch im Unglück.

      In Liebe

      Deine Mathilde.«

      Wenige Minuten später hatte Julian Urlaub von seinem Oberst. In wilder Hast ritt er von Straßburg ab. Aber die qualvolle Unruhe, die in ihm wühlte, machte ihm die Reise zu Pferd bereits hinter Metz unerträglich. Er warf sich in eine Extrapost und erreichte in schier unglaublicher Eile den bezeichneten Ort, die kleine Pforte hinten im Garten des Hauses La Mole. Die Tür öffnete sich, und im selben Augenblick lag Mathilde bereits in seinen Armen. Sie nahm auf nichts Rücksicht. Zum Glück war es fünf Uhr früh und die Straße noch menschenleer.

      »Es ist alles verloren!« rief sie. »Mein Vater ist aus Furcht vor meinen Tränen in der Nacht auf Donnerstag verreist. Niemand weiß, wohin. Er hat mir diesen Brief hinterlassen. Lies ihn selber!«

      Sie stieg zu ihm in die Droschke.

      Der Brief des Marquis lautete:

      »Alles könnte ich verzeihen, nur nicht, daß Du planmäßig verführt worden, weil Du reich bist. Mein unglückliches Kind, das ist die schändliche Wahrheit! Ich gebe Dir mein Ehrenwort, daß ich Dir niemals erlaube, diesen Menschen zu heiraten. Ich setze ihm ein Jahresgeld von zehntausend Franken aus, wenn er sich bereit erklärt, weit fort, außerhalb von Frankreichs Grenzen, am besten in Amerika, Aufenthalt zu nehmen. Lies beiliegenden Brief! Ich habe ihn als Antwort auf eine Erkundigung erhalten. Der Schamlose hat mich selbst veranlaßt, an Frau von Rênal zu schreiben. Ich werde auch nicht eine Zeile Deiner Hand lesen, die auf diesen Menschen Bezug hat. Ich hasse Paris und will Dich nicht sehen. Ich rechne fest darauf, daß Du das Unvermeidliche sorgfältig geheimhältst. Entsage dem Schurken freiwillig, und ich bin wieder

      Dein Vater.«

      »Wo ist der Brief von Frau von Rênal?« fragte Julian kalt.

      »Hier! Ich wollte ihn dir erst zeigen, wenn du darauf vorbereitet wärest.«

      Frau СКАЧАТЬ