Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher - Стендаль страница 109

Название: Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher

Автор: Стендаль

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788026824862

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СКАЧАТЬ ein wenig leidend aussah, selbst wenn der Verstand seine Schreckensstimme noch so laut erhob, hatte er nicht mehr den Mut, eines jener grausamen Worte an sie zu richten, die seiner Erfahrung nach unerläßlich waren, um sich ihre Liebe zu erhalten.

      Eines Tages erklärte sie ihm: »Ich will meinem Vater schreiben. Er ist mir mehr als bloß Vater. Er ist mein Freund. Darum wäre es meiner und deiner unwürdig, ihn täuschen zu wollen.«

      »Allmächtiger!« rief Julian erschrocken. »Was willst du tun?«

      »Meine Pflicht!« erwiderte sie mit freudestrahlenden Augen.

      Sie war ungleich hochherziger als ihr Geliebter.

      »Er wird mich mit Schimpf und Schande von dannen jagen«, sagte Julian.

      »Das ist sein Recht. Wir müssen es achten. Ich werde dir den Arm reichen und mit dir zusammen zum Tore hinausgehen am hellichten Tage.«

      Verwirrt bat er, ihr Geständnis noch eine Woche hinauszuschieben.

      »Das kann ich nicht!« sagte sie. »Meine Ehre erheischt es. Nachdem ich erkannt habe, was meine Pflicht ist;, muß ich sie erfüllen, und zwar sofort.«

      »Dann befehle ich dir, es aufzuschieben!« rief er schließlich. »Deine Ehre ist außer Gefahr. Ich bin dein Gatte. Ein so entscheidender Schritt ändert deine wie meine Lage vollständig. Ich habe auch Rechte. Heute ist Dienstag. Heute in acht Tagen ist der Empfangstag beim Herzog von Retz. Abends, wenn dein Herr Vater heimkommt, soll ihm der Pförtner den Schicksalsbrief überreichen. Bedenke, wie unglücklich er sein wird! Sein Lieblingsgedanke ist deine Erhöhung zur Herzogin.«

      »Willst du damit sagen: Bedenke seine Rache?« fragte sie.

      »Mein Wohltäter tut mir in der Seele leid. Ich bin betrübt, daß ich ihm Schaden zufüge. Aber Furcht habe ich nie. Vor niemandem!«

      Mathilde gab nach.

      Seit sie ihm ihren Zustand mitgeteilt hatte, war dies das erste Mal, daß er herrisch vor ihr auftrat. Julian stand auf dem Gipfel seiner Liebe. Ihre Mutterschaft rührte an die zärtlichsten Saiten seines Herzens. Zu seinem Glück hatte er darin einen Vorwand, der ihn seiner Grausamkeit gegen Mathilde entband.

      Daß der Marquis alles erfahren sollte, beunruhigte ihn maßlos. »Werde ich von Mathilde getrennt werden?« fragte er sich tausendmal. »Und wenn sie noch so schmerzensvoll mich scheiden sieht: wird sie vier Wochen später noch meiner gedenken?«

      Ebenso schauderte ihn vor den berechtigten Vorwürfen, die er vom Marquis zu erwarten hatte.

      Abends gestand ihr Julian seinen doppelten Kummer, erst in dieser und dann, von seiner Liebe hingerissen, auch in jener Hinsicht.

      »Ist es Wahrheit?« fragte sie. »Ein halbes Jahr Trennung von mir wäre ein Unglück für dich?«

      »Ein unsagbares! Das einzige auf Erden, wovor mir graut!«

      Mathilde war überglücklich. Julian hatte seine Komödie so genau auf ihren Charakter zugeschnitten, daß es ihm wirklich gelungen war, ihr einzureden, sie sei es, die von beiden am meisten liebte.

      63. Kapitel

      Der verhängnisvolle Dienstag war gekommen.

      Als der Marquis um Mitternacht nach Hause kam, fand er auf seinem Schreibtisch einen Brief, auf dem geschrieben stand: »Persönlich und nur zu öffnen, wenn niemand zugegen ist!«

      Der Brief begann wie folgt:

      Mein lieber Vater

      Zwischen uns sind alle Bande der Gesellschaft zerrissen. Es verbleiben nur die der Natur. Nächst meinem Gatten bist Du mir heute wie immerdar der Liebste auf Erden. Meine Augen füllen sich mit Tränen. Ich denke an den Kummer, den ich Dir zufüge. Noch kennt niemand meine Schande. Du sollst Zeit zum Überlegen und zu den nötigen Maßregeln haben. Deshalb darf ich das Geständnis, das ich Dir schulde, nicht länger aufschieben. Wenn mir Deine Güte, die, wie ich weiß, zu mir immer grenzenlos gewesen ist, ein kleines Jahresgeld gewährt, so werde ich mich mit meinem Manne irgendwo, wo Du willst, etwa in der Schweiz, niederlassen. Sein Name ist derartig obskur, daß kein Mensch in einer einfachen Frau Sorel Deine Tochter vermuten wird. Damit habe ich Dir den Namen gebeichtet, den mir hinzuschreiben unsagbar schwer geworden ist.

      Dein Zorn ist ohne Frage berechtigt. Julians wegen bangt mir davor. Ich werde nun keine Herzogin. Dies habe ich gewußt, seit ich ihn liebe. Ich bin es, die zuerst geliebt hat. Ich bin seine Verführerin. Von Dir habe ich meine allzu hochfliegende Seele geerbt. Es ist mir unmöglich, mich mit Alltäglichem abzugeben. Um Dir zu gefallen, habe ich mir Mühe gegeben, Herrn von Croisenois ins Auge zu fassen. Vergeblich. Du selbst hast mich gelehrt, Julians Wert zu erkennen. Als ich von Hyeres wieder heimkam, hast Du zu mir gesagt: Der junge Sorel ist der einzige Mensch, an dem ich Freude habe.

      Der arme Junge ist über den Kummer, den Dir mein Brief bereitet, ebenso untröstlich wie ich. Daß Du als Vater zornig auf mich bist, kann ich nicht verhindern. Aber als Freund mußt Du voll Liebe zu mir sein.

      Julian hat vor mir immer den Abstand gewahrt. Wenn er hin und wieder mit mir sprach, so geschah dies nur voll aufrichtiger Dankbarkeit gegen Dich. Er ist eine durch und durch vornehme Natur. Vor jedwedem, der über ihm steht, hält er auf die gehörige Form. Er hat ein feines natürliches Gefühl für soziale Unterschiede. Voll Scham gestehe ich Dir, meinem besten Freunde, was ich keinem andern Menschen nochmals bekennen werde: ich bin es gewesen, ich, die eines Tages im Garten seine Hand gedrückt hat.

      Zürne ihm nicht lange! Was hätte es für Sinn? Mein Fehltritt ist nicht wieder gutzumachen. Wenn Du es forderst, so will ich es übernehmen, Dir die Versicherung seiner tiefsten Ehrfurcht zu übermitteln, zugleich mit der Beteuerung, daß es ihm unsagbar schmerzlich ist, Dir Kummer zu bereiten. Du wirst ihn nicht wiedersehen wollen. Aber seine Wege werden immerdar meine Wege sein. Das zu verlangen ist sein Recht und dies zu tun meine Pflicht, denn er ist der Vater meines Kindes.

      Wenn Du die Güte hast, uns jährlich sechstausend Franken zum Lebensunterhalt auszusetzen, so werde ich dies dankbar annehmen. Andernfalls will sich Julian als Lehrer für Latein und Literatur in Besançon niederlassen. Wie tief unten er auch anfangen mag, so bin ich doch sicher, daß er sich emporarbeitet. Mit ihm fürchte ich mich nicht vor der Niedrigkeit. Sollte es eine Revolution geben, so wird er sicher eine der ersten Rollen spielen. Könntest Du ein Gleiches von irgendeinem der andern sagen, die sich um meine Hand beworben haben? Julian würde selbst unter der gegenwärtigen Regierung eine hohe Stellung erreichen, wenn er eine Million und die Fürsprache meines Vaters besäße.

      Der Brief war absichtlich acht Seiten lang. Mathilde wußte genau, daß ihr Vater unter dem ersten Eindrucke ihres Briefes handelte.

      Um die Zeit, da der Marquis den Brief lesen mußte, fragte sich Julian: »Was wird nun? Worin besteht: erstens meine Pflicht, zweitens mein Vorteil? Was ich dem Marquis verdanke, ist unberechenbar. Ohne ihn wäre ich immer noch ein subalterner Schelm, und doch nicht Schelm genug, um mich vor dem Hasse und der Verfolgung der andern zu bewahren. Durch den Marquis bin ich ein Mann der Welt geworden. Wenn ich fernerhin Schelmereien begehen muß, so geschieht dies nur hin und wieder und nicht in plumper Art. Das ist mehr wert, als wenn er mir eine Million geschenkt hätte. Ich verdanke ihm meinen Orden und die Manieren eines Diplomaten. Das wird mich mancher Verlegenheit entheben…«

      Plötzlich wurde er von dem alten Kammerdiener des Marquis unterbrochen: »Der Herr Marquis wünscht Sie sofort zu sprechen, gleichgültig in welchem Anzuge.« Flüsternd setzte er hinzu: »Exzellenz ist maßlos in Wut. Nehmen Sie sich in acht!«

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